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Das Essighaus in Bremen – (k)eine historische Fassaden-Rekonstruktion

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Essighaus Bremen
Essighaus Bremen: Rekonstruiertes Untergeschoss mit Utluchten

Zerstörte Weserrenaissance

Die stolze Hansestadt Bremen verlor im letzten Weltkrieg wie so viele deutsche Großstädte wesentliche Teile ihres historischen Stadtbildes. Viele aufbaufähige Ruinen wichen in den Nachkriegsjahren dem vermeintlichen Ideal einer autogerechten Stadt. Bremen büßte in dieser Zeit nicht nur die für die Stadtsilhouette bedeutende St.-Angarii-Kirche mit ihrem markanten Turm ein, sondern vor allem zahlreiche Bürgerhäuser des 16. und 17. Jahrhunderts. Die im Stile der Weserrenaissance errichteten Bauten gaben der Stadt ein einzigartiges Gesicht, von dem heute in der Altstadt nur noch verstreute Traditionsinseln anzutreffen sind.

Einer der schmerzlichsten Verluste betrifft das Essighaus in der Langenstraße, die einst gesäumt war von prächtigen Giebelhäusern. Von ihnen wurde die Stadtwaage, deren Außenmauern den Krieg überstanden hatten, wieder aufgebaut. Von dem reich dekorierten Essighaus, das 1618 im Auftrag eines Bremer Kaufmanns erbaut wurde, blieben dagegen nur Trümmer, so dass es lediglich zu einer Rekonstruktion des Untergeschosses mit seinen beiden Utluchten kam. Zahlreiche Spolien wurden allerdings geborgen, die eine Wiedererrichtung der gesamten Fassade nicht unrealistisch erscheinen lassen.

Rekonstruktionspläne

Investoren im Balgequartier

In vielen Fällen geht die Initiative für Rekonstruktionsprojekte auf eine engagierte Bürgerschaft zurück. Entsprechend lang sind die Prozesse bis zur Realisierung – Politik und Investoren wollen von der Nachhaltigkeit des Bauens nach historischem Vorbild überzeugt werden. Nicht so in Bremen! In der Hansestadt haben es die Befürworter einer historisierenden Stadtreparatur besonders schwer. Es mangelt an Strukturen und Initiativen, wie sie mit den Altstadtfreunden Nürnberg, der Gesellschaft Historischer Neumarkt in Dresden oder dem Verein Pro Altstadt in Frankfurt in vielen Großstädten existieren.

Umso überraschender erfolgte 2018 der Vorstoß des Investors Dr. Christian Jacobs, einem Spross der weit über Bremen hinaus bekannten Kaffeeröster-Dynastie. Im Zuge eines Entwicklungskonzeptes für das Balgequartier im Herzen der Bremer Altstadt sollte die Fassade des Essighauses als Rekonstruktion rund 80 Jahre nach ihrer Zerstörung wieder auferstehen. Mit den Planungen wurde das Züricher Architekturbüro Miller & Maranta beauftragt.

Debatte um die Entwürfe

Doch die Pläne stießen auf ein geteiltes Echo bei der Gemeinde der Rekonstruktionsfreunde. Während die einen jedes Projekt dieser Art grundsätzlich befürworteten, verwiesen andere auf elementare Defizite der Entwürfe von Miller & Maranta. Die in meinen Augen wesentlichen Argumente sind hier zusammengefasst:

  • Die Fassade wirkt an dem geplanten Neubau wie eine Applikation ohne organische Bindung, wie ein angehefteter Fremdkörper. Dies ist vor allem der Überhöhung des Baukörpers über die Giebelfläche der Renaissancefassade hinaus sowie der widersprüchlichen Geschosseinteilung geschuldet.
  • Die Geschosseinteilung des Neubaus führt zusätzlich zu dem Problem, dass die Fenster der Fassade nicht in ihrer eigentlichen Funktion ausgeführt werden, sondern allenfalls als tiefe Blendnischen wirken können. Das würde den Eindruck des Fremdkörpers zusätzlich verstärken.
  • Auf der Projektwebsite zum Balgequartier ist zu lesen, dass man beabsichtigte, die Fassade als Betonabguss mit Einbeziehung der noch vorhandenen Spolien zu realisieren. Doch alles andere als eine Sandsteinfassade und damit eine authentische Materialität würde den Eindruck einer minderwertigen Kopie zusätzlich verstärken.
  • Das Essighaus entfaltet erst mit einer entsprechenden Rahmung durch weitere Giebelfassaden in der Straßenflucht seine volle städtebauliche Wirkung. Der Entwurf negiert aber die gewachsenen Strukturen des Umfeldes und wiederholt die seit dem Krieg existente Leere links des Hauses.

