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Inszenierungen statt Exponate
Welcher Ort wäre geeigneter für ein Museum zur Geschichte der Hanse als Lübeck, das Haupt der Hanse? Das Europäisches Hansemuseum am Burghügel in der Lübecker Altstadt ist erst 2015 eröffnet worden und damit eine vergleichsweise junge Einrichtung. Mit der fehlenden Sammlungsgeschichte geht die Problematik einher, dass man kaum über Exponate verfügt. Ein klassisches Ausstellungskonzept kam somit beim Aufbau des Museums nicht infrage. Doch aus der Not machte man in Lübeck eine Tugend und setzte auf Inszenierungen und digitale Vermittlungsformen.
Als Besucher erhalten wir mit der Eintrittskarte zugleich einen in sie eingebauten RFID-Chip. Mit seiner Hilfe können wir in der gesamten Dauerausstellung zahlreiche vertiefende Informationen abrufen. Das ist sicher eine nützliche Idee, denn welcher Museumsbesucher möchte von Inhalten – und davon gibt es hier reichlich – erschlagen werden. Auf diese Weise kann man den Rundgang mit einer selbst gewählten inhaltlichen Tiefe individuell gestalten. Auch eine Sprachauswahl ist auf dem Chip vorab vorzunehmen. Spannend ist auch die Möglichkeit, sich für eine aus vielen Hansestädten und vier Interessengebieten zu entscheiden, um an manchen Stationen explizit hierzu Informationen zu erhalten.
Die wissenschaftlich begleiteten Inszenierungen wirken sehr gelungen. Die zahlreichen Details sind nach archäologischen Funden rekonstruiert. Unterstützt werden diese atmosphärischen Raumbilder von einer subtilen Licht- und Soundinstallation, die beispielsweise das Plätschern von Wasser oder sich bewegende Schatten in den mittelalterlichen Gassen erzeugen. Damit man sich in dieser hanseatischen Welt nicht gänzlich verliert, werden zwischen diese Zeitkapseln Kabinette geschaltet, in denen im klassischen Ausstellungsdesign die wenigen Exponate sowie zahlreiche Urkunden und Dokumente (als Faksimiles) präsentiert und in einen Kontext gestellt werden.
Mit der Dauerausstellung durch die Hansegeschichte
Gotlandfahrer in Nowgorod und das erste Kontor
Nachdem wir mit dem gläsernen Fahrstuhl in die Lübecker Unterwelt befördert wurden, empfängt uns eine archäologische Ausgrabungsstätte, die eng mit der Stadtgeschichte verknüpft ist. Man entschied sich daher bewusst, sie ins Museum zu integrieren. Eine gelungene thematische Anknüpfung ist damit aber leider nicht gewährleistet. Die dahinter startende Dauerausstellung führt anhand wichtiger Orte und Ereignisse chronologisch durch die Hansegeschichte vom späten 12. bis ins 17. Jahrhundert. Im Mittelpunkt stehen dabei die vier großen Kontore der Hanse in Nowgorod, Brügge, London und im norwegischen Bergen. Diese Handelsniederlassungen in ausländischen Städten verfügten über besondere Privilegien, die den hansischen Kaufleuten über Jahrhunderte vorzügliche Handelsbedingungen bescherten. Sie bildeten organisatorisch eine Stadt in einer Stadt und nahmen ein ganzes Viertel ein, wie man es noch heute in Bergen bewundern kann.
Den Anfang in der Ausstellung macht der Petershof in Nowgorod im Jahre 1193. Der von einer nächtlichen Atmosphäre getränkte Raum empfängt uns mit einer bedrohlichen Szenerie aus beladenen und bewaffneten Handelsschiffen, die sich durch die Schilfflächen der Newa bewegen. Die Museumsbesucher erfahren hier anhand zahlreicher Leuchttafeln wesentliche Informationen über die Anfänge des Hansebundes. Er generierte sich aus dem Zusammenschluss von Fernhändlern aus dem niederdeutschen Sprachraum, die auf ihren Reisen Fahrtgemeinschaften zum gegenseitigen Schutz bildeten. Erst in der späteren Entwicklung traten ganze Städte an ihre Stelle. Der beschwerliche und gefährliche Weg nach Nowgorod, das als Handelszentrum für Pelz und Wachs Bedeutung hatte, führte über die Ostsee von Visby auf Gotland sowie den Ladogasee und die Newa – alternativ aus dem Baltikum über den Landweg – tief ins russische Binnenland. Hier kamen die Kaufleute auch in Kontakt mit Luxusgütern aus dem Orient.
