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Kultur und Museen als gesellschaftliche Akteure gegen Rechtsextremismus

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Regenbogenflagge

Rechtsruck in der Gesellschaft

Kanzler Scholz beruhigt: Er gehe davon aus, dass die AfD bei der nächsten Bundestagswahl nicht besser abschneide als bei der letzten. Ich würde dem gerne Glauben schenken angesichts der Tatsache, dass die in Teilen rechtsextreme Partei in den Bundesländern Ostdeutschlands abgesehen von Berlin stärkste oder zweitstärkste Fraktion ist, mit Umfragewerten bis zu 35 %. Derweil wird im brandenburgischen Burg eine Hetzjagd auf Lehrkräfte veranstaltet, die sich besorgt über die rechtsextremen Vorfälle an ihrer Schule zeigten.

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe das Gefühl, dass spätestens seitdem in Sonneberg erstmals ein Landrat aus der AfD im Amt ist, man – zumindest im Internet – noch unverhohlener gegen Randgruppen hetzt. Das gilt auch im kulturellen Kontext, in dem ich mich täglich beruflich bewege. Ich möchte das mit drei aktuellen Fallbeispiele aus meiner täglichen Praxis in den sozialen Netzwerken demonstrieren.

Fallbeispiel Holocaustleugnung

Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG) bewarb auf Facebook eine ihrer Neuerscheinungen. In „Das Reich der Vernichtung“ beschreibt der britische Historiker Alex J. Kay die Gesamtgeschichte des nationalsozialistischen Massenmordens. Ich bin relativ spät auf die darunter stattfindende Diskussion aufmerksam geworden. An einigen Reaktionen und unzähligen gelöschten Kommentaren war aber deutlich ablesbar, dass hier viel Hass abgeladen worden ist. Ein noch sichtbarer Kommentar behauptete, dass zu diesem Thema nur US-Propaganda existieren würde.

Ich mischte mich ein, um diese Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen nicht unkommentiert stehen zu lassen. Die WGB löschte am nächsten Tag erneut alle fragwürdigen Statements und bedankte sich persönlich bei mir für mein Einschreiten. Doch das Streitgespräch hatte sich mittlerweile auf mein eigenes Facebook-Profil ausgeweitet. Da mein Gesprächspartner nicht davon zu überzeugen war, dass seine Ansichten nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt seien, und mich zudem als „linken Blockwart“ sowie die WBG als „unterbelichteten Verleger ohne Hirn“ beschimpfte, habe ich mich schließlich dazu entschlossen, Strafanzeige wegen Volksverhetzung zu stellen.

Derartige Strafanzeigen sind in Niedersachsen übrigens denkbar einfach, denn hierzulande existiert die „Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet“, auf deren Website man auch die Beweismittel hochladen kann. Im vorliegenden Fall erschien mir dies besonders sinnvoll, denn der Widersacher war – und das ist nicht der Regelfall – mit Namen und Adresse doch recht einfach identifizierbar. Fazit: Wir können alle im Kleinen unseren Teil dazu beitragen, dass antisemitisches, rechtsradikales oder antidemokratisches Gedankengut nicht noch weiter in unserer Gesellschaft Verbreitung findet, gar honoriert wird.

Fallbeispiel SS-Verherrlichung

Jens-Christian Wagner, Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, saß in Weimar in einem griechischen Restaurant, als sich eine Person mit einem T-Shirt mit SS-verherrlichender Symbolik an den Nachbartisch setzte. Das Motiv zeigte einen lachenden Totenschädel in einer SS-Uniform. Wagner wies den Mann auf die Strafbarkeit seiner Kleidung hin. Als dieser sich uneinsichtig zeigte, rief er die Polizei und machte den Vorfall bei Twitter öffentlich. Dort bin ich darauf aufmerksam geworden und kommentierte Wagners couragiertes Vorgehen positiv.

