Home / Alle Artikel / Geschichtsrevisionismus am Beispiel des Völkermordes an den Herero

Geschichtsrevisionismus am Beispiel des Völkermordes an den Herero

Posted on – zuletzt aktualisiert am 28. Mai 2021
Gefangene Herero
Gefangene Herero und Nama während des Aufstandes 1904 bis 1908

Deutscher Kolonialismus in Namibia

Die deutsche Kolonialzeit in Südwestafrika, dem heutigen Namibia, dauerte nur weniger Jahrzehnte an. Doch waren die Folgen für die einheimische Bevölkerung noch verheerender als in anderen afrikanischen Ländern, in denen die europäischen Kolonialmächte wüteten.

1904 kam es nach langer Unterdrückung und Enteignungen der indigenen Einwohner durch die Besatzer zu Aufständen unter den Völkern der Herero und Nama. Sie griffen deutsche Einrichtungen und Farmer an. Auch Tötungen blieben nicht aus.

Der Genozid an den Herero und Nama

In Berlin reagierte man scharf und entsandte 15000 Soldaten unter der Führung des Generals Lothar von Trotha in die Kolonie. Dessen Vorgehen in Deutsch-Südwestafrika wird in der Wissenschaft als Völkermord eingestuft. Dazu trägt auch von Trothas Vernichtungsbefehl bei, den er direkt an die Herero richtete. Darin heißt es:

Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen.

Den Worten folgten entsetzliche Taten. Nach der Schlacht am Waterberg flohen die Herero mit ihren Familien und dem Vieh in die Wüste. Von Trotha ließ sie dort einkesseln und von den Wasserstellen vertreiben. Zehntausende Herero verhungerter oder verdursteten. Die Überlebenden wurden in Konzentrationslagern eingesperrt. Die dortigen Bedingungen überstanden nur die Hälfte der Internierten. Schätzungen zufolge überlebten von 60000 bis 80000 Herero nur 20000 Menschen. 10000 Nama starben. Die genauen Zahlen sind kaum zu ermitteln und differieren von Quelle zu Quelle.

Überlebende Herero
Überlebende Herero nach der Flucht durch die Wüste Omaheke

Anerkennung durch Weltöffentlichkeit

Im Gegensatz zur Wissenschaft tun sich deutsche Öffentlichkeit und die Bundesregierung bis heute schwer, den richtigen Umgang mit diesem finsteren Erbe zu finden. Erst 2015 konnte letztere sich dazu durchringen, den Völkermord als solchen zu bezeichnen und ihn schließlich auch anzuerkennen. Doch damit waren keine juristischen Konsequenzen verbunden. Es handelte sich um einen symbolischen Akt. Update (28.05.21): Nach sechsjährigen Verhandlungen kam es schließlich zu einer offiziellen Anerkennung des Völkermordes durch Deutschland. Die daran geknüpfte Entwicklungshilfe von 1,1 Milliarden Euro ist keine rechtlich verbindende Entschädigung, sondern eine politisch-moralische Verpflichtung.

In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Rückgaben von Gebeinen und Schädeln der Opfer durch deutsche Forschungseinrichtungen an Namibia. Insbesondere in der Berliner Charité sind die sterblichen Überreste der eingeborenen Herero vermessen und zum Zwecke der Bestätigung der Rassenlehre untersucht worden.

Die Vereinten Nationen haben die Geschehnisse in Südwestafrika bisher nicht offiziell als Völkermord anerkannt. Deren Konvention gegen Völkermord subsumiert verschiedene Handlungen, die begangen wurden „in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“. In der Einschätzung der meisten Historiker ist in Deutsch-Südwestafrika genau dies geschehen.

Reaktionen der Netzgemeinde

Geschichtsrelativierung

Provokationen im Zusammenhang mit dem Holocaust sind in Deutschland im rechtspopulistischen und rechtsextremen Milieu mittlerweile alltägliche Praxis. Insbesondere berichten Gedenkstätten von rechtem Gedankengut, das immer offener kommuniziert wird. Selbst vor Äußerungen, die den Nationalsozialismus und Konzentrationslager als positiv bewerten, schreckt man mittlerweile nicht zurück. Insofern sollte es nicht verwundern, dass diese Kreise ihre geschichtsrevisionistischen Ansichten auch auf andere Themen ausweiten und diese in den sozialen Netzwerken mit Entschlossenheit verbreiten. Entsetzt hat es mich dennoch.

