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Die neue Frankfurter Altstadt
Die Frankfurter Altstadt ist mehr als 70 Jahre nach ihrer Zerstörung in Teilen wieder auferstanden. Im September wird mit einem Festakt ihre offizielle Eröffnung gefeiert. Wie so häufig gab und gibt es bei solchen Rekonstruktionsprojekten Befürworter und Kritiker. Beiden Seiten kann man nicht absprechen, das eine oder andere stichhaltige Argument in die Diskussion zu werfen. Doch der Architekturtheoretiker Stephan Trüby, neuerdings Leiter des IGMA – Institut für Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen an der Universität Stuttgart, geht in dem Disput weiter. Er unterstellt Rekonstruktionsbestrebungen eine politische Motivation, und zwar von rechts außen.
Bereits im April hatte Trüby in einem FAZ-Artikel darauf hingewiesen, dass die Initiative für den Wiederaufbau in Frankfurt von dem Politologen Claus Wolfschlag ausging, der sich im rechten Milieu verorten ließe. Der Antrag zur Wiedererrichtung der kleinteiligen, an den historischen Verhältnissen orientierten Bebauung des Dom-Römer-Areals erfolgte schließlich durch Wolfgang Hübner von den Freien Wählern BFF, der Frankfurter Bürgerschaft. Was Trüby allerdings weitgehend unter den Tisch fallen lässt: Der Entscheid für die Teilrekonstruktion der Frankfurter Altstadt fiel 2007 unter einer schwarz-grünen Koalition. Trüby schreibt wörtlich:
Die Rekonstruktionsarchitektur entwickelt sich in Deutschland derzeit zu einem Schlüsselmedium der autoritären, völkischen, geschichtsrevisionistischen Rechten.
Es mag naheliegend sein, dass Rekonstruktionen den häufig revisionistischen Geschichtsnarrativen rechter Kulturkreise entgegenkommen. Daraus aber den Umkehrschluss zu ziehen und Rekonstruktionsbestrebungen unter Generalverdacht zu stellen, rechten Ideologien Vorschub zu leisten, ist befremdlich eindimensional gedacht. Herausgekommen ist dabei ein fragwürdiger Aufruf der Architekturzeitschrift ARCH+, bei der Trüby als Autor und Beirat fungiert. Gefordert wird eine „Rekonstruktions-Watch wider den modernefeindlichen Architekturpopulismus“. Was für ein kämpferischer Appell! Geht es hier lediglich darum, gesellschaftliche und politische Fehlentwicklungen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken, oder vielmehr darum, auf den Kampf zweier gegensätzlicher Architekturideologien einzuschwören? Mir drängt sich letzterer Gedanke auf.
Stephan Trüby im Interview
Rekonstruktionsarchitektur der Rechten?
Doch Trüby legt sogar nach. Vor wenigen Tagen erschien ein Interview in der taz, in dem der Architekturtheoretiker seine generelle Abneigung gegen Rekonstruktionen erneut zum Ausdruck bringt. Als Kunsthistoriker und Befürworter traditionellen Bauens kann ich die steilen und provokanten Thesen Trübys nicht unwidersprochen stehen lassen.
Wenn Rechte über Architektur sprechen, dann sprechen sie nahezu immer über Rekonstruktion. Mit dem scheinbar harmlosen Wiederaufbau beispielsweise einer Altstadt versuchen sie, die Mitte der Gesellschaft zu erreichen.
[…]
Mit dem Thema „Rekonstruktion“ können sich Rechte hinter einer scheinbar unpolitischen Fassade verschanzen – und dennoch höchst politische Fakten schaffen.
Mit dem ersten Teil der Aussage mag ich noch konform gehen. Inwiefern die Wiedergewinnung eines historisch gewachsenen Stadtbildes den Versuch darstellt, rechtes Gedankengut in die Mitte der Gesellschaft zu treiben, erschließt sich mir aber nicht. Noch weniger kann ich nachvollziehen, wie dadurch politische Fakten geschaffen werden. In meinem Verständnis ist Architektur zunächst unpolitisch, es sei denn, sie trägt eine offensichtliche politische oder gesellschaftliche Wirkung. Das kann aber nur bei entsprechend nationalistisch aufgeladenen Symbolbauten ernsthaft diskutiert werden.
Alle mir bekannten Rekonstruktionsprojekte werden von einer breiten Schicht aus der Bürgerschaft und den regierenden Volksparteien getragen. Die Vorhaben sind von dem Wunsch geprägt, unsere Innenstädte nach Jahrzehnten verfehlter Stadtplanung wieder lebens- und liebenswert zu gestalten: weg von der autogerechten Stadt und den identitäts- und gesichtslosen Glas- und Betonwüsten! Das gilt für Dresden und Frankfurt ebenso wie für Potsdam oder ältere Beispiele der Rekonstruktion wie in Hildesheim. Die Architektur wird nicht allein dadurch ideologisch besetzt, dass sich auch Rechte damit identifizieren können. Oder möchte Herr Trüby behaupten, die wiederauferstandene Frauenkirche in Dresden oder die Rekonstruktion des Potsdamer Stadtschlosses in der Funktion des brandenburgischen Landtages seien Ergebnisse rechtsextremer Unterwanderung?
Nahezu jedes Rekonstruktionsprojekt geht mit einem reaktionären Geschichtsverständnis einher. Zwar hat sich meines Wissens nach keiner der Akteure hinter der Berliner Stadtschlossrekonstruktion jemals für ein „Ende des Schuldkults“ ausgesprochen. Aber auch hier soll mithilfe eines Bauwerks eine scheinbar ungebrochene deutsche Nationalgeschichte erzählt werden.
