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Sind Rekonstruktionen politisch motiviert?

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Frankfurt am Main - Luftbild der Altstadt 1942
Frankfurt am Main – Luftbildaufnahme der Altstadt 1942

Die neue Frankfurter Altstadt

Die Frankfurter Altstadt ist mehr als 70 Jahre nach ihrer Zerstörung in Teilen wieder auferstanden. Im September wird mit einem Festakt ihre offizielle Eröffnung gefeiert. Wie so häufig gab und gibt es bei solchen Rekonstruktionsprojekten Befürworter und Kritiker. Beiden Seiten kann man nicht absprechen, das eine oder andere nachvollziehbare Argument in die Diskussion zu werfen. Doch der Architekturtheoretiker Stephan Trüby, neuerdings Leiter des IGMA – Institut für Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen an der Universität Stuttgart, geht in dem Disput weiter. Er unterstellt Rekonstruktionsbestrebungen eine politische Motivation und zwar von rechts außen.

Bereits im April hatte Trüby in einem FAZ-Artikel darauf hingewiesen, dass die Initiative für den Wiederaufbau in Frankfurt von dem Politologen Claus Wolfschlag ausging, der sich im rechten Milieu verorten ließe. Der Antrag zur kleinteiligen, an den historischen Verhältnissen orientierten Bebauung des Dom-Römer-Areals erfolgte schließlich durch Wolfgang Hübner von den Freien Wählern BFF, der Frankfurter Bürgerschaft. Was Trüby allerdings weitgehend unter den Tisch fallen läßt: Der Entscheid für die Teilrekonstruktion der Frankfurter Altstadt fiel 2007 unter einer schwarz-grünen Koalition. Trüby schreibt wörtlich:

Die Rekonstruktionsarchitektur entwickelt sich in Deutschland derzeit zu einem Schlüsselmedium der autoritären, völkischen, geschichtsrevisionistischen Rechten.

Es mag naheliegend sein, dass Rekonstruktionen der revisionistischen Geschichtsschreibung rechter Kreise entgegenkommen. Daraus aber den Umkehrschluss zu ziehen und Rekonstruktionsbestrebungen unter Generalverdacht zu stellen, rechten Ideologien Vorschub zu leisten, ist befremdlich eindimensional gedacht. Herausgekommen ist dabei ein fragwürdiger Aufruf der Architekturzeitschrift ARCH+, bei der Trüby als Autor und Beirat fungiert. Gefordert wird eine „Rekonstruktions-Watch wider den modernefeindlichen Architekturpopulismus“. Was für ein kämpferischer Appell! Geht es hier lediglich darum, gesellschaftliche und politische Fehlentwicklungen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken oder vielmehr darum, auf den Kampf zweier gegensätzlicher Architekturideologien einzuschwören? Mir drängt sich letzterer Gedanke auf.

Stephan Trüby im Interview

Rekonstruktionsarchitektur der Rechten?

Doch Trüby legt sogar nach. Vor wenigen Tagen erschien ein Interview in der taz, das es an Sprengstoff innehat. Als Kunsthistoriker und Freund traditionellem Bauens kann ich die steilen und provokanten Thesen Trübys nicht unwidersprochen stehen lassen.

Wenn Rechte über Architektur sprechen, dann sprechen sie nahezu immer über Rekonstruktion. Mit dem scheinbar harmlosen Wiederaufbau beispielsweise einer Altstadt versuchen sie die Mitte der Gesellschaft zu erreichen.

Mit dem Thema „Rekonstruktion“ können sich Rechte hinter einer scheinbar unpolitischen Fassade verschanzen – und dennoch höchst politische Fakten schaffen.

Mit dem ersten Teil der Aussage mag ich noch konform gehen. Inwiefern die Wiedergewinnung eines historisch gewachsenen Stadtbildes den Versuch darstellt, rechtes Gedankengut in die Mitte der Gesellschaft zu treiben, erschließt sich mir aber nicht. Noch weniger kann ich nachvollziehen, wie dadurch politische Fakten geschaffen werden. In meinem Verständnis ist Architektur zunächst unpolitisch, es sei denn, sie trägt eine offensichtliche politische oder gesellschaftliche Symbolwirkung.

