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Deutsche Kolonialherrschaft in Namibia (Deutsch-Südwestafrika)
Die deutsche Kolonialzeit in Südwestafrika, dem heutigen Namibia, dauerte nur wenige Jahrzehnte, nämlich von 1884 bis 1915. Doch waren die Folgen für die einheimische Bevölkerung noch verheerender als in anderen afrikanischen Ländern, in denen die europäischen Kolonialmächte wüteten. Im Januar 1904 kam es nach langer Unterdrückung und Enteignungen der indigenen Einwohner durch die Besatzer zu Aufständen unter den Volksgruppen der Herero und Nama. Sie griffen deutsche Einrichtungen und Farmer an. Auch Tötungen deutscher Siedler blieben nicht aus.
Der Genozid an den Herero und Nama
In Berlin reagierte die deutsche Regierung scharf und entsandte 15.000 Soldaten unter der Führung des Generals Lothar von Trotha in die Kolonie. Das Vorgehen der Schutztruppe (offizielle Bezeichnung der militärischen Einheiten in den deutschen Kolonien in Afrika) in Deutsch-Südwestafrika wird in der Wissenschaft als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts eingestuft. Dazu trägt auch von Trothas Vernichtungsbefehl bei, den er direkt an die Herero richtete, später dann auch an die aufständischen Nama. Darin heißt es:
Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen.
Den Worten folgten entsprechende Taten, die die Vernichtung der Herero zum Ziel hatten. Nach der Schlacht am Waterberg im August 1904 flohen die Herero mit ihren Familien und dem Vieh in die Wüste. Von Trotha ließ sie dort einkesseln und von den Wasserstellen vertreiben. Zehntausende Herero verhungerten oder verdursteten. Die Überlebenden wurden in Konzentrationslagern eingesperrt. Die dortigen Bedingungen überstanden nur die Hälfte der Internierten. Schätzungen zufolge überlebten von 60.000 bis 80.000 Herero nur 20.000 Menschen. 10.000 Nama starben. Die genauen Zahlen sind kaum zu ermitteln und differieren von Quelle zu Quelle. Das Morden in der Kolonie, das sich bis 1908 hinzog, stieß auch im Deutschen Reich auf massive Kritik.

Anerkennung durch die Weltöffentlichkeit
Im Gegensatz zur Wissenschaft tun sich die deutsche Öffentlichkeit und die Bundesregierung bis heute schwer, den richtigen Umgang mit diesem finsteren Erbe zu finden. Erst 2015 konnte sich letztere dazu durchringen, den Völkermord als solchen zu bezeichnen und ihn schließlich auch anzuerkennen. Doch damit waren keine juristischen Konsequenzen verbunden. Es handelte sich um einen symbolischen Akt. Update (28.05.21): Nach sechsjährigen Verhandlungen kam es schließlich zu einer offiziellen Anerkennung des Völkermordes durch die Bundesrepublik Deutschland. Die daran geknüpfte Entwicklungshilfe von 1,1 Milliarden Euro ist keine rechtlich verbindende Entschädigung, sondern eine politisch-moralische Verpflichtung.
In den vergangenen Jahren kam es immer wieder durch deutsche Forschungseinrichtungen zu Rückgaben von Gebeinen und Schädeln der Opfer an Namibia. Insbesondere in der Berliner Charité sind die sterblichen Überreste der eingeborenen Herero vermessen und zum Zwecke der Bestätigung der Rassenlehre untersucht worden.
Die Vereinten Nationen haben die Geschehnisse in Südwestafrika bisher nicht offiziell als Völkermord anerkannt. Deren Konvention gegen Völkermord subsumiert verschiedene Handlungen, die begangen wurden „in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“. In der Einschätzung der meisten Historiker ist in Deutsch-Südwestafrika genau dies geschehen.
Geschichtsrevisionismus im Internet
Relativierung deutscher Kolonialverbrechen
Provokationen im Kontext des Gedenkens an den Holocaust sind in Deutschland im rechtspopulistischen und rechtsextremen Milieu mittlerweile alltägliche Praxis. Speziell Gedenkstätten berichten von geschichtsbildverfälschenden Narrativen, die immer offener kommuniziert werden. Selbst vor Äußerungen, die den Nationalsozialismus und Konzentrationslager als positiv bewerten, schreckt man mittlerweile nicht zurück. Insofern sollte es nicht verwundern, dass diese Kreise ihre revisionistischen Ansichten auch auf andere Themen ausweiten und diese in den sozialen Netzwerken mit Entschlossenheit verbreiten. Entsetzt hat es mich dennoch.
