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Die Kathedrale als Bischofskirche
Dom, Münster oder Kathedrale, was ist der Unterschied? Was ist die korrekte Bezeichnung für unsere großen Kirchen in der Stadt und auf dem Lande? Tatsächlich gibt es da nicht unerhebliche Begriffsverwirrungen im deutschsprachigen Raum. Ich unternehme den Versuch der Aufklärung. Dabei können wir einleitend festhalten, dass sich alle drei Termini aus dem Lateinischen ableiten: domus, das Haus (gemeint ist letztlich domus dei, das Haus Gottes); monasterium, das Kloster; kathedra, der Sitz (gemeint ist der Sitz des Bischofs). Alle Begriffe sind bereits in mittelalterlichen Quellen nachweisbar.
Zunächst starten wir mit der Kathedrale, die sich am einfachsten einordnen lässt, obwohl diese Eigenbezeichnung in der deutschen Sprache bei keiner Kirche tatsächlich Anwendung findet. Es handelt sich dabei eher um einen Gattungsbegriff, der eine Bischofskirche bezeichnet. Hier haben wir also einen (Erz-)Bischofssitz vor uns. Die meisten Bistümer sind bereits im Mittelalter gegründet worden. Einige weitere sind erst in den letzten Jahrhunderten zum Bistum erhoben worden, manche sind auch wieder verschwunden. Im Gedächtnis der Geschichtswissenschaften bleiben vorrangig die bedeutenden Bistümer und Erzbistümer des Mittelalters: Worms, Speyer, Mainz, Trier, Köln, Münster, Paderborn, Minden, Osnabrück, Bremen, Hildesheim, Magdeburg, Halberstadt, Brandenburg, Meißen, Naumburg, Bamberg, Würzburg, Augsburg, Regensburg, Passau, Salzburg, um nur einige klangvolle Namen zu nennen.
Der Dom
Im deutschsprachigen Raum werden fast alle Bischofskirchen als Dom bezeichnet, allen voran vielleicht der Kölner Dom. Kaum eine Kirche ist derart symbolisch aufgeladen wie der Dom am Rhein. Nun hat es sich im Laufe der Geschichte zudem überwiegend im nord- und mitteldeutschen Raum eingebürgert, viele andere herausragende Bauten, vornehmlich Kloster- und Stiftskirchen, mit der Bezeichnung eines Domes zu belegen, obwohl dort niemals ein Bischof residierte.
Ein Paradebeispiel für eine solche Begriffverschiebung ist der Altenberger Dom. Dabei handelt es sich um eine Zisterzienser-Klosterkirche im Bergischen, östlich von Köln. Einige weitere prominente Beispiele seien hier genannt: Andernach, Xanten, Wesel, Soest, Bad Gandersheim, Fritzlar, Wetzlar, Güstrow, Stendal, Freiberg, Zwickau. Besonders herauszugreifen ist der Frankfurter Dom, der als zeitweiliger Krönungsort der deutschen Kaiser auch als Kaiserdom tituliert wird. Ebenfalls als Kaiserdom wird die Abteikirche in Königslutter am Elm (östlich von Braunschweig) bezeichnet. Hier geht die Benennung auf den Umstand zurück, dass das Kloster von Kaiser Lothar III. gestiftet wurde. Auch die Quedlinburger Stiftskirche wird bisweilen als Dom angesprochen. Solche Bedeutungsüberhöhungen finden sich gerade auch in ländlichen Regionen, wo herausragende Pfarrkirchen oftmals im Volksmund als Dom bezeichnet werden. Beispiele hierfür sind der Meldorfer Dom in Dithmarschen oder der Ankumer Dom im Artland nördlich von Osnabrück. Im Eichsfeld wird die Pfarrkirche St. Cyriskus in Duderstadt auch als „Eichsfelder Dom“ bezeichnet. In der Eifel heißt sogar eine ganze Reihe von Kirchenbauten „Eifeldom“. Es existiert kaum ein Landstrich, der nicht mit ähnlichen Phänomenen aufwarten kann.
Gewissermaßen Mischformen stellen diejenigen Dome dar, die erst in jüngerer Vergangenheit zur Bischofskirche wurden, also zuvor über Jahrhunderte eine andere Funktion innehatten. Dazu möchte ich auch die Frauenkirche in München zählen, die als Pfarrkirche errichtet und erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts zur Kathedrale erhoben wurde. Sie trägt seitdem auch die Bezeichnung als Dom zu Unserer Lieben Frau oder Münchner Dom. Ähnlich verhält es sich mit dem Limburger Dom, der ursprünglich im 13. Jahrhundert als Stiftskirche errichtet, aber 1827 zur Bischofskirche erhoben wurde. Der Braunschweiger Dom war ursprünglich ebenfalls eine Stiftskirche und wurde 1923 Hauptpredigtstätte des Landesbischofs der Evangelisch-lutherischen Landeskirche. Die evangelische Kirche kennt keine Bistümer im klassischen Sinne. Der Aachener Dom – hervorgegangen aus einer karolingischen Pfalzkapelle – war im 19. Jahrhundert für kurze Zeit und dann wieder seit 1930 Bischofskirche. Der Dom St. Petri in Bautzen war von 1921 bis 1980 Bischofskirche, ursprünglich Stiftskirche, nach der Reformation Simultankirche.
