Die Friedensstadt
Osnabrück ist vor allem durch die Verhandlungen zum Westfälischen Frieden bekannt, die dort und im nahegelegenen Münster im Jahre 1648 zur Unterzeichnung eines Friedensvertrages führten, der nicht nur den Dreißigjährigen Krieg beendete, sondern auch noch viele Jahrhunderte nachwirkte. Regelmäßig werden Jubiläen dieses Ereignisses gefeiert, so auch in diesem Jahr, in dem die Erinnerung an die Mutter aller neuzeitlichen Friedensverträge angesichts der weltweiten Entwicklungen umso dringlicher erscheint.
Doch ich möchte euch auf einen Rundgang durch die Stadt an der Hase mitnehmen, der historisch und architektonisch eine große Vielfalt zu bieten hat. Nach einem kurzen Einblick in die Geschichte der Stadt schauen wir uns zunächst die bemerkenswerte Sakralarchitektur und einige herausragende Profanbauten an, bevor wir uns in die Gassen der Altstadt stürzen, die trotz der Kriegszerstörungen die eine oder andere historische Fassade bergen.
Blick in die Geschichte
Der Ort an einer Hasefurt in einer Senke zwischen Wiehengebirge und Teutoburger Wald war bereits in sächsischer Zeit Kreuzungspunkt wichtiger Fernstraßen. Es bestanden somit Bedingungen für einen christlichen Missionsort, der 780 eingerichtet wurde. Im Rahmen der Sachsenmissionierung gründete Kaiser Karl der Große kurz darauf höchstpersönlich im Jahre 800 das Bistum Osnabrück. Der besondere Bezug zum Bistumsgründer ist in der Stadt noch heute spürbar. Neben dem Dom ist in ehemaligen Jesuitengebäuden das Gymnasium Carolinum beheimatet, das auf eine der ältesten Schulgründungen Deutschlands im Jahre 804 zurückgeht.
Im 10. Jahrhundert dürfte sich ein Markt mit Kaufmannssiedlung ausgebildet haben. Bereits 1171 erhielt Osnabrück städtische Privilegien und entwickelte sich zu einer der bedeutendsten Städte Westfalens sowie einer gewichtigen Hansestadt. Die mittelalterlichen Keimzellen der Stadt sind noch heute im Stadtgrundriss gut ablesbar. Der bischöfliche Einflussbereich war als Domburg mit einem archäologisch nachgewiesenen Mauerring versehen und lag unmittelbar an der Hase. Daran schloss sich westlich der Markt mit der 1177 erstmals erwähnten Marienkirche, der städtischen Pfarrkirche, an. Südöstlich der Altstadt entstand die Neustadt, die sich 1306 mit dieser vereinte. Sie bildete sich um das durch Bischof Detmar im Jahre 1011 gegründete Kollegiatstift mit seiner Johanniskirche heraus.
Die Bevölkerung Osnabrücks schloss sich ab 1543 überwiegend dem evangelischen Glauben an. Bedingt durch die Bestimmungen des Westfälischen Friedens stellte sich allerdings seit Mitte des 17. Jahrhunderts das Kuriosum ein, dass der Bischofssitz bis 1802 alternierend evangelisch und katholisch besetzt wurde. Unter den katholischen Fürstbischöfen gelangte Osnabrück gegen Ende des 18. Jahrhunderts zu einer letzten Blüte, die sich auch architektonisch im Stadtbild ausdrückt.
Stadtrundgang
Der Sakralbau
Dom
Der durch seine Turmlandschaft aus der Altstadt ragende Dom im Stadtzentrum ist ein würdiger Ausgangspunkt unseres Stadtrundganges, denn hier stehen wir am Ausgangspunkt der Geschichte Osnabrücks. An dieser Stelle befand sich bereits zur karolingischen Zeit eine Bischofskirche. Im 11. und 12. Jahrhundert kam es zu diversen Umbauten, zu der auch der markante Vierungsturm gehört. Unter Bischof Adolf von Tecklenburg wurden nach 1218 umfangreiche Neu- und Ausbauten in Angriff genommen. Nach einer Brandkatastrophe 1254 musste der Chor in Teilen erneut werden.
Insgesamt ist das Erscheinungsbild des Baukörpers, insbesondere des basilikalen, gewölbten Kircheninneren, vom 13. Jahrhundert geprägt. Der Dombau fügt sich mit seiner Formensprache in die westfälische Architektur der Spätromanik und Frühgotik ein und hatte erheblichen Einfluss auf den Kirchenbau im Osnabrücker Land und darüber hinaus. Der gerade schließende Chor mit seiner zweischaligen Wandstruktur, die aus stilkritischen Erwägungen heraus vor dem Brand von 1254 gestanden haben muss, stellt zweifelsohne den architektonischen Höhepunkt der Anlage dar.
