
Regulierung von Meinungsäußerungen?
Die Medien sind voller hämischer oder bestürzter Kommentare zum Kommunikationsdesaster der CDU im Umgang mit der Kritik junger Wähler an ihrer Politik. Vorläufiger Höhepunkt der Entwicklung waren die Äußerungen von Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die eine Regulierung von Meinungsäußerungen im Internet – so wurde sie vielfach interpretiert – zur Diskussion stellte.
Die Kritik an den Äußerungen war heftig und kam von unterschiedlichen Seiten. Sowohl in der CDU selbst als auch beim Koalitionspartner regte sich Widerspruch – bei den anderen Parteien sowieso. Auch der Deutsche Journalisten-Verband äußerte sich sehr kritisch:
Annegret Kramp-Karrenbauers Äußerungen erwecken den fatalen Eindruck, dass sie das Grundrecht der Meinungsfreiheit schleifen will. Die CDU-Parteichefin hat offenkundig keinen Plan, wie man mit freien Meinungsäußerungen im Internet umgehen muss. Nämlich tolerant.
Rezos Video zur „Zerstörung der CDU“
Auslöser dieser Selbstentblößung waren zwei kurz vor den EU-Wahlen veröffentlichte YouTube-Videos, die mit der Politik der Regierungsparteien, insbesondere der Union, schonungslos abrechneten. Das erste 55-minütige Video des YouTubers Rezo erreichte dabei eine Reichweite von mehreren Millionen Klicks und könnte sich dadurch auch auf das Wahlergebnis ausgewirkt haben. Im zweiten Video schlossen sich über 90 YouTuber in einem Statement der Kritik an.
Man mag von der Wortwahl Rezos und dem doch sehr provokanten Titel des Videos „Zerstörung der CDU“ halten, was man möchte, aber eines ist das Machwerk sicher nicht: eine illegitime Meinungsmache, wie man es in Teilen der CDU darstellt. Ganz im Gegenteil sind die darin enthaltenen Aussagen akribisch in wochenlanger Recherchearbeit mit Quellenmaterial unterlegt. Dabei sei dahingestellt, ob sie jedem einzelnen Vorwurf zur objektiven und ausgewogenen Darstellung gereichen. Die Kernbotschaft beider Videos verfängt und überzeugt allemal.
Die Videos haben in der CDU bereits vor der Wahl so viel Unruhe erzeugt, dass man sich genötigt fühlte, ein eigenes Video als Antwort zu produzieren. Doch hat man es im letzten Augenblick bevorzugt, es im Giftschrank verschwinden zu lassen und stattdessen ein mehrseitiges PDF zu veröffentlichen, das die eigene Junge Union mit dem Vergleich mit einer „Hausarbeit“ als kommunikationspolitischen Fehltritt entlarvte. Vollkommen unter den Tisch fallen ließ man bei der Kritik an den Videos der YouTuber, dass Wahlempfehlungen pro CDU in den Medien lange Tradition haben. Umso mehr muss man AKK eine Doppelmoral in dieser Angelegenheit bescheinigen.
Generationenkonflikt
Die Zuspitzung des Generationenkonflikts hat sich in den letzten Monaten lange abgezeichnet. „Fridays for Future“ und die intensiven Proteste gegen die EU-Urheberrechtsreform sind Ausdruck eines Umbruchs in den politischen Konstellationen und der gesellschaftlichen Schwerpunktthemen. Sie sind vor allem Ausdruck des Bewusstseins junger Menschen für ihre Zukunft. Die Ergebnisse der jüngsten EU-Wahl, bei der die Regierungsparteien CDU und SPD historische Verluste hinnehmen mussten, waren das erste große Ausrufezeichen in dieser Entwicklung. Der Klimawandel und das Internet gehen nicht wieder weg. Sie sind Teil der Lebenswirklichkeit und der Zukunft einer ganzen Generation.
Sascha Lobo beschreibt die Ohnmacht der politischen Eliten dabei zutreffend:
Wir sind Zeitzeugen: Eine Kollision findet statt, eine Volkspartei versucht, mit ihren gewohnten Werkzeugen des 20. Jahrhunderts das 21. Jahrhundert in den Griff zu bekommen. Spott und Empörung der digitalen Öffentlichkeit gehen fehl, man tanzt wutentbrannt um die Symptome. Die besorgniserregende Ursache findet eher nebenbei und zufällig Erwähnung.
Die Große Koalition der beiden schwindenden Volksparteien regiert ein Land, das es nicht mehr gibt, mit einem Instrumentarium, das nicht mehr funktioniert. Die CDU hat (wie die SPD) den Kontakt zur Gegenwart verloren.
Dass die Digitalisierung in Deutschland nicht vorankommt, hat auch mit verkrusteten Partei- und Politikstrukturen zu tun. Diejenigen Parteien, die nicht bereit sind, das Internet als natürlichen Teil unserer Realität und Kommunikationsstruktur zu akzeptieren, werden sich selbst abschaffen. Wer lediglich bei Wählern jenseits der 60 Jahre landet, macht sich überflüssig. Die Zukunft gehört einer aufgeklärten und politisierten Jugend. Und die Jugend kämpft zu Recht für diese Zukunft. Die Mittel, die sie für die politische Debatte verwendet, verstehen und beherrschen viele Parteien nicht. Doch die Mittel sind legitim und legal! Auch, wenn dies mancher in Abrede stellen möchte.