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Weltkulturerbe Speicherstadt Hamburg

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Hamburger Speicherstadt - Gebäude des Kranwärters
Gebäude des Kranwärters (als Wasserschloss bezeichnet) am Zusammenfluss von St. Annenfleet und Wandrahmsfleet

Eine Stadt in einer Stadt

Die Hamburger Speicherstadt ist als Weltkulturerbe in vielerlei Hinsicht einzigartig. Der kilometerlange Baukomplex entstand zwischen 1885 und 1927 in drei Bauabschnitten an der Elbe auf den Brookinseln. Letztere sind künstlich aus der Landmasse des Großen Grasbrooks am Südrand der Hamburger Altstadt durch die Anlage eines Netzes aus Fleeten und Wallgräben gebildet worden. Für die Realisierung und Verwaltung wurde die Hamburger Freihafen-Lagerhaus-Gesellschaft (HFLG) gegründet.

Die besondere Stellung der Speicherstadt resultiert dabei aus mehreren Elementen. Zum einen ist dies der Standort an der Stelle eines dicht bebauten Altstadtquartiers. Zum anderen ist es die Konzentration der Lagerhäuser abseits der Seeschiffshäfen und Kais. Die Kanäle der Speicherstadt waren nur für Binnenschiffe – vor allem die Schuten – geeignet. Die Speicherstadt wirkte und wirkt auch heute noch mit ihrer Geschlossenheit, ihrer Turm- und Giebellandschaft und der Erschließung über zahlreiche Brücken mit Torhäusern wie eine Stadt in einer Stadt.

Hamburg, um 1590
Hamburg um 1590, ganz im Süden sind die bereits dicht bebauten Brookinseln in die Stadt integriert

Umgeschlagen und gelagert wurde vor allem Kaffee. Im Jahre 1900 gingen 38 % der europäischen Kaffeeimporte über den Hamburger Hafen. Aber auch andere Güter aus dem Fernhandel wie Kakao, Tee, Gewürze und Südfrüchte wurden in der Speicherstadt gelagert.

Vorgeschichte: der Zollanschlussvertrag von 1881

Aber wie ist es zu diesem einzigartigen Bauprojekt gekommen? Dafür müssen wir einige Jahre zurückblicken. Im Zuge der 1871 vollendeten Reichsgründung unter der Regie von Bismarck kam es bereits 1867 zur Gründung des Norddeutschen Bundes unter der Leitung Preußens. Dadurch musste auch der seit 1834 existente Deutsche Zollverein neu strukturiert werden. Lübeck und Hamburg blieben allerdings zunächst Inseln im Zollvereinsgebiet. Während Lübeck sich diesem zeitnah anschloss, beharrte die Stadt Hamburg auf ihrem Sonderstatus, weil der dortige Hafen im besonderen Maße vom Fernhandel profitierte.

Der lange schwelende Konflikt wurde schließlich 1881 mit dem Zollanschlussvertrag aufgelöst. Vereinbart war darin die Einbeziehung Hamburgs ins Zollvereinsgebiet zum Jahre 1888. Hamburg konnte dabei wichtige Zugeständnisse für sich geltend machen. Darunter fiel auch die Schaffung eines Freihafens, der außerhalb des Zollgebiets lag. Auf die dort umgeschlagenen Güter musste also kein Zoll entrichtet werden, solange sie den Freihafen nicht ins Reichsgebiet verließen. Das wiederum machte es erforderlich, dass die im ganzen Stadtgebiet verstreuten Lagerhäuser innerhalb eines Areals im Freihafen gebündelt werden. Der Plan der Speicherstadt entstand.

Umstritten war auch der Standort des Viertels. Die Lage auf den Brookinseln am Nordufer der Elbe beinhaltete den Vorteil der kurzen Wege zur Altstadt und den dortigen Kontorhäusern. Dafür musste aber ein ganzes Altstadtquartier mit einem Baubestand aus dem 17. und 18. Jahrhundert beseitigt werden und die dort lebende Bevölkerung – letztlich rund 25.000 Menschen – umgesiedelt werden. Bei der Bebauung handelte es sich vor allem um Fachwerkbauten, aber durchaus auch repräsentative barocke Bürgerhäuser aus Stein. In den Jahren ab 1883 verschwand somit ein geschlossenes historisches Gängeviertel Hamburgs mit seinen typischen Wohnhöfen.

Die Bauarbeiten

Ingenieure und Architekten

Über den langen Zeitraum von über 40 Jahren waren viele Protagonisten für die Errichtung des gewaltigen Baukomplexes verantwortlich. Dabei erstaunt es umso mehr, wie einheitlich die Ausführung erfolgte. Verantwortlich dafür zeichnet vor allem der Bauingenieur Franz Andreas Meyer, der mit der Planung und Realisierung der Speicherstadt beauftragt war. Nach seinem Tod im Jahre 1901 hatten Franz Eduard Vermehren und schließlich Ludwig Ferdinand Sperber das Amt des Oberingenieurs in Hamburg inne. Auf Seiten der Architektenschaft prägten insbesondere Georg Thielen, das Büro Gustav Schrader und das Büro Hanssen & Meerwein die Gestalt der Bauten.