Ganz im Gegenteil! Erst der Wiederaufbau verlorener Stadtbilder schärft das Bewusstsein dafür, was der von Deutschland ausgehende Wahn vernichtet hat. Allein die Debatte über derartige Vorhaben führt dazu, dass mehr Menschen über die Zerstörung und ihre Hintergründe reflektieren. Dazu ist eine bis zur Unkenntlichkeit modern umgestaltete Stadt nicht fähig. Im Idealfall kann dabei sogar ein Ort der Erinnerung und Aufklärung entstehen. Meiner Ansicht nach sollte dies sogar ein integraler Bestandteil jedes Rekonstruktionsprojektes sein.

Städtebauliche Hässlichkeit als Standortvorteil für Integration?
Schauen Sie, Stuttgart ist im Vergleich zu Dresden eine unterkodierte Stadt, die unter einem Hässlichkeitsverdacht steht. In den Bruchstellen von Stuttgart können sich Migranten problemloser einfügen, auch etwas Eigenes aufbauen. Hier gab es noch nie eine Pegida-Demonstration. Auch eine Karriere wie die von Cem Özdemir wäre in Dresden vollkommen unmöglich gewesen. Eben auch aufgrund des übermäßigen Lokalstolzes.
Diese Argumentation ist so eigenwillig, dass sie nicht richtiger wird, wenn man das Gegenteil behauptet. Bei aller Sympathie für eine offene Gesellschaft ohne Ausgrenzung kann es nicht erstrebenswert sein, Stadträume unattraktiv zu gestalten, damit Migranten sich darin besser einfügen können. Ganz abgesehen davon ist dieser Bezug derart an den Haaren herbeigezogen, dass er sprachlos macht. In Stuttgart gab es keine Pegida-Demonstrationen, richtig. Aber warum blendet man dabei die weitreichenden Proteste gegen Stuttgart 21 aus, die sich unter anderem für den Denkmalschutz und die Unversehrtheit des Schlossgartens einsetzten? Stehen diese Proteste auch unter dem Verdacht der rechten Unterwanderung? Trübys Erklärungsmuster erscheinen an dieser Stelle doch zu eindimensional.
Cem Özdemir hätte in Dresden wahrscheinlich wirklich keine politische Karriere beginnen können, doch sicher nicht aufgrund der dortigen Bestrebungen, die baulichen Wunden des Krieges zu heilen. Er hätte sie aber in Lübeck machen können, einer Stadt, die bekanntlich Weltkulturerbe-Status besitzt und einen entsprechenden Umgang mit ihrem kulturellen Erbe betreibt. Übrigens können sich Migranten in Lübeck genauso gut integrieren wie in Stuttgart. Der Lokalstolz steht dem nicht grundsätzlich entgegen.
Die Ästhetik des Brutalismus
Die Frage nach der ästhetischen Wirkung von Brutalismus beantwortet Trüby mit:
Schönheit oder Hässlichkeit sind Begriffe, die wissenschaftlich nicht haltbar sind. Sobald etwas hundert Jahre alt ist, finden wir es schön. Da setzt dann automatisch ein Romantisierungsprozess ein. Der Brutalismus glaubte nach dem Zivilisationsbruch des Zweiten Weltkrieges an eine optimistische, planbare, bessere Zukunft.
Zudem geht er davon aus, dass die Menschen diesen Baustil eines Tages zu schätzen wissen:
Davon bin ich überzeugt. Das tun sie ja auch teilweise jetzt schon.
Trüby verkennt dabei, dass sich die Diskussion nicht mit wissenschaftlichen Parametern führen lässt. Für die meisten Menschen sind Rekonstruktionen der Versuch, dem jahrzehntelangen Versagen der modernen Architektursprache und Stadtplanung etwas entgegenzusetzen. Architektur muss sich wieder am Wohlbefinden und den Wünschen der Menschen orientieren und nicht am Ego einer Elite aus Architekten und Stadtplanern. Der überwiegende Anteil der Bürger – und da lehne ich mich wohl nicht zu weit aus dem Fenster – bevorzugt keinen Sichtbeton in seinem Umfeld, schon gar nicht in den Altstädten.
Auch wenn für Rekonstruktionen der Vorwurf einer Illusion, einer Kulissenarchitektur nicht gänzlich von der Hand zu weisen ist, so tritt dies hinter die Bedürfnisse der Menschen zurück. Wir müssen für den Menschen von heute bauen und nicht für das hypothetische ästhetische Empfinden zukünftiger Generationen. Wenn die Verfechter moderner Architektur dies beherzigen würden, wäre schon viel gewonnen. Die Frage nach Rekonstruktion besitzt daher weniger eine politische als eine gesellschaftliche Dimension.
Fazit: Architektur im Spannungsfeld der politischen Lager
Einzig die Feststellung Trübys, dass Erwiderungen auf seine Einlassungen teilweise regelrecht hasserfüllt entgleiten, kann ich aus eigener Anschauung bestätigen. Doch zur Verschärfung der Frontlinien trägt er mit seinen Rundumschlägen gegen Altstadtfreunde – auch wenn er diese leugnet – nicht unerheblich bei. In diesen Bürgerbewegungen sind allerlei politische und gesellschaftliche Strömungen von rechts über konservativ bis nach links vertreten. Trübys Sichtweise greift viel zu kurz, wenn er Architektur einen politischen Duktus aufdrückt. Weder ist Rekonstruktion eine rechte Erscheinung noch ist die Moderne ein linkes Phänomen. Es gibt auch Grautöne.
Mein Appell: Wir dürfen nicht den Fehler begehen, Architektur zu ideologisieren und allein deshalb abzulehnen, weil sich bestimmte politische Lager damit identifizieren. Lasst uns Architektur frei jeglicher ideologischer Kriegsschauplätze betrachten. Dann entstehen wieder Bauten von Menschen für Menschen.



