Scharfe Kritik am AfD-Antrag
Am 15.10. stellte die AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt unter dem Titel „Irrweg der Moderne“ den Antrag (Drucksache 8/4681) zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Bauhaus. Zur Begründung des Antrags heißt es wörtlich:
- Historische Bausünden: Viele Gebäude im Bauhaus-Stil gelten heute als „Bausünden“, da ihre puristische Ästhetik und funktionale Reduktion oft nicht mit der Lebensqualität der Bewohner in Einklang gebracht wurden. Die Betonung auf Nüchternheit und Minimalismus führte häufig zu unpersönlicher Architektur, die als kalt, abweisend und unattraktiv wahrgenommen wird. Diese Kritikpunkte spiegeln sich bis heute in der Debatte über den Bauhaus-Stil wider, insbesondere in Bezug auf den sozialen Wohnungsbau und öffentliche Gebäude, die als „menschenfeindlich“ bezeichnet werden.
- Fragwürdige Werte: Das Bauhaus propagierte eine universelle Ästhetik, die auf eine Vereinheitlichung von Kunst und Design abzielte. Dabei gingen individuelle und regionale Besonderheiten verloren. Die zugrunde liegenden Werte des Bauhauses, wie die radikale Vereinfachung und Funktionalisierung des Lebensumfeldes, widersprachen oft traditionellen und kulturell verankerten Vorstellungen von Wohn- und Lebensräumen. Diese pauschale Reduktion auf das Funktionale kann als Entfremdung des Menschen von seiner Umwelt gewertet werden.
- Ideologische Hintergründe: Hinter der Bauhaus-Bewegung standen politische und gesellschaftliche Ideologien, die insbesondere während der Leitung von Hannes Meyer eine klare Nähe zum Kommunismus aufwiesen. Meyers Ausrichtung führte zu einer Politisierung der Architektur und der Bauhaus-Lehre, was sowohl damals als auch heute zu Kontroversen führt. Es stellt sich die Frage, inwieweit eine solche Ideologisierung von Kunst und Architektur langfristig negative gesellschaftliche Auswirkungen hatte und weiterhin haben könnte.
- Globale Verwertung als Einheitsbrei: Die internationale Verbreitung des Bauhaus-Stils führte zu einer Art globalem „Einheitsbrei“, in dem lokale Identitäten und architektonische Traditionen zunehmend verdrängt wurden. Der Bauhaus-Stil entwickelte sich zu einem globalen Trend, der oft als uniform und austauschbar kritisiert wird. Dies führte zu einer Verwässerung regionaler Eigenheiten und einer Standardisierung von Architektur und Design, die der kulturellen Vielfalt abträglich ist.
Dieser Angriff auf das Weltkulturerbe in Dessau löste zum Teil heftige Reaktionen aus. Kritik kam von Kulturstaatsministerin Claudia Roth und der FDP-Fraktion im Landtag. Selbst im Ausland nahm man dieses nicht alltägliche Vorgehen wahr. In einem Interview in der NZZ ordnete Barbara Steiner, Direktorin der Stiftung Bauhaus Dessau, die Äußerungen der AfD-Fraktion ein. Unter Freunden klassischer Architektur entwickelte sich eine emotionale und kontroverse Diskussion, die teilweise unappetitlich ausartete. Eine unmissverständliche Bewertung des Vorganges erfolgte auch durch die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Dazu folgt weiter unten eine ausführliche Analyse!
Irrweg der Moderne?
