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Welfische Residenz an der Aller
In den weitläufigen und dünn besiedelten Wäldern der südlichen Lüneburger Heide würde man nicht unbedingt eine bedeutende Residenzstadt wie Celle mit ihrem reichen architektonischen Erbe erwarten. Jedoch reichen die Wurzeln der Stadt bis in ottonische Zeit, als unweit der jetzigen Stadt eine Burg und ein Handelsplatz an der Aller entstanden. Die späteren Besitzer der Burg – die Welfen – verlegten die Burg 1292 um wenige Kilometer flussabwärts. Der Name wanderte mit; das alte Celle heißt heute daher Altencelle. Das neue Celle nannte sich noch im 14. Jahrhundert Nigencelle. 1301 erhielt die jüngere Siedlung Stadtrechte. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts löste Celle Lüneburg als Residenz des Fürstentums Lüneburg ab. Dieser Zustand hielt bis zum Erlöschen der Celler Welfenlinie im Jahre 1705 an.
Neben Handel und Schifffahrt wurde die Hofhaltung zum wichtigsten Faktor für die Entwicklung der Stadt. Die größte Blüte erlangte Celle im 16. und 17. Jahrhundert, was sich bis heute in der prächtigen Architektur widerspiegelt. Herzog Ernst der Bekenner führte 1526 die Reformation im Fürstentum Lüneburg ein. Unter Herzog Georg Wilhelm und seiner Frau Eléonore d’Olbreuse setzte eine kulturelle Blüte ein, in die auch der prägende barocke Umbau der Schlossanlage fiel. Bei einer Schlossführung erfährt man, wie stolz Celle darauf ist, Teil des Stammbaums der Hannoveraner Welfen und somit auch des englischen Königshauses zu sein.
Schloss und Residenzmuseum
Von der mittelalterlichen Burg zur protestantischen Residenz
Der massive Schlossbau ist westlich der Altstadt vorgelagert und vom Schlosspark und dem Schlossgraben malerisch umschlossen. Er birgt heute das Residenzmuseum, das die Geschichte des Celler Hofes, des Schlosses und der Celler Welfenlinie erzählt. Hier im Schlossinneren wird deutlich, dass die Geschichte des Baukörpers bis ins Mittelalter und die Renaissance zurückreicht. „Von der Burg zur Residenz“ heißt daher auch eine Abteilung der sehr informativen Dauerausstellung.
Die Vierflügelanlage birgt in weiten Teilen noch spätmittelalterliche Bausubstanz. Einige Festsäle und die Außenmauern der erstmals 1434 erwähnten Schlosskapelle sind hierher zu datieren. Unter Ernst dem Bekenner erfolgte ein umfangreicher Ausbau der Anlage in Renaissanceformen. Die Architektur des 16. Jahrhunderts zeigt sich vor allem an der Außenfassade des zur Stadt weisenden Ostflügels, eines bemerkenswerten Beispiels der norddeutschen Frührenaissance.
Ausstattung der Schlosskapelle und barocke Raumgestaltung
Höhepunkt der Anlage ist aber zweifelsohne die Ausstattung der Schlosskapelle, die unter Herzog Wilhelm dem Jüngeren zwischen 1565 und 1576 entstand. In ihr vereinen sich protestantische Frömmigkeit und fürstlicher Repräsentationswille in einer künstlerischen Qualität und überlieferten Vollständigkeit, wie sie in Norddeutschland selten anzutreffen ist. Aus konservatorischen Gründen ist der Raum nur im Rahmen einer Führung zu bewundern. Doch das solltet ihr auf keinen Fall versäumen!
Prägend war letztlich der barocke Ausbau des Schlosses in der Zeit zwischen 1665 und 1700. Dabei kamen Architekten und Stuckateure aus Italien zum Zuge, die der Residenz einen künstlerisch internationalen Rang verliehen. Aus dieser Zeit ist die Innengestaltung in zahlreichen Räumen erhalten oder rekonstruiert worden. Sie sind beim Besuch des Residenzmuseums ebenfalls zu besichtigen. Beachtung verdient vor allem das 1674/75 erbaute Theater, das damit einen der ältesten regelmäßig bespielten Theaterräume in Deutschland darstellt. Was hier wohl bereits gespielt wurde?