Ein spontaner Gegenentwurf des Architekten Axel Spellenberg versucht, die wesentlichen Punkte der Kritik abzufangen. Ob dieser allerdings mit den Vorstellungen des Investors kompatibel ist, darf angezweifelt werden.

Die berechtigte Kritik an dem Entwurf von Miller & Maranta einerseits und der sehnliche Wunsch andererseits, ein Stück Alt-Bremen wiederauferstehen zu lassen und damit auch Urbanität und Aufenthaltsqualität in der Altstadt zu fördern, führt damit zwangsläufig in ein Dilemma unter Rekonstruktionsbefürwortern. Dieses könnte nur durch einen gemeinsamen Dialog aufgelöst werden, der die Bedürfnisse des Investors und die qualitativen Standards einer Rekonstruktion zu einem gangbaren Kompromiss zu formen versucht. In Bremen scheint es aber auf Seiten der Bürgerschaft an den entsprechenden Gesprächspartnern zu mangeln.

Eine vertane Chance für Bremen

Doch wie wenig ernst es dem Investor mit der Reparatur der historischen Mitte Bremens war, zeigt die neuerliche Wendung in der Causa Essighaus. Überraschend sind alle Pläne zur Wiedererrichtung der Renaissancefassade ad acta gelegt worden. Was Jacobs zu dem erneuten Schwenk bewog, muss Spekulation bleiben. Doch kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, die aus dem Boden gestampfte Idee einer Rekonstruktion des Essighauses diente ihm lediglich als Zugpferd für eine möglichst günstige Verhandlungsposition mit der Stadt.

Stattdessen möchte man eine „historische Verschattung“ realisieren. Was sich konkret hinter dieser Begrifflichkeit verbirgt, bleibt offen. Ebenso stellt sich nun die berechtigte Frage, was mit dem nach dem Krieg rekonstruierten Untergeschoss des Essighauses geschehen soll. Immerhin trägt dieses erhebliche Originalsubstanz und steht seit 1973 unter Denkmalschutz. Eine Translozierung oder gar ein Abriss sollten unter diesen Umständen keine Option darstellen.

So oder so hat Bremen hier eine einmalige Chance vertan, sein historisches Stadtbild aufzuwerten. Da fügt es sich ins Bild, dass ein Teil der mit der Thematik befassten Journalistenschaft die Sachkunde für historische Architektur gänzlich vermissen lässt. Die Spätrenaissance-Fassade des Essighauses aus dem frühen 17. Jahrhundert wird wiederholt und durchgehend als mittelalterlich angesprochen. Dieser Fauxpas ist dann von anderen Autoren unreflektiert tradiert worden. Steht es wirklich so schlecht um das kulturelle Erbe in Bremen?

23 Kommentare zu “Das Essighaus in Bremen – (k)eine historische Fassaden-Rekonstruktion

  1. Wirklich schade, dass in Bremen kein Interesse an der Wiederherstellung historisch wichtiger Gebäude besteht. Was wird denn aus dem Giebel des heutigen Essighauses, der vom Caesarschen Haus stammt? Das Carsarsche Haus fiel leider 1956 der Erweiterung des Schüsselkorbs zum Opfer. Teile des Giebels wurden dann in den Bau des Essighauses integriert.

    https://wkgeschichte.weser-kurier.de/den-krieg-ueberstanden-aber-nicht-die-nachkriegszeit/

    1. Ja, in Bremen hat nicht nur der Krieg, sondern auch die Nachkriegszeit gewütet. Und leider ist man noch immer nicht bemüht, alte Fehler zu berichtigen.

    2. Unser Verein ANSCHARI e. V. hat ein ausgewiesenes Interesse an der Wiederherstellung historisch wichtiger Gebäude, explizit des Essighauses, Kornhauses und des Turms der St. Ansgarikirche. Darüberhinaus bekundeten und bekunden zahlreiche Bürger*innen aus Bremen und Umzu Interesse an Rekonstruktionen. Was mit dem heutigen Giebel des Essighauses wird, da fragen Sie am besten den Investor Dr. Christian Jacobs, Hamburg.

    1. Fordern können wir natürlich viel, aber wie die Bremer das erreichen wollen, das kann ich noch nicht erkennen. Ein Bürgerbegehren wäre sicher ein Ansatz, aber in Bremen scheint sich der Protest sehr in Grenzen zu halten.