Der Tweet ging bei Twitter viral und selbst mein Kommentar erhielt rund 1000 Likes, Wagners um ein Vielfaches mehr. Der Zuspruch war enorm, aber gleichzeitig durften wir – ich kann es leider kaum anders beschreiben – mit dem tiefbraunen Bodensatz unserer Gesellschaft Bekanntschaft machen. Der Vorwurf des Blockwarts und des Denunziantentums waren da noch die harmlosesten Vorwürfe. Zahlreiche Kommentatoren äußerten sich antisemitisch oder verherrlichten die SS. Immer wieder fiel der Hinweis auf die freie Meinungsäußerung, die es ja in einem wahlweise „linksdiktatorischen“ oder „grünterroristischen“ Deutschland angeblich nicht geben würde – das übliche rechtsextreme Repertoire, wie man es in den sozialen Netzwerken und in rechtspopulistischen Quellen immer häufiger zu lesen bekommt.

Die Krone setzte diesem unwürdigen Spektakel letztlich Twitter selbst auf. Am folgenden Tag löschte die von Elon Musk geführte Plattform den Tweet von Wagner, wegen angeblichem Verstoß gegen deutsche Gesetze. In meinen Augen ein skandalöser Vorgang! Will man nicht von böser Absicht ausgehen, dann muss man annehmen, dass die Mitarbeiter vollkommen überfordert damit waren, das Gelesene richtig einzuordnen und entsprechende Schlüsse zu ziehen. Möglicherweise sah man nur die abgebildete SS-Symbolik, beachtete jedoch die aufklärende Intention des begleitenden Textes nicht. Fazit: Ich würde mir wünschen, diese Zivilcourage würden nicht nur Mitarbeiter einer Gedenkstätte zeigen.

Fallbeispiel Museen als gesellschaftliche Akteure

Die Regenbogenflagge vor dem Humboldt-Forum

In einem Kulturforum, in dem ich aktiv bin, regte sich scharfe Kritik an der Beflaggung vor dem Humboldt-Forum in Berlin. Dort ist zurzeit unter anderem die Regenbogenflagge zu sehen. Viele Nutzer sahen das als unzulässige politische Betätigung einer Bildungseinrichtung, die nur den Zeitgeist widerspiegeln würde. Ich hielt dagegen und verwies darauf, dass das Selbstverständnis der Museen sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat. Man versteht sich auch international als gesellschaftlicher Akteur, der demokratische und gesellschaftliche Prozesse nicht nur abbildet, sondern aktiv mitgestaltet. Das spiegelt sich auch in der Museumsdefinition der ICOM wider, die vor kurzem auch in der offiziellen deutschen Version veröffentlicht wurde (Hervorhebungen stammen von mir):

Ein Museum ist eine nicht gewinnorientierte, dauerhafte Institution im Dienst der Gesellschaft, die materielles und immaterielles Erbe erforscht, sammelt, bewahrt, interpretiert und ausstellt. Öffentlich zugänglich, barrierefrei und inklusiv, fördern Museen Diversität und Nachhaltigkeit. Sie arbeiten und kommunizieren ethisch, professionell und partizipativ mit Communities. Museen ermöglichen vielfältige Erfahrungen hinsichtlich Bildung, Freude, Reflexion und Wissensaustausch.

Insofern ist die Regenbogenflagge, wie sie auch vor anderen Museen wie in Karlsruhe oder Marburg zeitweilig weht, nicht als politisches, sondern als gesellschaftliches Zeichen zu interpretieren. Die Fahne steht für Toleranz, Diversität sowie Vielfalt und richtet sich gegen Diskriminierung, insbesondere in Bezug auf Menschen, die sich der LGBTQIA+-Community zugehörig fühlen. Wer daraus ein politisches Motiv abzuleiten versucht, der missbraucht diesen grundlegenden Gedanken des menschlichen Miteinanders. Gewalttätige Übergriffe auf queere Menschen sind leider in Deutschland bereits Alltag. Die Straftaten sind dabei mehrheitlich politisch motiviert und kommen aus dem rechten Milieu, wie Kriminalitätsstatistiken unmissverständlich belegen. Während ich diese Worte hier noch verfasse, legt die rechtsradikale Szene in Person unseres ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen bei Twitter nach:

Die Regenbogenflagge ist die Flagge der linksradikalen Woke-Ideologie und des Ökosozialismus. Wer diese Flagge hisst, bekennt sich zu dieser Ideologie.