Dresden - Neumarkt mit Frauenkirche
Dresden – Neumarkt mit Frauenkirche

Alle mir bekannten Rekonstruktionsprojekte werden von einer breiten Schicht aus der Bürgerschaft und den regierenden Volksparteien getragen. Die Vorhaben sind von dem Wunsch geprägt, unsere Innenstädte nach Jahrzehnten verfehlter Stadtplanung wieder lebens- und liebenswert zu gestalten: weg von der autogerechten Stadt und den identitäts- und gesichtslosen Glas- und Betonwüsten! Das gilt für Dresden und Frankfurt ebenso wie für Potsdam oder ältere Beispiele wie Hildesheim. Die Architektur wird nicht allein dadurch ideologisch besetzt, dass sich auch Rechte damit identifizieren können. Oder möchte Herr Trüby behaupten, die wiederauferstandene Frauenkirche in Dresden oder die Rekonstruktion des Potsdamer Stadtschlosses in der Funktion des brandenburgischen Landtages seien Ergebnisse rechtsextremer Unterwanderung?

Nahezu jedes Rekonstruktionsprojekt geht mit einem reaktionären Geschichtsverständnis einher. Zwar hat sich meines Wissens nach keiner der Akteure hinter der Berliner Stadtschlossrekonstruktion jemals für ein „Ende des Schuldkults“ ausgesprochen. Aber auch hier soll mithilfe eines Bauwerks eine scheinbar ungebrochene deutsche Nationalgeschichte erzählt werden.

Ganz im Gegenteil! Erst der Wiederaufbau verlorener Stadtbilder schärft das Bewusstsein dafür, was der von Deutschland ausgehende Wahn vernichtet hat. Allein die Debatte über derartige Vorhaben führt dazu, dass mehr Menschen über die Zerstörung und ihre Hintergründe nachdenken. Dazu ist eine bis zur Unkenntlichkeit modern umgestaltete Stadt nicht fähig. Im Idealfall kann dabei sogar ein Ort der Erinnerung und Aufklärung entstehen. Meiner Ansicht nach sollte dies sogar ein integraler Bestandteil jedes Rekonstruktionsprojektes sein.

Städtebauliche Hässlichkeit als Standortvorteil für Integration?

Schauen Sie, Stuttgart ist im Vergleich zu Dresden eine unterkodierte Stadt, die unter einem Hässlichkeitsverdacht steht. In den Bruchstellen von Stuttgart können sich Migranten problemloser einfügen, auch etwas Eigenes aufbauen. Hier gab es noch nie eine Pegida-Demonstration. Auch eine Karriere wie die von Cem Özdemir wäre in Dresden vollkommen unmöglich gewesen. Eben auch aufgrund des übermäßigen Lokalstolzes.

Diese Argumentation ist so schräg, dass sie nicht richtiger wird, wenn man das Gegenteil behauptet. Bei aller Sympathie für eine offene Gesellschaft ohne Ausgrenzung kann es nicht erstrebenswert sein, Stadträume unattraktiv zu gestalten, damit Migranten sich darin besser einfügen können. Ganz abgesehen davon ist dieser Zusammenhang derart an den Haaren herbeigezogen, dass er sprachlos macht. In Stuttgart gab es keine Pegida-Demonstrationen, richtig. Aber warum blendet man dabei die weitreichenden Proteste gegen Stuttgart 21 aus, die sich unter anderem für den Denkmalschutz und die Unversehrtheit des Schlossgartens einsetzten? Stehen diese Proteste auch unter dem Verdacht der rechten Unterwanderung?