Einen Blickfang bildet das zum Domhof weisende ungegliederte Westwerk mit seiner Doppelturmfassade, das wahrscheinlich bis in die Zeit des für die Stadtgeschichte bedeutenden Bischofs Benno II. (1067-1088) zurückgeht. Anregungen für den Westbau, der im Inneren eine differenzierte Raumstruktur aufweist, erfolgten aus dem sächsischen Kernland rund um den Harz. Die unterschiedliche Mächtigkeit der beiden Türme ist Folge der Erneuerung des Südturms im frühen 16. Jahrhundert. Unbedingt empfehlenswert ist auch der sehr stimmungsvolle romanische Kreuzgang des Domes, der ältere Kapitelle als Spolien (wiederverwendete Bauglieder) aufnimmt. An der Nordseite des Domes lehnt sich malerisch die Kleine Kirche (Gymnasialkirche) an, die ehemals als bischöfliche Kapelle und Jesuitenkirche diente.
Die Stadtpfarrkirchen St. Marien und St. Katharinen
Nur wenige Meter vom Dom entfernt steht am Marktplatz die Marienkirche als älteste städtische Pfarrkirche. Dabei ist der Weg vom Domhof zur Marienkirche denkbar opulent gestaltet. Biegt man in die schmale Marktstraße ein, dann baut sich am Ende des Blickes die mächtige Fassade des gotischen Umgangschores auf. Der Kirchenbau ist 1177 erstmals in Quellen erwähnt worden, wobei archäologische Befunde Vorgängerbauten der heute stehenden gotischen Anlage nachweisen. Vom Markt aus blickt man auf die steil aufragende Südfassade mit den quergestellten Satteldächern sowie dem prächtigen gotischen Brautportal mit Marienkrönung und Gleichnis der klugen und törichten Jungfrauen.
Die unterschiedlichen Bauphasen der Kirche zeichnen sich deutlich ab: Der Westriegel ist noch spätromanisch und dem Vorgängerbau zuzurechnen. Das als klassische westfälische Halle ausgeführte Langhaus ist um 1350 fertiggestellt gewesen. Der vielgliedrige basilikale Umgangschor mit Fischblasenmaßwerk aus der Zeit um 1430/40 ersetzte schließlich einen älteren Rechteckchor. Das Innere der Kirche wirkt mit ihren Bündelpfeilern außergewöhnlich steil proportioniert und luftig. Eine spannende Beobachtung für Bauhistoriker: Vermauerte Kapitelle am Ansatz des Chores lassen erkennen, dass Mitte des 14. Jahrhunderts ein das Langhaus ergänzender Hallenchor in Planung war, aber aus unbekannten Gründen verworfen wurde. Höhepunkt der Ausstattung sind der Hochalter – ein Antwerpener Flügelaltar vom Anfang des 16. Jahrhunderts – sowie ein 1560 von Johann Brabender geschaffener Taufstein mit reichem Renaissance-Dekor und Reliefs.
Die zweite Stadtpfarrkirche St. Katharinen liegt in der südlichen Altstadt und hebt sich ebenso wie St. Marien durch ihren hohen Turm in der Stadtsilhouette ab. Die Bauarbeiten zogen sich von der Mitte des 14. Jahrhunderts bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts lange hin. Auch St. Katharinen besitzt einen archäologisch nachgewiesenen Vorgängerbau. Insgesamt ist der Hallenbau allerdings deutlich bescheidener ausgeführt als sein Pendant. Als Chor dient ein einfach polygonaler Schluss.
Johanniskirche und weitere Sakralbauetn
Die Johanniskirche in der Neustadt demonstriert ihre Bedeutung als Stiftskirche mit einer Doppelturmfassade mit gewaltiger Maßwerkrose, die mit dem Dom konkurriert. Dahinter steht ein langgestreckter Hallenbau der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts mit Querhaus und Kastenchor. Er ersetzte den Vorgängerbau aus dem 11. Jahrhundert. Das Langhaus ist, wie in Osnabrück und im westfälischen Raum üblich, mit Quersatteldächern gedeckt. Die kreuzförmigen Pfeiler verweisen auf Kirchen in Braunschweig und Münster. Sehenswert ist auch der nördlich der Kirche anschließende dreiflügelige Kreuzgang aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts.