Pervertierung gesellschaftlicher Normen

Im besagten Forum erhielt ich derweil für meine erläuternden Worte unter anderem folgende Antwort eines Forennutzers:

Der vorletzte Beitrag wurde gesponsert von der deutschen Bundesregierung. Es muss doch sehr schön sein, wenn man mit der Obrigkeit so auf Linie ist, dass man deren Sprecher werden könnte. Wer widerspricht, macht sich verdächtig und ist Staatsfeind. Manche Dinge in Deutschland ändern sich eben nie. Und dieser spezielle Typus des deutschen Untertans findet sich offensichtlich leider zu allen Zeiten. Stets fällt er einem ins Wort, stets hat er „die richtige Lehre“ zur Hand, um den Anderen in die Schranken zu verweisen und zu verwarnen. Heute ist es eben „Toleranz“ und „Vielfalt“ (zwei Begriffe, die bei diesem Typus stets das Gegenteil bedeuten, nämlich die bedingungslose Unterordnung unter die jeweils herrschende staatliche Doktrin).

Wir können hier rechte Narrative ganz anderer inhaltlicher Qualität als in meinen ersten beiden Fallbeispielen studieren. Gesellschaftliche Normen wie Toleranz und Vielfalt werden pervertiert und dabei subtil ein Bezug zu den dunkelsten Zeiten in der deutschen Geschichte hergestellt. Wer sich für ein menschliches Miteinander einsetzt, wird als obrigkeitshörig und als Sprachrohr politischer Akteure diffamiert. Die Umkehr von Opfer- und Täterrolle wird dabei sprachlich geschickt wie selbstverständlich vorgenommen, das Humboldt-Forum und andere Museen als Teil des verhassten Systems deklariert. Solche Zeilen sind dann der geistige Nährboden für rechtsextremistische Fantasien, die sich schließlich in Taten wie im Fall Lübcke entladen. Fazit: Die gesamte Diskussion ist zwar schließlich von der Moderation des Forums gelöscht worden, allerdings mit einer mich nicht restlos überzeugenden Begründung.

Grenzen des Sagbaren

Wie weit sich die Grenzen des Sag- und Darstellbaren bereits nach rechts verschoben haben, zeigt ein Plakat der AfD Bayern, das erfreulicherweise in kürzester Zeit Widerstand erregte und entsprechend die Strafanzeige eines couragierten Pfarrers nach sich zog. Es zeigt einen offensichtlich queeren Menschen, der aus dem Hintergrund nach einem verängstigten Kind greift. Als Spruch prangt „Hände weg von unseren Kindern“ auf dem Plakat. Dieses Machwerk kann es in Hinblick auf Abscheulichkeit und Botschaft mit den antisemitischen Hassdarstellungen der nationalsozialistischen Wochenzeitung „Der Stürmer“ aufnehmen.

Plakat der AfD Bayern zur Genderpropaganda
Die AfD Bayern präsentiert stolz ihr diskriminierendes, antiqueeres Plakat, Foto: Robert Andreasch, Quelle

Die Sozialpsychologin Pia Lamberty rät aus Sicht der Psychologie dazu, sich gegenüber Rechtsextremismus unmissverständlich abzugrenzen, damit dieser nicht zur sozialen Norm wird. Das erfordert allerdings in einem Umfeld mit wachsender Zustimmung für rechtspopulistische und rechtsextreme Ansichten in der Gesellschaft zunehmend Mut und Zivilcourage. Hierbei können Museen und der Kulturbetrieb als Ganzes eine Vorbildfunktion einnehmen. Das Hissen einer Regenbogenfahne sollte nur ein Anfang sein.

Wenn in Sonneberg – ein Ort, in dem einst ein KZ-Lager existierte – in aller Öffentlichkeit der Wunsch nach der NSDAP geäußert und der Tod von 6 Millionen Juden mit einem gleichgültigen Achselzucken kommentiert wird, scheint der Punkt gekommen zu sein, in dem jeder aufrechte Demokrat sich die Frage stellen muss, ob er weiter schweigen kann. Wie wehrhaft unsere Demokratie ist, werden vielleicht die Wahlen in diversen ostdeutschen Bundesländern im kommenden Jahr zeigen.

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