Kritische Auseinandersetzung
Bereits der Titel des Antrags „Irrweg der Moderne – für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Bauhaus“ gibt die Schlagrichtung des Diskurses vor. Es geht um selektierende Kulturpolitik. Da überzeugt es wenig, wenn es einschränkend heißt, dass das Doppeljubiläum des Bauhauses in den kommenden Jahren als kunstgeschichtliches und historisches Phänomen zu würdigen sei, aber man eine „einseitige Glorifizierung“ ablehne. Dem Antrag ist in vielen Punkten inhaltlich zu widersprechen, was ich nachfolgend auch tun möchte:
Die kritische Auseinandersetzung mit dem Bauhaus und einem Protagonisten findet in den vergangenen Jahren in erheblichem Maße statt und nimmt dabei auch unbequeme Aspekte in den Fokus. Eine dreiteilige Ausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus“ widmete sich 2024 der komplexen Beziehung zwischen der Kunstgewerbeschule und dem NS-Staat und bricht damit mit gängigen einseitigen Klischees. Sie enthüllte zum Beispiel, dass von 1200 Studierenden immerhin 188 der NSDAP beitraten, einige sogar in SA uns SS mitwirkten. So war der Bauhausschüler Fritz Ertl beteiligt am Bau des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. Und die Bauhaus-Galionsfigur Ludwig Mies van der Rohe entwarf ebenfalls für das NS-Regime, wie ein druckfrisches Buchprojekt belegt. Wenn die Antragssteller nun ein „seriöses und kulturgeschichtliches Gesamtbild“ in Hinblick auf das Bauhaus einfordern, stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, was genau sie damit meinen.
Sozialer Wohnungsbau
Es ist weiterhin falsch, das Bauhaus auf seine schlichten Fassaden zu reduzieren. Diese sind weniger einem einheitlichen Bauhaus-Stil geschuldet, als vielmehr der Programmatik „Form follows function“. Die Antragssteller blenden dabei aus, dass das Bauhaus Normen in der Stadtplanung gesetzt hat, ohne die das heutige Wohnen mit seinen Maßstäben für Wohnkomfort nicht denkbar wäre. Es geht um die Abkehr von engen, dunklen und krank machenden Mietskasernen der Gründerzeit hin zu sozialem Wohnungsbau mit modernen Standards wie Zentralheizung, Bad und Küche. Das Bauhaus revolutionierte das Wohnen großer Bevölkerungsschichten durch die industrielle Produktion von Wohnraum. Das war als Antwort auf die große Wohnungsnot der Weimarer Republik gedacht. Dass die Lösungsansätze nicht ganz ohne Schattenseiten auskamen, muss aber ebenfalls festgehalten werden.
Es ist anachronistisch, die Architektur der frühen Moderne aus der Sicht des 21. Jahrhunderts zu verurteilen, wie es die AfD-Fraktion tut. Vielmehr sind die Rahmenbedingungen der Zwischenkriegszeit mit ihren vielschichtigen Krisen als Maßstab heranzuziehen. Das Bauhaus muss in seinem zeitgeschichtlichen Kontext betrachtet werden. Für die Zeit der Weimarer Republik war es im positiven Sinne revolutionär und zeigte Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen am Beginn der Moderne auf. Dies galt nicht nur für die Architektur, sondern umso mehr für das Design, speziell an Alltagsgegenständen von Möbeln über Wohnaccessoires bis zu Küchengeschirr, die bis heute nachwirken. Überhaupt war das Bauhaus keine Inselerscheinung, sondern ein herausragender Teil einer größeren Bewegung des Neuen Bauens und der Neuen Sachlichkeit.
Es lag ganz allein in der Verantwortung späterer Generationen, die Visionen und Ideen des Bauhauses weiterzuentwickeln und den Problemen und Bedürfnissen einer sich verändernden Gesellschaft anzupassen. Dass dies zum Teil nicht gelungen ist und modernistische Architektur vielfach als der hier kritisierte „globale Einheitsbrei“ wahrgenommen wird, ist nicht der Gründergeneration des Bauhauses anzulasten. Es ist Folge einer Tradierung, die oftmals mit dem Erbe des Bauhauses nicht umgehen konnte oder es für andere Ziele missbrauchte.
Internationalisierung
Die Internationalisierung des Bauhaus-Gedankens hat neben der grundlegenden internationalen Ausrichtung der Schule zwei weitere gewichtige Gründe. Zum einen sind ihre Lehrer, Schüler und Anhänger aufgrund der Repressalien und der Schließung des Bauhauses durch die Nationalsozialisten in alle Welt zerstreut worden. In diesem Kontext entstand unter anderem die Weiße Stadt in Tel Aviv. Zum anderen ist die Gründung des Bauhauses eingebettet in eine Zeit, in der die Globalisierung der Welt erstmals Fahrt aufnahm. Ironie der Geschichte: Die Nationalsozialisten trugen selbst dazu bei, dass die so verhasste Architektur Weltruhm erlangte.