Auf der anderen Seite hatte die HFLG mit ihrem „Technischen Bureau“ phasenweise einen wesentlichen Einfluss auf die Ausgestaltung der Speicherstadt. Dies galt vor allem in der ersten Bauphase unter dem Büroleiter Heinrich Hagn und dann wieder ab 1906 oder 1907 unter Paul Raywood.

Stilistisch steht die Speicherstadt mit ihren monumentalen backsteinverblendeten Fassaden unter dem Einfluss der Hannoverschen Architekturschule. Ihr Begründer an der Polytechnischen Schule Hannover – später zur Technischen Hochschule erhoben – war Conrad Wilhelm Hase. Unter anderem studierten Sperber, Hagn und Thielen in Hannover. Die „Hannoversche Schule“ prägte seit den 1860er Jahren das Bauen im norddeutschen Historismus. Im Mittelpunkt stand dabei das Gestalten von Fassaden ausschließlich aus Backstein und die damit verbundene Hinwendung zur Neogotik.

Städtebauliche Ausführung

Die Brookinseln mussten nach dem Abriss der älteren Wohn- und Speicherbauten für die Neubebauung grundlegend umgestaltet werden. Fleete und Straßen verschwanden oder wurden verlegt. Straßenzüge, deren Lage nur wenigen Veränderungen unterzogen war, haben aber zumindest im Straßennamen überlebt: Neuer Wandrahm, Alter Wandrahm, Brook, Auf dem Sande oder Kehrwieder.

Es wurde ein Hauptkanal geschaffen, der abschnittsweise durch die begleitenden Straßen seinen Namen wechselt: Hehrwiederflett, Brooksfleet, St. Annenfleet und Holländischbrookfleet. Im Osten der Speicherstadt tritt ein weiterer Kanal zum Hauptarm hinzu: das Wandrahmsfleet. Nördlich der Speicherstadt wurde der breite Zollkanal angelegt, der diese von der Altstadt trennte und fortan die Grenze des Freihafens bildete. Er wurde aus den ehemaligen Kanälen Dovenfleet und Mührenfleet gebildet, die für den zukünftigen Schiffsverkehr zu klein dimensioniert waren.

Hambugerr Brookinseln - Planungen 1883
Franz Andreas Meyer: Planungen für die Speicherstadt 1883, oben der Istzustand der Brookinseln, unten der geplante Umbau

Insgesamt 23 neue Brücken wurden erbaut, wobei es sich mit wenigen Ausnahmen um genietete schmiedeeiserne Konstruktionen handelt. Besonders aufwändig wurden die Brückenbauten über den neuen Zollkanal gestaltet. Sie besaßen reich gestaltete Brückenköpfe oder Torhäuser, wobei letztere ausnahmslos nicht mehr erhalten sind. Auf diese Weise ist die besondere Stellung des Freihafens gegenüber der Hamburger Kernstadt auch städtebaulich zum Ausdruck gekommen.

Die Speicherbauten

Die Speicher sind in drei Abschnitten von West nach Ost konzipiert worden, wobei ein geplanter vierter Bauabschnitt nicht mehr realisiert wurde. Dabei ist die kleinteilige Parzellierung des alten Baubestandes aufgegeben worden. Es entstanden breite Blöcke, die dem Alphabet folgend bezeichnet wurden. Aus logistischen Gründen sind die Bauarbeiten aber mit Block N und O im östlichen Bereich des ersten Bauabschnitts am Sandtorkai begonnen worden. Als letzte Bauten entstanden die Blöcke W und X ganz im Osten der Speicherstadt.

Zunächst kam die Eisenskelettbauweise mit genieteten schmiedeeisernen Elementen zum Einsatz. Später experimentierte man wegen des Brandschutzes mit alternativen Konstruktionsweisen. Grundsätzlich war jeder Speicherbau vom Kanal und vom Land aus zu erschließen, was die Transportwege flexibel gestaltete. Zudem verfügten die Speichergebäude über einen hohen technischen Standard in Form von Elektrizität und hydraulischen Winden.

Zu den einzelnen Speicherblöcken traten Sonderbauten wie die beiden Verwaltungsgebäude der HFLG, das Kesselhaus, die Maschinenzentralstation, die Zollgebäude am Zollhafen oder die Torhäuser. Vor allem die Verwaltungsgebäude ragten durch ihre Gestaltung aus den Speicherzeilen heraus. Ihre Gliederung aus Sandstein verdeutlichte ihren hohen Rang in der Hierarchie der Gebäude. Dabei löste das zweite Verwaltungsgebäude, das im Rahmen des dritten Bauabschnitts der Speicherstadt ab 1902 entstand, den ersten Verwaltungsbau am Block O ab, weil dieser für seine Zwecke zu klein geworden ist. Mit seiner eklektizistischen Formenvielfalt und der exklusiven Materialwahl setzte es ein Statement, das die weltweite Bedeutung des Hamburger Hafens symbolisieren sollte.