Cem Özdemir hätte in Dresden wahrscheinlich wirklich keine politische Karriere beginnen können, doch sicher nicht aufgrund der dortigen Bestrebungen, die baulichen Wunden des Krieges zu heilen. Er hätte sie aber in Lübeck machen können, einer Stadt, die bekanntlich Weltkulturerbe-Status besitzt und einen entsprechenden Umgang mit seinem kulturellen Erbe betreibt. Übrigens können sich Migranten in Lübeck genauso gut integrieren wie in Stuttgart. Der Lokalstolz steht dem nicht grundsätzlich entgegen.

Die Ästhetik des Brutalismus

Die Frage nach der Ästhetik von Brutalismus beantwortet Trüby mit:

Schönheit oder Hässlichkeit sind Begriffe, die wissenschaftlich nicht haltbar sind. Sobald etwas hundert Jahre alt ist, finden wir es schön. Da setzt dann automatisch ein Romantisierungsprozess ein. Der Brutalismus glaubte nach dem Zivilisationsbruch des Zweiten Weltkrieges an eine optimistische, planbare, bessere Zukunft.

Zudem geht er davon aus, dass die Menschen diesen Baustil eines Tages zu schätzen wissen:

Davon bin ich überzeugt. Das tun sie ja auch teilweise jetzt schon.

Trüby verkennt dabei, dass sich die Diskussion nicht mit wissenschaftlichen Parametern führen lässt. Für die meisten Menschen sind Rekonstruktionen der Versuch, dem jahrzehntelangen Versagen der modernen Architektur und Stadtplanung etwas entgegenzusetzen. Architektur muss sich wieder am Wohlbefinden und den Wünschen der Menschen orientieren und nicht am Ego einer Elite aus Architekten und Stadtplanern. Die Bürger – zumindest der überwiegende Anteil – wollen keinen Sichtbeton mehr sehen, schon gar nicht in den Altstädten.

Auch wenn für Rekonstruktionen der Vorwurf einer Illusion, einer Kulissenarchitektur nicht von der Hand zu weisen ist, so tritt dies hinter die Bedürfnisse der Menschen zurück. Wir müssen für den Menschen von heute bauen und nicht für das hypothetische ästhetische Empfinden zukünftiger Generationen. Wenn die Verfechter moderner Architektur dies beherzigen würden, wäre schon viel gewonnen. Die Frage nach Rekonstruktion besitzt daher weniger eine politische als eine gesellschaftliche Dimension.

Johann Friedrich Meyer - Potsdamer Stadtschloss
Johann Friedrich Meyer: Potsdamer Stadtschloss um 1773

Fazit: Architektur im Spannungsfeld der politischen Lager

Einzig die Feststellung Trübys, dass Erwiderungen auf seine Einlassungen zum Teil regelrecht hasserfüllt entgleiten, kann ich aus eigener Anschauung bestätigen. Doch zur Verschärfung der Frontlinien trägt er mit seinen Rundumschlägen gegen Altstadtfreunde – auch wenn er diese leugnet – nicht unerheblich bei.

Um dem Diskurs den Stempel des Paradoxen aufzudrücken, möchte ich mich an dieser Stelle als Befürworter sozialdemokratischer gesellschaftlicher Entwicklungen outen. Sicher stelle ich unter den Rekonstruktionsfreunden mit dieser Einstellung keine exotische Ausnahmeerscheinung dar. In diesen Bürgerbewegungen sind allerlei politische und gesellschaftliche Strömungen von rechts über konservativ bis nach links vertreten. Trübys Sichtweise greift viel zu kurz, wenn er Architektur einen politischen Duktus aufdrückt. Weder ist Rekonstruktion eine rechte Erscheinung noch ist die Moderne ein linkes Phänomen.

Mein Appell: Wir dürfen nicht den Fehler begehen, Architektur allein deshalb abzulehnen, weil sich bestimmte politische Lager damit identifizieren. Lasst uns Architektur frei jeglicher ideologischer Kriegsschauplätze betrachten. Dann entstehen wieder Bauten von Menschen für Menschen.

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