Das Bauhaus war ein Exportschlager deutscher Kultur. In Hinblick auf den Status eines Weltkulturerbes und als Touristenmagnet nimmt es heute sogar erneut diese Stellung ein. Das trägt nicht zu einer Verwässerung kultureller Vielfalt bei, sondern stärkt die lokale Identität: Weimar und Dessau als Ausgangspunkt einer weltweit bekannten und geschätzten Kunst- und Designrevolution sind selbst bereits traditionelles Kulturgut.
Völkisches Gedankengut?
Einordnung durch die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora
Herauszuheben ist die Beurteilung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora zu dem AfD-Antrag:
Der Rassenideologe Paul Schultze-Naumburg, seit 1930 Hochschuldirektor in Weimar, verteufelte das Bauhaus als „undeutsch“, die Stuttgarter Weißenhofsiedlung diffamierte er als „Araberdorf“. Seine völkische Sicht auf das Bauen will die AfD am Freitag im Landesparlament von Sachsen-Anhalt wieder aufleben lassen.
Wie kommt eine Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus zu dieser Einschätzung, die Parallelen zu nationalsozialistischen Ideologien zieht? Um dies zu ergründen, ist zunächst festzuhalten, dass die AfD in Sachsen-Anhalt ebenso wie in Thüringen als gesichert rechtsextrem gilt. In zahlreichen NS-Gedenkstätten haben Politiker der Partei Hausverbot. Und das hat handfeste Gründe. Es ist nicht nur das geschichtsrevisionistische Weltbild, das an einem solchen Ort einen Hohn für die Opfer darstellen muss. Es ist in jüngster Vergangenheit auch vermehrt zu Eklats und Tabubrüchen seitens Anhängern der Partei gekommen, wie pars pro toto an der KZ-Gedenkstätte Dachau protokolliert.
Die Gedenkstätten sind also nicht nur kraft ihrer wissenschaftlichen Expertise mit völkisch-nationalen Narrativen vertraut, sondern machen zunehmend auch direkte Erfahrungen damit. Ihr wissenschaftliches Personal besteht zudem überwiegend aus Historikern. Das macht sie im doppelten Maße zu einem feinen Seismografen für entsprechende Tendenzen in der Gesellschaft und der Politik. Dies eingangs festzuhalten, erscheint mir notwendig, da ich in den vergangenen Tagen mehrfach Darstellungen lesen konnte, die den Gedenkstätten die Kompetenz in dieser Sache absprachen.
Die Ideologie des Paul Schultze-Naumburg
Zurück zum Antrag im Landtag von Sachsen-Anhalt: Zuschreibungen wie „Bausünden“, „globaler Einheitsbrei“, „Irrweg“ oder „menschenfeindlich“ werden direkt an das Bauhaus adressiert. Es ist gerade nicht die Kritik an der Entwicklung der Architektur der letzten Jahrzehnte, die hier artikuliert wird. Was wir vor uns haben, ist ein als Architekturkritik schlecht getarnter Kulturkampf mit dem Ansinnen, herabwürdigende Kriterien bei der Bewertung von Kunst und Architektur einzuschleusen. Das steht in der Tradition der Angriffe der Nationalsozialisten auf das Bauhaus, die die Kunstgewerbeschule zum Umzug von Weimar nach Dessau und letztlich dann Berlin zwangen und schließlich zur Schließung der Institution im Jahre 1933 führten.
Chefideologe Schultze-Naumburg (Autor des Pamphlets Kunst und Rasse), der sich bei den Angriffen gegen das Bauhaus besonders hervortat, bediente sich ähnlich abschätziger Attribute wie „undeutsch“ oder „jüdisch-bolschewistisch“. Die Kunst des Bauhauses galt in der NS-Ideologie als „entartet“. Beide Redeführer – damals wie heute – sprechen dem Schaffen des Bauhauses jeden künstlerischen Rang ab und stören sich im Besonderen an der internationalen Ausrichtung der Bauhaus-Programmatik, die dadurch nicht in deutscher Kulturtradition stünde.