      1. Sie müssen es ja wissen. Der „Protest in Bremen“ gegen massiv stadtbildverändernde Projekte – Bürgerschaftshaus am Marktplatz, Mozarttrasse, Schnoor-Bebauung, St. Rembertiring-Bebauung, Dudler-Blöcke am Hbf, Abriss der Medienvilla oder Abbruch des denkmalgeschützten Anbaus der Villa Schröder – war enorm, teils erfolgreich, teils nicht. Dass es zu Resignationserscheinungen in Sachen Essighaus gekommen ist, ist allzu verständlich, wenn der Investor und Senat zu keinerlei Dialog mehr bereit sind, sondern das Balgequartier-Projekt über die Bürger*innen, deren Einwände und Kritik hinweg, durchsetzen. Immerhin haben jetzt die Initiatoren der Bahnhofsplatz-Initiative eine Petition zum Wiederaufbau der Essighausfassade initiiert. Es geht nicht darum, nur etwas zu „fordern“, sondern dass ein Dialog zwischen den unterschiedlichen Interessen und Vorstellungen ins Leben gerufen wird. Ihr Statement ist wenig hilfreich, vielmehr kontraproduktiv.

        1. Ich bin dankbar für jeden Hinweis auf entsprechende Initiativen. Ich bin ja nicht erst seit gestern mit entsprechenden Thematiken rund um Stadtbild, Denkmalpflege und Rekonstruktion befasst, aber aus Bremen dringt da wenig an die Öffentlichkeit. Da sind andere Städte nun einmal besser aufgestellt.

          1. „Andere Städte“ hatten und haben Prestige-Projekte mit entsprechender, nationaler und internationaler Öffentlichkeitswirkung und Spendenbereitschaft: Frauenkirche und Neumarkt Dresden, Schloss Berlin, Garnisonkirche Potsdam, Altstadt Frankfurt. Wen interessiert in Deutschland das Essighaus Bremen? Und in wen dringt die Bedeutung und der Wert dieses in Norddeutschland einmalig gewesenen Renaissance-Gebäudes? Nicht mal der Denkmalschutz hat ein Interesse an der Rekonstruktion, tut aber alles, sie zu verhindern. Und gab seine Zustimmung zum Abtrag der Utluchten und zu einer unsäglichen Verballhornung der ehemals großartigen Fassade als eine auf einen 9-geschossigen Büroklotz aufgeklebte Disneyland-Fassade. Tun doch auch Sie etwas gegen diesen Fassadenwitz der Bremer Geschichte und kritteln nicht immer nur am mangelnden Engagement in Bremen herum. Was nützt uns der Vergleich mit „anderen Städten“? Nichts.

            1. Ich rede nicht von den großen Vorzeigeprojekten, sondern von dutzenden Kleinstädten, in denen Förderkreise und Altstadtfreunde tätig sind und über deren Aktivitäten man sich ausführlich online informieren kann. Wenn ich auf die Schwachpunkte der Stadtbildinitiativen in Bremen hinweise, dann geschieht es mit dem Ziel, dass Sie genau an dieser Stellen ansetzen, um zumindest ein solides Gerüst für ihre Öffentlichkeitsarbeit zu gestalten.

              1. Sie redeten von „anderen Städten“, plötzlich „dutzenden Kleinstädten“. Immer ein mir altbekanntes Verdrehen des Gesagten zum eigenen Vorteil. Aha, und immer nur die „Schwachpunkte“ bei anderen sehen wollen. Immer andere belehrend und besserwisserisch vor den Kopf stoßend. Ihr „Hinweis“ ist für uns so interessant und wichtig, wie der berühmte Sack Reis in China umfällt.

                1. Ich habe Ihren Verein in meinem Artikel mit keinem Wort erwähnt. Sie sind hier aufgetaucht und haben ihn thematisiert! Schon vergessen? Ich würde doch nachdrücklich darum bitten, dass wir die Diskussion an dieser Stelle beenden. Ihnen sollte bewusst sein, dass wir uns hier im öffentlichen Raum befinden.

  2. Natürlich war mein „Gegenentwurf“ nicht „kompatibel mit den Vorstellungen des Investors“. Was er in einem Schreiben an einen Rekonstruktionsbefürworter ausgedrückt hat: „Die Entwürfe von Axel Spellenberg passen nicht so recht zu den Großbauten in der Langenstraße.“ Er wolle sie aber auf der Expo-Real auf ihre Realisierbarkeit hin „testen lassen.“ Testergebnis wurde von ihm nie bekannt gegeben. Auf meine Frage an Dr. Jacobs, welche „Großbauten in der Langenstraße er denn meine, antwortete er nie. Wie er auch sonst keine Briefschreiben zum Thema mehr beantwortete. Was soll also der aus der Luft gegriffene Vorwurf hier des „Mangels an entsprechenden Gesprächspartnern in Bremen“?

    1. Das ist kein Vorwurf, sondern lediglich eine bedauernswerte Feststellung. Es gibt in Bremen schlichtweg keine Bürgerinitiative, die mit einer funktionierenden Öffentlichkeitsarbeit Einfluss auf die Gestaltung der Altstadt nehmen könnte.