Das Münster
Die Bezeichnung als Münster ist eine im oberdeutschen Sprachraum verbreitete Variante des Domes. Verwendung fand sie aber vorrangig nicht bei tatsächlichen Bischofskirchen, sondern bei prominenten städtischen Pfarrkirchen sowie vor allem bei Kloster- und Stiftskirchen. Letztere Häufung erklärt sich durch die Herleitung des Wortes aus dem lateinischen monasterium, dem Kloster. Auffällig ist eine sehr stark ausgeprägte Konzentration von Münsterkirchen im Südwesten Deutschlands: Überlingen, Salem, Schwäbisch Gmünd, Freiburg, Ulm, Rottweil, Rheinmünster (Münster Schwarzach), Zwiefalten, Ingolstadt und unzählige weitere Kirchen. Aber auch das Berner Münster in der Schweiz gehört in diese Reihe. Herausragend sind dabei das Freiburger und das Ulmer Münster, die allein aufgrund ihrer Dimensionen, ihrer beherrschenden Stellung innerhalb des mittelalterlichen Stadtgefüges sowie ihrer architekturhistorischen Bedeutung nur schwer erahnen lassen, dass sie in der Funktion einer Pfarrkirche erbaut worden sind. Immerhin stieg die Freiburger Kirche verspätet 1827 zur Metropolitankirche, also zur Kathedrale, auf.
Auffälligerweise existieren hier im Südwesten des deutschen Sprachraumes zumindest drei Münsterkirchen, die von Beginn an als Bischofssitz fungierten: Konstanz, Basel und Straßburg. An diesen Objekten vollführte der Begriff monasterium den Sprung auf eine Kathedralkirche. Alle haben gemein, dass sie in der äußersten Peripherie des deutschen Kulturraums lagen. Straßburg und Basel verließen in der frühen Neuzeit dauerhaft oder für große Zeitabschnitte den direkten deutschen Einflussraum sogar. Das Straßburger Münster wird im französischen Sprachgebrauch wie üblich als cathédrale bezeichnet.
Seltener taucht die Bezeichnung als Münster in Mittel- und Norddeutschland auf. Im Rheinland existieren das Bonner Münster und das Quirinus-Münster in Neuß, beides ursprünglich Stiftskirchen. Die Essener Münsterkirche ist ebenfalls als Stiftskirche gegründet worden und wurde erst 1958 zum Bischofssitz, wodurch der Bau auch als Domkirche angesprochen wird. Weitere Münsterkirchen existieren weit abseits des oberdeutschen Sprachraumes im westfälischen Herford und im niedersächsischen Hameln. Auch hier handelt es sich um ehemalige Stiftskirchen. Als nördlichster Außenposten der Bezeichnung dient das Doberaner Münster in Mecklenburg, einer bedeutenden Zisterzienser-Klosterkirche im Stil der Backsteingotik des Ostseeraumes.
Zusammenfassung
Verkürzt lässt sich festhalten, dass Kathedralen, also Bischofskirchen, in Deutschland als Dom, seltener als Münster bezeichnet werden. Die Kathedrale bleibt hierzulande eher ein Gattungsbegriff, der sich im offiziellen Namen der Kirchen nicht niederschlägt – ganz anders als in Frankreich oder Großbritannien. Während die Bezeichnung als Münster vor allem im südwestdeutschen Sprachgebiet und sehr vereinzelt auch am Mittelrhein und in Westfalen auftaucht, ist im Rest des Landes der Dom allgegenwärtig.
Hinzu kommt, dass sowohl der Dom als auch das Münster als Würdeform von herausragenden Kirchenbauten im Gebrauch sind. Häufig trifft man das an Stifts- und Klosterkirchen an. Aber auch einfache Pfarrkirchen, sogar auf dem Lande, können auf diese Weise herausgehoben werden. Zudem ist stets zu hinterfragen, ob manche Erhebung zur Bischofskirche nicht erst ein Resultat der jüngsten Geschichte ist und der Kirchenbau somit über Jahrhunderte eine andere Funktion und auch Bezeichnung getragen hat.
Nachdem ich jetzt weiß, wie kompliziert und uneinheitlich die Verwendung dieser Begriffe ist, fühle ich mich nicht mehr ganz so schlecht dabei, wenn ich diese Wörter weiterhin wild durcheinander würfle.