Hamburger Speicherstadt - zweites Verwaltungsgebäude der HFLG
Das zweite Verwaltungsgebäude der HFLG, rechts anschließend der Speicherblock U

Zerstörung und Wiederaufbau

Im Zweiten Weltkrieg wurde vor allem die westliche Speicherstadt getroffen. Hier im ersten Bauabschnitt gab es auch die meisten Totalverluste, während der dritte und jüngste Bauabschnitt weitgehend verschont blieb von Bombentreffern und Feuersbrunst. Der Wiederaufbau nahm rund 20 Jahre in Anspruch und wurde vom Architekten Werner Kallmorgen realisiert. Es ist ein Glücksfall, dass dieser in einer Zeit, in der der Historismus keine Wertschätzung erfuhr, einige Speicherblöcke rekonstruierte, wo es möglich erschien. Dort, wo die Innenarchitektur zerstört war, wurden aus den ehemaligen Lagerflächen vielfach Büroräume geschaffen.

Hamburger Speicherstadt - Kehrwiederfleet
Blick in das Kehrwiederfleet mit Schuten – die hier sichtbaren Blöcke A bis C sowie J und K sind Kriegsverluste

Völlige Neubauten errichtete Kallmorgen in der Regel als reine Bürobauten, sodass der Speicherstadt neben der Rolle als Lagerstätte nun auch eine zweite zentrale Funktionsbestimmung zukam. Das Angebot an Büroraum bekam nochmals einen deutlichen Schub im 21. Jahrhundert. Dabei wurden die seit den Kriegszerstörungen keiner sinnvollen Nutzung zugeführten Flächen auf der Kehrwiederspitze mit dem Hanseatic Trade Center bebaut. Derzeit wird die teilzerstörte Maschinenzentralstatioin in modernen Formen ergänzt.

Auch die gelagerten Waren machten bis zum Ende des 20. Jahrhunderts eine Wandlung durch. Wenn man heute durch die Gassen der Speicherstadt schlendert, bemerkt man vor allem unzählige Teppichhändler, für deren orientalisches Gut die Lagerräume eine ideale Lösung darstellen. Heute ist noch ein Drittel der Nutzfläche Lager.

Revitalisierung, Denkmalschutz und Weltkulturerbe

Mit dem Denkmalschutz, unter den die Speicherstadt im Jahre 1991 gestellt wurde, setzte eine Revitalisierung des Geländes ein. Die Herausforderung ist es nun, den Denkmalschutz in Einklang zu bringen mit der Nutzung der Gebäude. Ein Entwicklungskonzept sieht seit einigen Jahren die Mischnutzung vor, die auch das Wohnen nicht mehr grundsätzlich ausschließt. Gastronomie hat sich im vertretbaren Rahmen ebenso angesiedelt. Auf diese Weise wird die Speicherstadt zunehmend zum Bindeglied zwischen der Hamburger Innenstadt und der HafenCity.

Insbesondere die kulturelle Nutzung ist auf dem Vormarsch. Auf dem Areal finden Kunstausstellungen, Musikevents und Theateraufführungen statt, unter die im weitesten Sinne auch das Hamburg Dungeon fällt. Die Museumsszene hat mit zahlreichen Einrichtungen Einzug gehalten: Speicherstadtmuseum, Gewürzmuseum, Deutsches Zollmuseum und natürlich das international bekannte Miniatur Wunderland.

Hamburger Speicherstadt - Zollkanal
Zollkanal am Brook und Wiederkehr, im Hintergrund ragt die Elbphilharmonie auf

2015 erfolgte der Status als UNESCO-Weltkulturerbe, gemeinsam mit dem Kontorhausviertel, das sich mit dem berühmten Chilehaus im Nordosten an die Speicherstadt anschließt. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, welchen Stellenwert historistische Architektur noch vor einem halben Jahrhundert in der Denkmalpflege innehatte!

2 Kommentare zu “Weltkulturerbe Speicherstadt Hamburg

  1. Übrigens, die Kehrwiederinsel, die heißt nicht so, weil man dort angehörigen Seefahrern zugewunken hat, wenn die Richtung Nordsee aufbrachen, sondern Kehrwieder ist ein altes Wort für Sackgasse. Wenn man bis zum Ende gefahren ist, muss man umdrehen, und dann kehrt man wieder … Deswegen heißt die Insel so, die so in die Elbe rein ragt, dass man am Ende umdrehen muss 😉

    LG aus Hamburg!

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