Die Stadtkirche als Grablege
Nach dem Besuch des Schlosses führt uns der Weg über den Schlossgraben in Celles pittoreske Altstadt. Erstes Ziel sind die zentralen Platzanlagen rund um Markt und Stechbahn (Name leitete sich vom ehemalige Turnierplatz ab), wo Stadtkirche und Rathaus unsere Aufmerksamkeit erregen. Dabei sollte man sich von dem doch recht schlichten Äußeren des aus dem 14. Jahrhundert stammenden Baukörpers von St. Marien nicht täuschen lassen. Ihren kunsthistorischen Wert bezieht der Sakralbau durch seine Barockisierung, die parallel zum Umbau des Schlosses im späten 17. Jahrhundert erfolgte. Die Gestaltung war Teil des Ausbaus von Celle zur barocken Residenzstadt.
Treten wir ins Innere der Kirche, ist der ursprünglich gotische Hallenraum kaum noch zu erkennen. Die Decken, die von massiven Achteckpfeilern getragen werden, sind vollständig mit Stuck besetzt. In den Seitenschiffen sind Emporen eingezogen. Die Höhepunkte der Ausstattung sind im Chorraum vereint, der als Begräbniskapelle des Celler Herzogshauses fungiert. Dabei wird der Altar von 1613 von den kunsthistorisch bedeutenden Epitaphien der Renaissance und des Barock fast in den Schatten gestellt. Was für eine Kulisse, die man hier in einem so bescheidenen Kirchenraum nicht erwartet hätte!
Rathaus
Östlich der Stadtkirche steht der langgezogene Baukörper des Rathauses. Die Formensprache des nördlichen Traktes, der von 1560 bis 1579 entstand, ist an die Architektur der Weserrenaissance angelehnt. Der südliche Teil ist im Anschluss angefügt, klassizistisch umgeformt und schließlich verlängert worden, aber ebenfalls im Ensemble sehr reizvoll anzuschauen.
Prächtig präsentiert sich der Nordgiebel mit seiner Ornamentik aus Pilastern, Beschlagwerk, Voluten und Obelisken. Die Traufenseite zum Markt hin ist mit Zwerchhäusern, Erkern und Ausluchten besetzt. Charakteristisch ist vor allem die Fassung aus Grautönen, die auf verlässlichen Befunden von 1697 basieren. Letztere gehen wiederum auf Entwürfe der Spätrenaissance zurück. Das Erdgeschoss besteht dabei aus einer illusionistischen Diamantquaderung, während darüber eine gemalte Gliederung aus alternierenden Pilastern und Nischen mit Muschelornamentik sowie Girlanden die Fassade belebt. Die Belebung der Fassaden ist hier mit vergleichsweise banalen Mitteln mustergültig umgesetzt.
Celler Fachwerk
Überblick
Da Celle von Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges verschont blieb, präsentierte es sich uns bei unseren Besuchen als gemütliche Altstadt mit einem der größten Bestände an Fachwerkhäusern in Deutschland. Für diesen Reichtum ist Celle überregional bekannt. Die ältesten Exemplare stammen aus dem späten 15. Jahrhundert. Der größte und zugleich reichste Bestand an Fachwerkhäusern stammt aus dem 16. und frühen 17. Jahrhundert mit zahlreichen vorkragenden Giebelfassaden. Seit dem 17. Jahrhundert finden sich zudem traufenständige Bauten.
Für die kurzentschlossenen Reisenden empfehlen wir eine Promenade durch folgende Straßenzüge: An der Stadtkirche, Kalandgasse, Kanzleistraße, Schuhstraße, Am Heiligen Kreuz, Neue Straße, Zöllnerstraße, Mauernstraße und Poststraße. Damit hat man zugleich eine kleine Reise durch charakteristische Formen des niedersächsischen Fachwerkbaus unternommen.
