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Kritischer Kommentar zur Restitution der Benin-Bronzen

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Altar der Königinmutter (Ikegobo)
Altar der Königinmutter (Ikegobo), spätes 18. Jahrhundert, British Museum, London

Stand der Verhandlungen und des Diskurses

2022 war es so weit: Nach langen Verhandlungen und Diskussionen gab Deutschland 1130 der hierzulande in Museen ausgestellten Artefakte an Nigeria zurück, die allgemeinhin als Benin-Bronzen kumuliert werden. Britische Truppen hatten sie im Rahmen ei­ner Strafexpedition gegen das Königreich Benin im Jahr 1897 aus dem Königspalast in Benin Ci­ty entwendet und nach Europa transportiert. In der Folge gelangte das koloniale Raubgut über den Kunsthandel auch nach Deutschland.

Doch an den Bedingungen und der Art und Weise der Restitution regt sich von berufener Seite durchaus fundierte Kritik, namentlich in der Person der Ethnologin Britta Hauser-Schäublin. In einer ganzen Reihe von Artikeln in der FAZ (auf einzelne möchte ich trotz Bezahlschranke gegen meine übliche Gewohnheit verlinken) verweist sie auf die vorkoloniale Geschichte und den Kontext der hier beschriebenen Kulturgüter. Insbesondere erinnert sie an ihren Bedeutungszusammenhang im Rahmen des Sklavenhandels und blutiger Rituale des Volkes der Edo und ihrer Herrscher (genannt: Oba). Für die auszuhandelnden Bedingungen einer Restitution wäre zudem der Hinweis, dass in Nigeria zahlreiche Benin-Bronzen spurlos aus Museen verschwunden sind, zu berücksichtigen.

Im vorerst letzten Akt des in seiner Gesamtschau durchaus kritikwürdigen Vorgangs hat nun der Staatspräsident Nigerias die Benin-Bronzen zum Privateigentum von Oba Ewuare II. und damit des Königshauses gemacht. Ob damit die ursprüngliche Intention eines aus Deutschland finanzierten Ausstellungsortes, der der Weltöffentlichkeit und der Wissenschaft offensteht, noch realisierbar ist, wird sich zeigen. Zumindest muss aber die Frage gestattet sein, ob von einer Rückgabe an „das nigerianische Volk“ (Zitat Kulturstaatsministerin Claudia Roth) noch die Rede sein kann. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und Barbara Plankensteiner, Direktorin des Hamburger Museums am Rothenbaum, verteidigen dagegen ihr Mitwirken an der Rückgabe der Benin-Bronzen an Nigeria und sehen die angedachten Ziele nicht gefährdet.

Exkurs: Nigeria und das Königreich Benin

Um diese Einengung der Eigentumsverhältnisse besser einordnen und verstehen zu können, hilft ein kurzer Exkurs in die Historie des westafrikanischen Königreichs Benin. Zunächst ist festzuhalten, dass der heutige Staat Benin bis 1975 Dahomey (benannt nach dem Königreich Dahomey) hieß und mit dem gleichnamigen historischen Königreich Benin nicht viel gemein hatte. Letzteres lag weiter östlich an der Guineaküste in der heutigen Provinz Edo im Süden des Staates Nigeria. Insofern sollte jede Kritik, die darauf abzielt, Nigeria nicht als legitimiert für die Verhandlungen anzusehen, ins Leere laufen.

1485 kam das Reich „Ubini“ – woraus die Europäer schließlich Benin machten – erstmals mit Portugal in Kontakt. Der Handel mit Europa – auch mit Sklaven – versetzte das Königreich schließlich in die Lage, Kunstwerke aus Bronze herzustellen. Da eine schriftliche Überlieferung nicht existierte, dienten sie vor allem als bildliches Archiv der Landesgeschichte und waren Teil einer symbolträchtigen Hofkunst. Sie zierten die Wände des Königspalastes in Benin City, wo sie schließlich 1897 von den Briten geraubt wurden.

Ideologische Grabenkämpfe

In dem Disput um die Restitution der Benin-Bronzen zeichneten sich von Beginn an ideologische Grabenkämpfe ab. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die in jedem Zugeständnis von europäischer Seite das Ende des Abendlandes kommen sehen. Auf der anderen Seite kann es einigen nicht schnell genug gehen mit der Rückgabe aller Kulturgüter, ohne überhaupt die Frage zu stellen, was davon vielleicht doch rechtmäßig in deutschen Museen zu sehen ist. Beide Parteien toben sich nicht zuletzt in den sozialen Netzwerken und den einschlägigen Foren aus.