Von Caspar David Friedrich zum Bauhaus
Um den letzten Punkt zu verdeutlichen, möchte ich auf einen wenig beachteten Vorgang im gleichen Landtag vom April dieses Jahres verweisen. Die AfD-Fraktion startete damals den Versuch einer Auslobung eines Caspar-David-Friedrich-Preises für Malerei. Welche Intention dahinterstand, wird bei der protokollierten Rede des kulturpolitischen Sprechers der AfD, Hans-Thomas Tillschneider, überdeutlich. Darin heißt es:
Keinem anderen Maler ist es jemals gelungen, der deutschen Volksseele solch prägnanten Ausdruck zu geben. Caspar David Friedrich wollte aller Welt zeigen, was eine deutsche Malerei sei, und es ist ihm geglückt. Zu den Besonderheiten von Caspar David Friedrichs Charakter gehört, dass diese künstlerische Besinnung auf das deutsche Wesen in einem vorbildlichen patriotischen Engagement ihre politische Entsprechung fand.
Und in der folgenden Diskussion wurde dann bereits der Angriff auf das Bauhaus vorbereitet:
Ich bitte Sie, das Bauhaus ist – das sage ich einmal ganz ungeschützt – von einer abgrundtiefen Hässlichkeit und hat Bausünden verbrochen; es ist unerträglich anzuschauen.
Wir haben es hier also mit einer Programmatik in der Kulturpolitik der AfD zu tun, die ihre Vorbilder in der völkisch-nationalen Sichtweise von Kunst im nationalsozialistischen Staat hat. Nachdem die Bedeutung von Deutschtum und Volksgeist im April noch unverhohlen artikuliert wurde und zu entsprechender Ablehnung im Parlament geführt hatte, wird dies nun beim neuerlichen Antrag verklausuliert zum Ausdruck gebracht. Das Ergebnis ist freilich das gleiche, denn auch dieser Antrag ist von allen Fraktionen im Landtag vor einigen Tagen abgelehnt worden. Der Gedenkstätte ist es dabei zu verdanken, die Einordnung der Vorgänge in den historischen Kontext vorgenommen zu haben.
Schlussbemerkung
Der Antrag der AfD richtet sich gerade mit keinem Wort an die nicht zu leugnenden Verfehlungen modernistischer Architektur und Fehlentwicklungen im Städtebau der letzten Jahrzehnte. Sie ist direkt gerichtet an ein Weltkulturerbe, an einen Baustein deutscher und internationaler Kunst- und Architekturgeschichte. Sie nimmt die gesamte Klassische Moderne in den Fokus und möchte mithilfe ihrer Herabwürdigung an ihrer Daseinsberechtigung rütteln, indem sie sie als Irrweg klassifiziert. Solche pauschalen Angriffe – teilweise mit Zerstörungspotenzial – gegen Kunst und Architektur sind generell zu verurteilen. Sie finden sich aber leider auch in ganz anderen Kontexten wie bei der fundamentalen Kritik am Wiederaufbau des Berliner Schlosses oder dem Aufruf zur Zerstörung eines Graffiti-Kunstwerkes am Schnütgen-Museum in Köln.
Nicht zuletzt ist ein solcher kulturfeindlicher Antrag aus einer rechtsextremen Ecke dazu geeignet, die unzähligen Initiativen, die sich für den Erhalt und die Wiedergewinnung historischer Stadtbilder einsetzen, in Misskredit zu bringen. Viele von ihnen stehen modernistischer Architektur, die in der Nachkriegsära häufig das Stadtgefüge bis zur Unkenntlichkeit verunstaltete, nicht ohne Grund sehr kritisch gegenüber. Sich aber mit der revisionistischen AfD in ein Boot zu setzen, die gleich an der gesamten Moderne sägen möchte, das dürfte dann doch den meisten von ihnen nicht in den Sinn kommen. Hier sollte man dringend auf Distanz gehen, um nicht missverstanden zu werden.