Typische Ornamentformen
Das herausragendste Fachwerkgebäude der Altstadt ist zweifelsohne das 1532 datierte Hoppenerhaus in der Poststr. 8 mit seinem dekorativen Aufwand. Insbesondere durch die figürlichen Darstellungen mit Fabelwesen, antiken Gottheiten und volkstümlichen Gestalten nimmt es eine Sonderstellung in Celle ein. Der gotische Rankenstab ist dagegen ein Motiv, das auch an anderen Häusern wie in der Mauernstr. 15 und 34 zu finden ist. Eine alte Celler Ornamentform stellt auch der Treppenfries dar, der sich zum Beispiel an der Mauernstr. 1, der Schuhstr. 27, Am Heiligen Kreuz 26 und der Neuen Str. 32 findet. An der Schuhstr. 45 tritt der Treppenfries im Wechsel mit Rosetten auf.
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts traten antike Ornamente wie Zahnschnitt, Eier- und Perstab sowie Beschlagwerkdekor der Renaissance in den Vordergrund. Knaggen werden vielfach reich profiliert. Herausragende Beispiele sind hier die Häuser Zöllnerstr. 6 und 22, der mittlere Giebel des Komplexes Zöllnerstr. 44 oder die ehemalige Lateinschule in der Kalandstraße. Häufig werden auch Gebäudeecken kandelaberartig verziert wie in der Kanzleistr. 15 oder am Markt 7.
Im Barock seit der Mitte des 17. Jahrhunderts werden die Fassaden großflächiger. Das Vorkragen der Geschosse wird reduziert oder weitgehend aufgegeben. Die kleinteilige Ornamentik der Renaissance ist nicht mehr angesagt. Mehr Gewicht bekommt die Gestaltung der Portalanlagen, die häufig mit kräftigen Segmentbogengiebeln ausgestattet werden. Gut studieren lässt sich dies bei den Häusern nördlich der Stadtkirche, in der Rundestr. 3 sowie am Großen Plan, einer romantisch anmutenden, dreiecksförmigen Platzanlage im Südwesten der Altstadt. Das hier 1675 erbaute und Ende des 18. Jahrhunderts umgestaltete Stachinellihaus wirkt mit seinem auf kannelierten ionischen Pilastern ruhenden Dreiecksgiebel, dem Mansarddach und der einfarbigen Fassung der Fassade auf den ersten Blick wie ein Steinhaus. Diese Konkurrenzsituation ist zweifelsfrei bewusst gewählt.
Vor den Toren der Altstadt
Was macht Celle sonst noch lebens- und sehenswert? Auffälligerweise haben sich auch außerhalb der Altstadt und des Schlossbezirks Viertel mit bemerkenswerten historischen Ensembles erhalten, die von der Bedeutung einer frühneuzeitlichen Residenz zeugen, die über ihre mittelalterlichen Grenzen gewachsen ist. So verfügt Celle noch über Vorstädte mit teilweise erhaltener palaisartiger Bebauung und Park- und Gartenanlagen. Blumlage ist unter ihnen die älteste. Aber vor allem die Westerceller Vorstadt ist einen genaueren Blick wert. Südlich der Altstadt besteht mit dem Französischen Garten eine schöne Parkanlage, deren Wurzeln bis ins beginnende 17. Jahrhundert reichen.
Besuchern, die tiefer in die Geschichte Celles einsteigen wollen, möchte ich zuletzt das Bomann-Museum an Herz legen, das durch die Kulturgeschichte Celles führt. Die Lüneburger Heide hat mit der Residenz- und Fachwerkstadt Celle weitaus mehr zu bieten als liebliche Landschaften. Die Stadt ist ein hervorragender Ausgangspunkt für vielfältige Unternehmungen und Urlaubsaktivitäten in dieser reizvollen Region Niedersachsens. Ich denke, das kann man hervorheben, ohne zu übertreiben.