      1. Leider eine bedauernswert falsche Feststellung. Und Herabsetzung des Engagements von Bürger*innen, die sich für die künftige Gestaltung der Bremer Altstadt einsetzen. Wie unser Verein ANSCHARI e. V., der mit einer „funktionierenden Öffentlichkeitsarbeit“ (u. a. im Weser Kurier) seit Jahren schon in Erscheinung getreten ist und dies auch in Zukunft, noch maßgeblich verstärkt, tun wird. Haben Sie auch nur ein mal etwas Konstruktives anzubieten?

        1. Ich setze niemanden herab. Der Verein agiert für Außenstehende weitgehend im Verborgenen. Mit Ausnahme einiger weniger Zeitungsartikel fehlt es vor allem an einem funktionierenden Online-Auftritt. Es existiert keine Website, es gibt keine Social-Media-Kanäle und mir sind auch keine Werbematerialien in gedruckter Forum bekannt. Wie soll sich denn ein Interessent über Hintergründe, Ziele, Aktivitäten und die agierenden Personen des Vereins schnell und zielgerichtet informieren? Ich kenne unzählige vergleichbare Initiativen, die eine ganz andere Öffentlichkeitsarbeit zu bieten haben. Hier gilt es in Bremen dringend Abhilfe zu schaffen.

          1. Na , dann spenden Sie uns mal bitte eine nette Summe, mit der wir die von Ihnen bemängelte Öffentlichkeitsarbeit unseres Vereins finanzieren können. Nur so viel: es ist uns selber bekannt und bewußt, an was es uns mangelt: „Website, Social-Media-Kanäle, Werbematerialien in gedruckter Form“ usw. Dies alles kostet Geld, und zwar nicht wenig. Nur über Spenden ist das zu finanzieren. Diese konnten und können bislang leider nicht eingeworben werden, da uns die Gemeinnützigkeit bislang nicht anerkannt worden ist. Diese durch aufwendige und zeitintensive Satzungsänderungen und Vereinsbeschlüsse, notarielle, registergerichtliche und finanzbehördliche Wege, zu erlangen, sind wir seit unsäglich werdender Dauer bemüht. Die Hoffnung auf baldige Erlangung stirbt zuletzt. Sie haben immer nur gut reden, kennen keine Hintergründe und Fakten, und zeichnen so in der Öffentlichkeit ein negatives Bild über uns. Sie wollen unfehlbarer sein als der Papst es noch sein will.

            1. Für Ihre Probleme mit dem Finanzamt sind Sie selbst zuständig. Aber auch hier gilt: Fragen Sie doch mal bei den unzähligen gemeinnützigen Förderkreisen und Altstadtfreunden nach, wie diese dies bewerkstelligt haben. In aller Regel werden Kulturvereine nämlich als gemeinnützig anerkannt. Im Übrigen können Sie auch als nicht gemeinnütziger Verein Spenden sammeln, dürfen nur keine Spendenbescheinigungen ausstellen, lediglich eine Quittung.

              1. Immer der Oberlehrer Damian Kaufmann: natürlich sind wir selbst zuständig, wer denn sonst? Und haben bei Förderkreisen und Altstadtfreunden nachgefragt, aber nicht unzähligen. Was wir können und dürfen, ist uns selbst bekannt. Beruf verfehlt.

                  1. Immerhin haben Sie einen Gebäudeentwurf von mir als Freischaffender Architekt abgebildet, und das ohne meine Einwilligung. Um ihn zur Diskussion zu stellen. Auf dem Entwurf und Foto liegen Urheberrechte.
                    Diskussion beendet. Punktum finale.

                    1. Natürlich habe ich Ihren Entwurf veröffentlicht, weil ich ihn als Bildzitat für meine Besprechung nutzen darf. Ich benötige dafür nicht Ihre Einwilligung. Meine Fazit zu Ihrem Entwurf fiel übrigens positiv aus, wie Sie nachlesen können.

  3. Es ist für mich nachrangig, ob man, und wer, meine Entwürfe veröffentlicht oder nutzt. Ich arbeite für Alle, nicht für mich und meine Urheberschaft, die eh nicht von mir selber stammt, sondern von einer höheren, nicht menschlichen Instanz. Ich bin es gewohnt und musste es hinnehmen, dass Erst-Ideen von mir von anderen realisiert wurden: Reichstagskuppel, Abbruch Techn. Rathaus u. Wiederaufbau Altstadt Frankfurt, Überbauung des Altstadtrings Ulm zwischen dem Münster und historischen Rathaus, Schloss-Anbau Ettlingen. Alles Wettbewerbe, bis auf Berlin und Ulm mit Preisen prämiert..

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