Stadtentwicklung, Pest und der Tuchhandel in Brügge
Der nächste Raum ist geprägt von Baugerätschaften sowie Baustoffen wie Holz und Backstein. Er berichtet von den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umwälzungen sowie dem Bauboom des 13. Jahrhunderts. Das Bevölkerungswachstum hatte die Gründung unzähliger Städte oder deren planmäßigen Ausbau zur Folge. Auch das Straßenbild der Ortschaften änderte sich. Holz wurde im norddeutschen Raum zunehmend von Backstein als Baumaterial abgelöst. Erste Kaufmannshäuser zeugen vom zunehmenden Reichtum bestimmter Berufsgruppen. Die Kaufleute schälen sich als wohlhabende städtische Oberschicht heraus und bilden die Mehrheit im Rat (in Lübeck 1201 erstmals erwähnt). Monumentale Kirchenbauten der Backsteingotik entstanden als Manifestation des bürgerlichen Stolzes. Lübeck nimmt hierbei eine Führungsrolle in der Hanse ein. Das Lübecker Recht wird bei zahlreichen Stadtgründungen an der Ostsee adaptiert.
Brügge 1361: Der folgende Raum ist ganz dem Tuchhandel Flanderns gewidmet. Wir stehen in der Kaufhalle, dem zentralen Handelsplatz der Stadt. Brügge verfügt als einzige der tuchproduzierenden flandrischen Städte über einen direkten Zugang zur Nordsee und besitzt dadurch eine herausragende Bedeutung für die hansischen Kaufleute. Im Gegenzug brachten die Osterlinge, wie die niederdeutschen Kaufleute hier hießen, Luxusgüter wie Pelze und Wachs sowie Getreide, Hering und Stockfisch über Brügge nach Flandern. Als die Stadt 1358 versuchte, die Abgaben der Hansekaufleute zu erhöhen und ihre Rechte einzuschränken, können diese ihre wirtschaftliche Macht ausspielen. Der Umzug der Handelsniederlassung nach Dordrecht und ein umfassender Handelsboykott der gesamten Grafschaft Flandern zwang Brügge bereits zwei Jahre später zum Einlenken.
Die Pestepidemie des späten 14. Jahrhunderts bereitete dem scheinbar unbegrenzten Wachstum des Handels einen tiefen Einschnitt. Die Zeit der daraus folgenden Wirtschaftskrisen wird wieder mithilfe eines begehbaren Dioramas thematisiert. Die Szenerie ist mit der verlassenen, gepflasterten Straße, der düsteren Stimmung, in der selbst die toten Ratten in ihrer Verwesung beängstigend real wirken, zu den gelungensten des Rundgags zu zählen, auch wenn dieser Raum inhaltlich vergleichsweise wenig zu bieten hat.
Ein Hansetag und die Kontore von London und Bergen
Der Stalhof, das Londoner Kontor, im Jahre 1478 begrüßt die Museumsgäste erst seit kurzem. Es ist der jüngste Raum der Dauerausstellung – und das sieht man ihm durchaus an. Eine großflächige Projektion der im Nebel gehüllten Themse ist stimmungsvoll umgesetzt. In dem Raum werden wir zum Mitmachen angeregt: In der Weinstube kann man ein historisches Würfelspiel ausprobieren. Oder man kann in einem virtuellen Buch blättern, das über Animationen, Musik und gesprochene Texte zum Leben erwacht. Das multimediale Erlebnis lässt die Erwartungen an die weiteren Räume steigen.
Atmosphärisch kann die folgende Inszenierung eines Hansetages in Lübeck im Jahre 1518 durchaus mithalten. Es ist der 125. Hansetag mit Vertretern aus 21 Städten – ein politisches Großereignis. Der Hansesaal im Obergeschoss des Lübecker Rathauses ist in ein dunkles Licht getaucht. Von der Decke hängen Kerzenleuchter und vor den Fenstern huschen dunkle Gestalten durch die Gassen. Wir können in dem schweren hölzerner Gestühl Platz nehmen. Auf einer großen Projektionsfläche werden die Themen und Abläufe der Sitzungen erläutert – Streit um die Sitzordnung inklusive. Das ermüdet bald, aber dazu in der Schlusskritik mehr.
Szenenwechsel im letzten Raum: Bryggen, das seit 1343 existierende Kontor in Bergen führt uns in 17. und 18. Jahrhundert und damit in die letzten Jahre der Hanse. Baulich existiert dieses übrigens bis heute in der norwegischen Stadt und stellt ein UNESCO-Weltkulturerbe dar. Handelsware war vor allem der Stockfisch, ein lange haltbarer Trockenfisch (meist Dorsch), der diese letzte Inszenierung im Hansemuseum einleitet. 1630 entschließt sich erstmals ein niederdeutscher Kaufmann, das Berger Bürgerrecht anzunehmen. 1764 geht die letzte hansische Handelsstube der Niederlassung in norwegische Hände über. Das letzte der vier großen hansischen Kontore wird aufgelöst. Auch wir sind mit unserer Aufmerksamkeitsspanne am Ende und verlassen diesen historischen Tripp.