Das Internet ist voller Webseiten, die die Kolonialzeit – insbesondere die deutsche – verharmlosen und die Kaiserzeit glorifizieren. Von Schutzgebieten ist fast zynisch die Rede. Der Völkermord wird als typisches Kriegsgeschehen infolge eines Aufstandes beschrieben. Ein kritisches Hinterfragen der deutschen Rolle findet nicht statt. So verwundert es auch nicht, dass in den Quellenhinweisen fast ausschließlich zeitgenössische deutsche Sekundärliteratur genannt wird.

ARTE-Dokumentation

Vor einigen Wochen strahle der Sender ARTE die Dokumentation „Unter Herrenmenschen – Der deutsche Kolonialismus in Namibia“ aus. Der Film entstand 2018 und thematisiert eindringlich den Völkermord an den Herero. Das wiederum löste Kontroversen in zahlreichen Facebook-Gruppen mit geschichtlichem Themenspektrum aus. Beängstigend ist hierbei, mit welcher Selbstverständlichkeit die Geschehnisse in Deutsch-Südwestafrika geleugnet oder relativiert werden. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden ins Lächerliche gezogen oder als ideologisch vorgegeben abgestempelt. Die Dokumentation von ARTE wird offen als Lüge und Propaganda tituliert.

Die Argumentation folgt den üblichen Denkmustern rechter Verschwörungstheorien. Der Völkermord an den Herero sei eine Erfindung der Briten und von DDR-Historikern. Die Bundesregierung – dabei hebt man Frau Merkel betonend hervor – würde sich von linken Organisationen sagen lassen, was sie zu verkünden hätte. Und Geisteswissenschaftler würden lediglich die herrschende und erwünschte Meinung wiedergeben. Das ganze Repertoire rechter Ideologie wird abgespult und dann gern auf dubiose Artikel im Netz verlinkt, die die angeblich unterdrückte Wahrheit aufzeigen. Nicht selten wird das mit dem üblichen Vokabular garniert: Mainstream, Meinungsdiktatur, Lügenpresse.

Die eigene Haltung

Wie geht man, wie gehe ich als Geisteswissenschaftler damit um? Ich habe beschlossen, meine eigenen Beiträge in den sozialen Netzwerken nicht durch entsprechende Kommentare missbrauchen zu lassen und halte in solchen Fällen in aller Regel dagegen. Problematisch wird es immer dann, wenn es sich nicht nur um Einzelpersonen handelt, die die Diskussion an sich reißen. Bisweilen sind es ganze Trupps, die Themen im Sinne rechter Weltanschauung bearbeiten. Seit einigen Jahren ist dies dank einer bestimmten Partei salonfähig geworden.

Es ist müßig und anstrengend, dennoch ist es ein wichtiges Zeichen in einer weltoffenen Gesellschaft, solchen Haltungen mit Rückgrat zu begegnen. Es widerspricht nicht nur meinem Ethos als Wissenschaftler sondern auch als überzeugter Demokrat, schweigend hinzunehmen, dass unsere Gesellschaft mit geschichtsrevisionistischen Weltanschauungen in eine gefährliche Richtung abdriftet. Wir dürfen es eben nicht zu einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ (Zitat Björn Höcke) kommen lassen. Das wäre in vielerlei Hinsicht verheerend für unser Zusammenleben und auch für die Geschichtsforschung.

7 Kommentare zu “Geschichtsrevisionismus am Beispiel des Völkermordes an den Herero

  1. Finanzielle Forderungen gegen das freigiebige „Irrland deutscher Nation “ lohnen sich. Solange die deutsche Regierung so blöd ist, sich moralisch erpressen zu lassen, w

    1. Indem er verdeutlicht, dass das Phänomen des Geschichtsrevisionismus und der Relativierung historischer Verbrechen besonders im Netz salonfähig geworden ist.

  2. Deren Konvention gegen Völkermord subsumiert verschiedene Handlungen, die begangen wurden „in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“.

    Gemäß dieser Definition waren die Handlungen der Alliierten im zweiten Weltkrieg ebenso ein Völkermord.

    Befürchten Sie nicht eine Relativierung dieses Begriffes, wenn man heutige Definitionen immer weiter ausgreifend auf immer mehr geschichtliche Ereignisse anwendet?

    1. Nein, eine Relativierung befürchte ich nicht, wenn eine Nation sich selbst zu dem Unrecht bekennt, das es begangen hat. Das ist dann nämlich mehr eine Frage der moralischen Verantwortung und weniger eine völkerrechtliche Sichtweise. Den Hinweis auf einen angeblichen Völkermord der Alliierten kann ich nicht nachvollziehen. Ebenso wenig, wer mit „deren“ im ersten Satz gemeint ist. Es ist eine UN-Konvention, die Deutschland genauso mitträgt wie alle anderen UN-Mitglieder.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Top