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Spätmittelalterliche Residenzstadt
Prag und Tangermünde in einem Atemzug – eine zweifelhafte Verbindung? Tatsächlich verbindet die altmärkische Kleinstadt an der Elbe vieles – vor allem Historisches – mit der berühmten Schwester an der Moldau. Prag war unter Kaiser Karl IV. wichtigste Residenz im Heiligen Römischen Reich. Nachdem dieser 1373 seinen Sohn Wenzel zum Kurfürsten der Mark Brandenburg gemacht hatte, stieg Tangermünde zur zweitwichtigsten Residenz im Reich auf. Die Burg Tangermünde wurde in diesem Zuge ausgebaut.
Seit 1368 war die Stadt Mitglied der Hanse. Die Blütezeit Tangermündes folgte im 15. Jahrhundert, nachdem die Hohenzollern 1415 durch König Sigismund mit der Mark Brandenburg belehnt wurden. Sie residierten ebenfalls in Tangermünde. Doch im Laufe des späten 15. Jahrhunderts wurde die Residenz nach Cölln verlegt, wo seit 1443 das Berliner Schloss entstand. Tangermünde hat somit einen Platz in der frühen Geschichte Brandenburgs inne, die schließlich in den preußischen Staat mündete.
Da bereits im 16. Jahrhundert der Niedergang der Stadt einsetzte und sie somit im Gegensatz zu vielen anderen Residenzen vor neuzeitlichen Überformungen verschont blieb, haben sich zahlreiche Zeugnisse ihrer mittelalterlichen Geschichte erhalten. Als Baumaterial ist fast ausschließlich Backstein zum Einsatz gekommen, der mit seinem strahlenden Rot einen Kontrast zu den hellen Farben der zahlreichen neuzeitlichen Putz- oder Fachwerkhäuser bildet. Allen voran ist das Rathaus zu nennen, aber auch die außergewöhnlich vollständige Stadtbefestigung mit ihren Stadttoren ist hervorzuheben. Die Hauptpfarrkirche St. Stephan mit ihrer markanten Westturmanlage ist Ausdruck der Bedeutung der Elbestadt im Mittelalter.
Stadtanlage und Burgberg
Tangermünde liegt an der Mündung der Tanger in die Elbe – woraus sich auch der Name der Stadt ableitet. Die Geografie des Ortes ist durch die Lage am Steilufer der Flussläufe geprägt. Dadurch wirkt die elbseitige Stadtmauer mit dem Elbtor und dem steilen Anstieg zur Stadt geradezu festungsartig. Die beiden Hauptstraßen der mittelalterlichen Stadt (Lange Straße und Kirchstraße) verlaufen parallel zur Elbe vom Neustädter Tor im Südwesten zum Hünerdorfer Tor im Nordosten und sind von zahlreichen Fachwerkhäusern gesäumt. Der Marktplatz befindet sich in der Stadtmitte, gerahmt von den beiden Straßenzügen.
Davon abgesetzt befindet sich die erstmals 1009 erwähnte Burganlage nordöstlich der Altstadt. Die mittelalterliche Bebauung auf dem Burgberg hat sich teilweise bewahrt: große Abschnitte der Ringmauer, ein in Teilen erhaltener romanischer Wohnturm, die mehrfach umgebaute sogenannte Kanzlei und ein markanter Rundturm aus dem 15. Jahrhundert. Das Areal wird heute als Hotelanlage genutzt. In den gartenartigen Grünanlagen stehen die Bronzestandbilder von Kaiser Karl IV. und dem Kurfürsten Friedrich I. aus dem Hause Hohenzollern. Der Blick von hier oben auf die Elbe und das östlich des Flusses liegende Jerichower Land ist fulminant!
Backsteingotik auf Schritt und Tritt
Rathaus
Das am Marktplatz gelegene Rathaus ist ein Paradebeispiel spätgotischer Backsteinarchitektur. Es besteht aus einem um 1430 entstandenen Ostflügel und einem etwas jüngeren Westflügel mit Laube. Der Ostflügel mit seiner filigranen Schaufassade wird allgemein dem Baumeister Hinrich Brunsberg zugeschrieben.