Kritik zur Dauerausstellung
Storytelling
Ein Museum, das die digitalen Vermittlungskonzepte in den Vordergrund rückt wie das Europäische Hansemuseum, setzt sich der Gefahr aus, den technischen Trends immer etwas hinterherzuhinken. Schließlich brauchen Ausstellungskonzepte viel Zeit von der ersten Idee bis zur Eröffnung, erst recht, wenn das gesamte Haus einen Neubau darstellt. Die vernichtende Kritik, die Lina Timm dem Haus kurz nach Eröffnung ausstellte, kann ich dennoch in dieser Schärfe nicht teilen. Vor allem ist mir schleierhaft, wie man bei der Informationsdichte, die man mit seinem RFID-Chip im Ticket auf das individuell verträgliche Maß herunter oder heraufschrauben kann, den roten Faden verlieren kann. Allerdings kommt mir bei dieser Beurteilung sicher zugute, dass ich durch mein Studium erhebliche Vorkenntnisse mitbringe.
Die einseitige Wissensvermittlung durch Texte und deren in Teilen trockene Formulierungen bemängelt auch Angelika Schoder in ihrer Rezension. Dadurch komme das Storytelling im Museum zu kurz. Diese Fehler scheint man aber nun in der weiteren Entwicklung des Museums ausmerzen zu wollen, wie die durchaus gelungene multimediale Umsetzung des London-Raums zeigt. In der Vergangenheit ist sicher viel Potenzial liegen gelassen worden, als man sich gegen jegliche videobasierte Erzählformen oder Animationen entschied.
Einige Anregungen dazu: Beim Hansetag hätten man zum Beispiel eine Sitzung in einem Schauspiel nachstellen können. So hätten die Protagonisten ein Gesicht bekommen, die historische Kleidung der Schauspieler die Authentizität der Szenerie entscheidend gesteigert. Hätte man nicht dabei sogar die niederdeutsche Sprache mit Untertiteln zum Einsatz kommen lassen können? Oder wie wäre es mit einer Marktszene in den Tuchhallen von Brügge im entsprechenden Raum? Andere Museen zeigen sich mit diesen vielfältigen Möglichkeiten bereits vertrauter.
Inszenierungen und historisches Ambiente
Punkten kann das Museum vor allem mit seinen detailgetreuen Inszenierungen, die in Teilen geradezu beängstigend real wirken. Damit konkurriert es mit dem Deutschen Auswanderhaus in Bremerhaven und muss sich diesbezüglich nicht verstecken, wie auch Wera Wecker findet. Auch funktioniert die alternierende Abfolge aus emotionalem Abtauchen und den nüchternen Kontrapunkten in den Kabinetten gut und wird – so in meiner Wahrnehmung – nie langweilig. Als Alleinstellungsmerkmal darf man zudem anmerken, dass das Hansemuseum mit dem sehenswerten Burgkloster ein gemeinsames Museumsquartier bildet, welches im Anschluss als lebendiges Relikt der Hansezeit besucht werden kann.
Ein letzter Kritikpunkt: Zwar besitzt das Museum ein umfangreiches digitales Online-Angebot, eine klassische App, mit der man durch die Dauerausstellung gehen oder den Besuch vor- bzw. nachbereiten könnte, sucht man allerdings weiterhin vergebens. Dieser Fakt hat mich auch bei der Ausarbeitung meines Blogartikels ausgebremst, zumal der offizielle Museumskatalog aufgrund der rasanten Entwicklung des Museums nicht mehr ganz aktuell ist. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau, denn das Europäische Hansemuseum ist durchweg für einen Besuch zu empfehlen. Ich freue mich auf die weitere Entwicklung.
Hallo Damian,
klingt sehr interessant! Werde ich mir bei einem Besuch von Lübeck gerne anschauen. Im Hamburg Dungeon wurde uns das Thema Pest näher gebracht, allerdings nicht digital. Wir saßen plötzlich in einer Uniklasse, in der ein Professer über die Pest referierte. Sehr gruselig!
Herzliche Grüße
Renate
Danke für deinen Kommentar, Renate. Ich glaube nicht, dass das Hansemuseum glücklich darüber wäre, mit den Hamburg Dungeon in einen Topf geworfen zu werden. Ersteres ist ein Museum mit wissenschaftlichem Anspruch, letzteres eine Effekteshow mit ein wenig Geschichtsbildung. Das Hansemuseum kann man am besten mit dem Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven vergleichen.