Das kirchenreiche Osnabrück verfügt natürlich auch über eine für mittelalterliche Städte übliche Bettelordenskirche. Unmittelbar an der ehemaligen Stadtmauer im Nordwesten der Altstadt lag ein 1283 gegründetes Dominikanerkloster. Seine Bauten und die gewaltige Klosterkirche beherbergen heute das Kunstmuseum der Stadt. Vor den Toren der mittelalterlichen Stadt nördlich der Hasefurt lag zudem ein Benedektinerinnenkloster, das von Bischof Benno II. im späten 11. Jahrhundert auf dem Gertrudenberg gegründet wurde. Eine Klosterkirche aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts mit Resten von Vorgängerbauten hat sich als Kleinod erhalten.
Der Profanbau
Fürstbischöfliches Schloss und der Ledenhof
Nach dem Dreißigjährigen Krieg errichteten die Fürstbischöfe von Osnabrück eine neue Residenz. Ernst August von Brandenburg-Lüneburg war der Bischofssitz im nahe gelegenen Iburg zu klein geworden. Auch wenn die Arbeiten bis 1681 andauerten, konnte der Fürstbischof bereits 1672 das Fürstbischöfliche Schloss nahe der Katharinenkirche am Übergang zwischen Alt- und Neustadt beziehen. Am Bau der vierflügeligen Anlage mit Ehrenhof waren internationale Künstler aus Oberitalien, Österreich und den Niederlanden beteiligt.
Das frühbarocke Corps de logis, der Hauptflügel des Schlosses, wechseln sich Voll- und Hauptgeschosse ab. Eine geschossübergreifende Gliederung, wie es im späteren Barock vielfach üblich wird, ist noch nicht ausgebildet. Dagegen zeugt der axiale Blick durch den dreifach durchbrochenen Uhrflügel mit Triumphbogenmotiv zum reich ornamentierten Portal de Corps der logis von herrschaftlichem Anspruch der frühneuzeitlichen Anlage.
Unweit des Fürstbischöflichen Schlosses treffen wir auf den Ledenhof. Dabei handelt es sich um einen der wenigen erhaltenen Adelshöfe bzw. Patrizierbauten in Osnabrück, die im letzten Krieg in großer Zahl zerstört wurden. Der Kernbau aus dem 14. Jahrhundert ist ein Steinwerk (auf diesen Typus wird noch einzugehen sein). Daran schließt der durch den jüngeren Treppenturm erschlossene Palas des Bürgermeisters Heinrich von Leden aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts an. Charakteristisch für die Region und Zeitstellung ist vor allem der kugelbesetzte Giebel mit Halbkreisformen. Die farbige Putzhaut mit seiner auffälligen Ritztechnik ist nach Befund rekonstruiert.
Marktplatz mit Rathaus
Der dreiecksförmig zulaufende Marktplatz ist zweifelsohne ein Paradebeispiel historischer Stadtbebauung und Osnabrücks gute Stube. Er ist gesäumt von der Marienkirche im Norden, dem Rathaus im Westen und einer geschlossenen Reihe mittelalterlich anmutender Bürgerhäuser mit Staffelgiebeln im Süden. Die Marktstraße zieht sich anschließend gen Osten Richtung Domhof und ist beidseitig mit weiteren stattlichen Fassaden, vornehmlich der Zeit um 1800, besetzt.
Das spätgotische Rathaus wurde von 1487 bis 1512 erbaut und war Schauplatz jenes Westfälischen Friedens, für den Osnabrück und Münster ihre internationale Bekanntheit erlangten. Die reiche Gestaltung der Marktfront mit Freitreppe und Sandsteinfiguren mit Baldachinen geht auf einen neugotischen Entwurf zurück. Dominant zeigt sich vor allem das gewaltige Walmdach des Rathauses. Wahrlich malerisch wirkt die Abfolge von Marienkirche, Rathaus und dazwischengeschalteter Stadtwaage aus dem frühen 16. Jahrhundert.
Steinwerke und Fachwerkbau im Heger-Tor-Viertel
Unmittelbar hinter dem Rathaus beginnt das Heger-Tor-Viertel. Das Quartier mit den engen Gassen und seiner geschlossenen historischen Bebauung aus Mittelalter und früher Neuzeit ist der Inbegriff für Osnabrücker Altstadtflair. Den westlichen Eingang in das Viertel bildet das Heger Tor, das 1817 in klassizistischen Formen entstanden ist. Eigentlich heißt es Waterloo-Tor und erinnert an die Toten in der Schlacht gegen Napoleon, doch hat es im Volksmund den Namen seines mittelalterlichen Vorgängers übernommen.