Brunsberg war einer der ersten Architekten in Mitteleuropa, der namentlich greifbar ist. Er wirkte um 1400 in der Mark Brandenburg und im Herzogtum Pommern, so neben Tangermünde auch in Brandenburg, Stettin, Stargard oder Königsberg in der Neumark. Seine Bauten zeichnen sich durch reiche dekorative Elemente wie Schmuckfriese und freistehende Giebel mit Maßwerkrosetten und krabbenbesetzten Wimpergen aus. Zum Einsatz kamen dabei häufig glasierte Ziegel.
Hauptpfarrkirche St. Stephan
Die Pfarrkirche St. Stephan beherrscht das Stadtbild mit ihrer monumentalen Doppelturmfassade. Die Kirche entstand in der heutigen Form wohl nach der Übernahme durch ein Kollegiatstift ab dem späten 14. Jahrhundert, wobei das Langhaus älter ist als die Ostteile mit Querhaus und Chor. Von einem romanischen Vorgängerbau haben sich nur geringe Reste erhalten. Der spätgotische Neubau ist eine Hallenkirche mit Querhaus und Hallenumgangschor.
Besonders reich zeigt sich der Außenbau an den Querarmen mit ihren Staffelgiebeln und den Portalanlagen, die von teppichhaften Flächen aus durchbrochenen Vierpässen gerahmt werden und im Tympanon Fischblaen-Maßwerk aufweisen. Verwandte Formen spätgotischer Backsteinarchitektur findet man an den Burgkappelen in Ziesar und Wolmirstedt.
Stadtbefestigung
Die fast vollständige Stadtbefestigung präsentiert sich elbseitig mit der hoch aufragenden Stadtmauer, dem Elbtor, dem Steinbergturm und den Putinnen genannten Mauertürmen besonders eindrucksvoll. Das Neustädter Tor, das aus Südwesten in die Stadt führte, ist eine Doppelturmanlage mit Resten eines Vortores und der Zwingermauer. Malerisch erhebt sich dahinter der Turm der Nikolaikirche, die bereits im 19. Jahrhundert zu Wohnzwecken profaniert wurde.
Ferner hat sich im Nordosten der Altstadt ein Torturm des Hühnerdorfer Tores erhalten. Die Toranlage bestand ursprünglich ebenfalls aus Haupttor, Vortor und Zwingermauer. Derartige Anlagen haben sich in Mitteleuropa sehr selten erhalten und können am vollständigsten in Neubrandenburg bewundert werden. Von den vier Ecktürmen der Stadtbefestigung ist der sogenannte Schrotturm – ein Rundturm mit erkerartigen Anbauten – im Westen erhalten.
Fachwerkromantik und Promenadenflair
Ich kenne Tangermünde seit den 90er Jahren und bin bei meinen Besuchen immer wieder begeistert, welche Entwicklung der kleine, weitgehend unbekannte Ort genommen hat. Es sind eben nicht nur die mittelalterlichen Einzelobjekte und die fast vollständige Stadtbefestigung, die der altmärkischen Stadt ihren besonderen Reiz verleihen.
Entlang des Hafenbereichs unterhalb der Stadtmauer ist eine Promenade entstanden, auf der sich bei sonnigem Wetter unzählige Tagestouristen tummeln. Von dort führen einige spektakuläre Wege in die mittelalterliche Stadt, allen voran der Aufstieg durch das Elbtor und den dahinter angelegten Hohlweg. Nicht minder reizvoll ist der Weg über die Schlossfreiheit, die zwischen Altstadt und Burgberg hinaufführt und in ihrem oberen Abschnitt einige stattliche Bürgerhäuser aufzuweisen hat. Die Marktstraße verläuft vom Rathaus Richtung Süden entlang zahlreicher Fachwerkbauten zu den Putinnen, von wo eine Treppe zum Tangerufer herabsteigt. Zu entdecken gibt es in Tangermünde an jeder Ecke etwas.