Das Internet ist voller Webseiten, die die Kolonialzeit – insbesondere die deutsche – verharmlosen und das deutsche Kaiserreich glorifizieren. Von Schutzgebieten ist fast zynisch die Rede. Die Verbrechen der deutschen Soldaten an den Herero und Nama werden als unvermeidbares Kriegsgeschehen infolge eines Aufstandes beschrieben. Ein kritisches Hinterfragen der deutschen Rolle und der Kolonialherrschaft findet nicht statt. So verwundert es auch nicht, dass in den Quellenhinweisen fast ausschließlich zeitgenössische deutsche Sekundärliteratur genannt wird. Wissenschaftlichen Standards entspricht ein solches Vorgehen selbstredend nicht.
ARTE-Dokumentation zum Kolonialismus in Namibia
Vor einigen Wochen strahlte der Sender ARTE die Dokumentation Unter Herrenmenschen – Der deutsche Kolonialismus in Namibia aus. Der Film entstand bereits 2018 und thematisiert die Geschehnisse rund um den Genozid an den Herero. Das wiederum löste Kontroversen in zahlreichen Facebook-Gruppen mit geschichtlichem Themenspektrum aus. Beunruhigend ist hierbei, mit welcher Selbstverständlichkeit die Geschehnisse in Deutsch-Südwestafrika geleugnet oder relativiert werden. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden verhöhnt oder als ideologisch vorgegeben abgestempelt. Die Dokumentation von ARTE wird offen als Lüge und Propaganda tituliert.
Die Argumentation folgt den üblichen Denkmustern rechter Verschwörungstheorien. Der Völkermord an den Herero sei eine Erfindung der Briten und von DDR-Historikern. Die Bundesregierung – dabei hebt man Frau Merkel betonend hervor – würde sich von linken Organisationen sagen lassen, was sie zu verkünden hätte. Und Geisteswissenschaftler würden lediglich die herrschende und erwünschte Meinung wiedergeben. Das ganze Repertoire revisionistischer Ideologie wird abgespult und dann gern auf dubiose Quellen im Netz verwiesen, die die angeblich unterdrückte Wahrheit aufzeigen. Oft wird dies mit dem üblichen Vokabular aus Kampfbegriffen garniert: Mainstream, Meinungsdiktatur, Lügenpresse.
Die eigene Haltung
Wie geht man, wie gehe ich als Geisteswissenschaftler damit um? Ich habe beschlossen, meine eigenen Beiträge in den sozialen Netzwerken nicht durch entsprechende Kommentare missbrauchen zu lassen, und halte in solchen Fällen in aller Regel dagegen. Problematisch wird es immer dann, wenn es sich nicht nur um Einzelpersonen handelt, die die Diskussion an sich reißen. Bisweilen sind es ganze Trupps, die Themen im Sinne rechter Weltanschauung bearbeiten. Seit einigen Jahren ist dies dank einer bestimmten Partei salonfähig geworden.
Ein solches Vorgehen mag müßig erscheinen und anstrengend sein, dennoch ist es ein wichtiges Zeichen in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft, solchen Haltungen mit Rückgrat und Aufklärung zu begegnen. Es widerspricht nicht nur meinem Ethos als Wissenschaftler, sondern auch meiner Überzeugung als Demokrat, schweigend hinzunehmen, dass der Diskurs durch geschichtsrevisionistische Weltanschauungen in eine faktenferne Richtung abdriftet. Wir dürfen es eben nicht zu einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ (Zitat Björn Höcke) kommen lassen. Das wäre in vielerlei Hinsicht verheerend für unser Zusammenleben und auch für die Geschichtsforschung. Es könnte das Ende der Erinnerungskultur bedeuten, wie wir sie seit dem Ende des letzten Krieges kennen.




Finanzielle Forderungen gegen das freigiebige „Irrland deutscher Nation “ lohnen sich. Solange die deutsche Regierung so blöd ist, sich moralisch erpressen zu lassen, w
Genau solche Kommentare bestätigen meine Ausführungen. Deshalb schalte ich sie auch frei.
In welcher Weise bestätigt dieser Kommentar Ihre Ausführungen?
Indem er verdeutlicht, dass das Phänomen des Geschichtsrevisionismus und der Relativierung historischer Verbrechen besonders im Netz salonfähig geworden ist.
Deren Konvention gegen Völkermord subsumiert verschiedene Handlungen, die begangen wurden „in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“.
Gemäß dieser Definition waren die Handlungen der Alliierten im zweiten Weltkrieg ebenso ein Völkermord.
Befürchten Sie nicht eine Relativierung dieses Begriffes, wenn man heutige Definitionen immer weiter ausgreifend auf immer mehr geschichtliche Ereignisse anwendet?
Nein, eine Relativierung befürchte ich nicht, wenn eine Nation sich selbst zu dem Unrecht bekennt, das es begangen hat. Das ist dann nämlich mehr eine Frage der moralischen Verantwortung und weniger eine völkerrechtliche Sichtweise. Den Hinweis auf einen angeblichen Völkermord der Alliierten kann ich nicht nachvollziehen. Ebenso wenig, wer mit „deren“ im ersten Satz gemeint ist. Es ist eine UN-Konvention, die Deutschland genauso mitträgt wie alle anderen UN-Mitglieder.