Osnabrück verfügt über eine große Anzahl sogenannter Steinwerke, die sich vor allem im Heger-Tor-Viertel finden lassen. Von den über 100 Exemplaren aus Vorkriegszeit sind noch rund 20 Gebäude erhalten. Es handelt sich dabei um mehrgeschossige, meist gewölbte Speicher- und Wohnbauten aus dem Mittelalter bis in die frühe Neuzeit. Einen entsprechenden Baukörper haben wir bereits am Ledenhof kennengelernt. Weitere prominente Beispiele finden sich in Hoflage in der Bierstr. 7 und in der Dielingerstr. 13. Auch im Osnabrücker Umland sind zahlreiche Beispiele dieses Typs auf Höfen anzutreffen.
Im Straßenzug Krahn- und Bierstraße haben sich zudem einige ansehnliche Exemplare des Osnabrücker Fachwerkbaus des 16. und 17. Jahrhunderts erhalten: Krahnstr. 7 von 1586 oder Bierstr. 24 von 1690. Das älteste datierte Fachwerkhaus Osnabrücks steht in der Krahnstr. 4. Das Hinterhaus und die Brandmauer datieren auf 1533, die vorkragende Fachwerkfassade, die allerdings im 19. Jahrhundert verändert wurde, ist dendrochronologisch auf das Jahr 1555 einzugrenzen.
Bürgerhäuser des Rokokos und des Klassizismus
Nach der Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden in Osnabrück zahlreiche repräsentative Putz- und Sandsteinbauten, die das Stadtbild vielfach prägen. Stilprägend sind vor allem die steinsichtigen Bauten mit ihrer Ornamentik und Gliederung, ausgeführt im kräftigen Ocker des Osning-Sandsteins aus dem Teutoburger Wald. Die giebelständige Tradition, wie sie noch in der Großen Str. 62 um 1790 anzutreffen ist, wird bereits 1768 in der Großen Str. 43, einem Rokokobau mit filigraner Fassadengliederung, durchbrochen.
Vorbildhaft für den Osnabrücker Klassizismus um 1800 wurde vor allem die 1782 bis 1785 entstandene Fürstbischöfliche Kanzlei an der Domfreiheit. Es handelt sich um eine doppelgeschossige, traufständige Anlage mit Mittelrisalit, Freitreppe und Pilastergliederung. Diesem Schema folgten weitgehend die bürgerlichen Bauten in der Großen Str. 46 von 1797 und die beiden repräsentativen Bauten in der Krahnstr. 1/2 sowie 9/10 aus der Zeit um 1790.
Friedensstadt mit viel Tradition
Man muss Osnabrück zugestehen, trotz der Kriegszerstörungen viel historischen Charme zu versprühen. Das trifft insbesondere auf die Achse zwischen Dom, Marktplatz und Heger-Tor-Viertel zu, durch die der eilige Stadttourist auf jeden Fall geführt werden sollte. Rund um Katharinenkirche, Schloss und Ledenhof findet sich eine weitere Traditionsinsel, die aber nicht unerheblich durch die jetzige Verkehrssituation und die jüngere Stadtplanung leidet. Die Große Straße, die geschäftige Hauptfußgängerzone, kann trotz der vereinzelt erhaltenen Bürgerhausfassaden nicht die einschneidenden Verluste an historischer Architektur verheimlichen. Erreicht man den Neumarkt, der den Übergang von der Alt- in die Neustadt markiert, muss man sich auf ein wenig ansehnliches Umfeld einstellen, in dem die Johanniskirche mit ihrem stimmungsvollen Kreuzgang wie eine belebende Oase wirkt.
Die historische Tradition spiegelt sich auch an einigen erwähnenswerten Museen wider. Am Ring um die Altstadt befindet sich ein kleines Museumsquartier. Es besteht unter anderem aus dem kulturhistorischen Museum sowie dem Felix-Nussbaum-Haus. Letzteres beherbergt die Sammlung des jüdischen Malers Felix Nussbaum, der in Osnabrück geboren und in Auschwitz ermordet wurde. Das Gebäude ist nach Plänen des Stararchitekten Daniel Libeskind errichtete worden. Am Marktplatz ehrt man einen weiteren Sohn der Stadt mit dem Erich Maria Remarque-Friedenszentrum. Der Schriftsteller wurde mit seinem Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“ international bekannt. Dieser Überblick zeigt: Die Friedensstadt Osnabrück hat weitaus mehr zu bieten als den Westfälischen Frieden.