Auf diese Weise bin ich auch auf einen Beitrag im rechtskonservativen Online-Magazin Tichys Einblick aufmerksam geworden. Der Autor Klaus-Jürgen Gadamer nutzt die neuerlich wieder aufkommende Debatte um die Benin-Bronzen, um ganz schnell zu einem Kernthema des Magazins, der vermeintlich herrschenden woken Kultur und dem vorgeblichen deutschen Schuldkult, zu gelangen. Er ist sich sogar nicht zu schade, die „Erbsünde“ im biblischen Paradies und den Opfertod Jesu als Argumentationsgrundlage heranzuziehen. Das Ganze wird garniert mit etwas Politik-Bashing und fertig ist das Pamphlet.

Richtig und wichtig ist dagegen Gadamers Hinweis, dass die Restitution nun ausgerechnet an die Nachfahren der Sklavenjäger erfolgte, die durch den Sklavenhandel erst zu dem Reichtum und den Rohstoffen gelangten, der die Anfertigung der Bronzen ermöglichte. Er folgt damit der Argumentation und Kritik von Hauser-Schäublin und den Opferverbänden der Nachfahren der westafrikanischen Sklaven. Letztere fordern nicht zu Unrecht eine bessere Einbindung in den Restitutionsprozess. Man kommt daher nicht umhin festzuhalten, dass an den Artefakten Blutzoll haftet. Und es gäbe durchaus noch mehr Gründe, kritischer hinzuschauen, welchen Weg die Benin-Bronzen nun in Nigeria genommen haben und welche Folgen dies für die Vision eines öffentlich zugänglichen Kulturerbes in Afrika haben könnte.

Ebenen der Entscheidungsfindung

In der Diskussion über die Rückführung der Benin-Bronzen gilt es mindestens drei Ebenen zu beachten. Ob man diese allerdings alle in Einklang bringen kann, ist mehr als fraglich. Da ist zunächst die rechtliche resp. völkerrechtliche Ebene. Immerhin handelt es sich hier um Diebesgut, auch wenn die deutschen Museen oder Deutschland es nicht selbst entwendet haben. Das deutsche Recht sieht in einer solchen Konstellation auf jeden Fall die Rückgabe vor. Völkerrechtlich kann und mag ich das nicht beurteilen.

Als Nächstes folgt die ethische Ebene, bei der sich die Frage stellt, wie man grundsätzlich mit Kulturgütern anderer Kontinente umgehen möchte, die unter kolonialen Abhängigkeitsverhältnissen nach Europa gelangt sind. Bei dieser Betrachtung spielen rechtliche Argumente eine untergeordnete Rolle. Und zuletzt haben wir die Frage, was das Beste für die Kulturgüter selbst ist und wie man das Kulturgut für die Weltöffentlichkeit und Wissenschaft zugänglich gestalten kann. Da bleibt es abzuwarten, ob die Entscheidungen auf deutscher Seite nicht dazu führen, dass man hier Einbußen hinnehmen muss. Das müssen sich die Entscheidungsträger dann ggf. ankreiden lassen.

Schlussgedanke

Und je nachdem, wie man diese drei Ebenen gewichtet, kann man zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der Restitutionsfrage gelangen. Wenn uns aber die Debatte der letzten Jahre etwas vermittelt haben sollte, dann die Erkenntnis, dass es in dieser Problematik kein falsch oder richtig gibt, das Ergebnis vielmehr immer ein Grauton bleiben wird. Entscheidend muss dabei die differenzierte Betrachtung, kein billiger politischer Populismus sein.

Insofern möchte ich mich selbst auch nicht abschließend festlegen. Dazu ist die Problematik der Rückgabe der Benin-Bronzen zu vielschichtig, um sie in einem einzigen Textbeitrag in Gänze zu erörtern. Zum anderen bin ich selbst hin- und hergerissen zwischen der moralischen Verantwortung und der Sorge um eine angemessene Behandlung dieses kulturellen Erbes der Menschheit, das in besonderer Weise die kolonialen Wechselbeziehungen zwischen Afrika und Europa offenbart. Möge man zu weisen Lösungen gelangen, die die Interessen aller Beteiligten berücksichtigen.

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