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Das Urheberrecht in Kunst, Kultur und Wissenschaft

Posted on – zuletzt aktualisiert am 21. Oktober 2018
Bildrechte in der Kunst

Hamburg, München, Herford: Kritik an rechtlichen Rahmenbedingungen

Bildrechte und Urheberrecht waren und sind in Museen offensichtlich eine unangenehme Angelegenheit. Anders ist es wohl nicht zu erklären, dass die Kulturbloggerin Angelika Schoder 18 Monate benötigt hat, um einen Interviewpartner zu dieser Thematik zu finden. Es ist schließlich Roland Nachtigäller, der Direktor des Marta Herford, der sich dieser heiklen Aufgabe Anfang 2017 stellte.

Dabei ist die Problematik nicht neu. Bereits 2015 wandten sich deutsche Archive, Museen und Bibliotheken mit einer Erklärung, der sogenannten Hamburger Note, an die Öffentlichkeit, um auf die Missstände bei der Digitalisierung unseres Kulturgutes aufmerksam zu machen. Darin heißt es:

Wenn die Chancen der Digitalisierung genutzt werden sollen, bedarf es aber gesetzlicher Rahmenbedingungen, die für alle öffentlichen Gedächtnisinstitutionen eine rechtliche Einzelfallprüfung entbehrlich machen und grundsätzlich eine Sichtbarmachung von Beständen im Internet ermöglichen.

Gelingt es nicht, die rechtlichen Rahmenbedingungen entsprechend weiterzuentwickeln, können wichtige Zeugnisse des kulturellen Erbes weiter aus Gründen der rechtlichen Unsicherheit nicht digital genutzt werden. Dadurch droht eine bedenkliche Verzerrung unseres Geschichtsbildes. Auch werden weiter erhebliche öffentliche Ressourcen für die Klärung von Rechtsfragen aufgewendet, die den Gedächtnisinstitutionen fehlen und die auch nicht den Urhebern zugutekommen.

Der Hamburger Erklärung folgte im Oktober 2017 die Tagung „Museen im digitalen Raum. Chancen und Herausforderungen“ in der Pinakothek, aus der im Februar 2018 die Münchner Note hervorging. Diese holt auch die Urheber mit ins Boot und fordert eine gerechte Vergütung für die Nutzung ihrer Werke. Angestrebt wird ein fairer Ausgleich zwischen dem Interesse der Allgemeinheit am digitalen Zugang zu Kulturgütern und Kunstwerken einerseits und den Rechten der Urheber andererseits.

Die Schere im Kopf

Nachtigäller selbst beklagt im Interview vor allem die Zusammenarbeit mit den Verwertungsgesellschaften, die die Rechte der Künstler vertreten. Der Kostendruck und der Aufwand, sich im Rechte- und Vertragsdickicht zurecht zu finden, sei für Museen mittlerweile so groß, dass die Schere im Kopf häufig zum Zuge käme. Man beschränke sich vielfach auf Werke und Künstler, bei denen man mit dem Urheber selbst in Verhandlung treten könne. Darunter leide zwangsläufig die Reichweite derjenigen Künstler, die sich von Verwertungsgesellschaften wie der VG Bild-Kunst vertreten ließen. In Zeiten der voranschreitenden Digitalisierung in der Kulturvermittlung beträfe das auch und vor allem die Online-Präsenzen. Eine derartige Entwicklung könne aber auch nicht im Sinne der Künstler sein, die vielfach nicht darüber informiert sind, mit welchen Hindernissen die Museen zu kämpfen hätten.

Das Interview mit Schoder war für Nachtigäller auch Anlass, zwei eigene Blogbeiträge auf dem museumseigenen Blog zu veröffentlichen (Teil 1 und Teil 2). Er hält dabei ein Plädoyer für das Kunstwerk als öffentliches Gut, für die Kunstfreiheit:

Die Kunst gehört nicht in die Dschungelwelten der Urheberrechtsparagraphen, nicht in die Kontrolle der Gewinnmaximierung und nicht in die Klauen einer Einschüchterungskoalition. Sie gehört in die Mitte der Gesellschaft, in der über sie gestritten und verhandelt wird, in der sie überprüft und erprobt wird, in der sie sich zu bewähren hat und zur Blüte gelangt!

Weiterhin spricht sich Nachtigäller dafür aus, die Pauschalabgabe auf Geräte oder Medien zum Anfertigen oder Speichern von Vervielfältigungen auszuweiten, um die Künstler endlich angemessen für die freie Nutzung ihrer Werke zu entlohnen. Sein Appell ist so richtig wie herausfordernd:

Lass die Bilder frei! Frei kursieren, frei diskutieren, frei konfrontieren. Es würde uns als diskursfreudiger Gesellschaft gut zu Gesicht stehen. Und es würde auch den Makel des Illegalen von einer alltäglichen Praxis nehmen, die einer mit dem allgegenwärtigen Display sozialisierten Generation nur mit drakonischen und vor allem unnötigen Maßnahmen auszutreiben wäre.

Wem gehören die Bilder? – Symposium im Marta Herford

Die Tagung in Herford am 14. und 15. September darf sich als Fortsetzung des Dialogs in München verstehen. Im Vorfeld hatte Nachtigäller erneut dazu aufgerufen, gemeinsam neue Konzepte, neue Perspektiven, neue Ideen für den Umgang mit dem Kulturgut und seiner medialen Repräsentanz zu erarbeiten. Allerdings wurde in Herord ein starker Fokus auf die juristischen Rahmenbedingungen gelegt. Ebenso war man bemüht, die Künstler in den Austausch entscheidend einzubeziehen. Letztlich muss es das Ziel sein, den Interessenausgleich für beide Seiten – Museen und Wissenschaft sowie Urheber – gleichermaßen positiv zu gestalten.

Als Kunsthistoriker, Webdesigner, Blogger sowie Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing bin ich mit dem Urheberrecht und den Bildrechten im Speziellen zwar vertraut, aber zugleich selbst von der Problematik in unterschiedlicher Ausprägung betroffen. Deshalb hatte ich mich auf den Weg nach Herford gemacht.

Missstände für die wissenschaftliche Arbeit

Mitorganisator und Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich demonstrierte gleich zu Beginn der Veranstaltung eindrucksvoll, wie sehr das Urheberrecht zuweilen missbräuchlich eingesetzt und instrumentalisiert wird. Seine Erfahrung, bei der eine Galerie die für eine wissenschaftliche Publikation benötigten Werkabbildungen erst dann frei zu geben bereit war, als er sich als Kunstsammler ausgab, seien keine Einzelfälle. Kommerzialisierung und Inhaltskontrolle würden eine ausgewogene wissenschaftliche Auseinandersetzung mit klassischer Moderne und zeitgenössischer Kunst vielfach unmöglich machen. Ullrich hatte in der Vergangenheit bereits mehrfach auf diese Missstände hingewiesen: Vortrag auf dem Heidelberger Kunstrechtstag, Interview Deutschlandfunk Kultur, Interview iRights.info, Stellungnahme zu seinem Buch „Siegerkunst“

Tanja Scheffler von der TU Berlin berichtete in ihrem Vortrag von zahlreichen ähnlichen Fallstricken bei wissenschaftlichen Publikationen über die Architektur des 20. Jahrhunderts. Eine Demonstration davon bekam das Publikum unmittelbar geboten, denn Scheffler hatte in ihrer Präsentation alle Folien deutlich markiert, die nicht abfotografiert und in die sozialen Medien geladen werden durften. Die Erlaubnis zur Nutzung der Abbildungen hatte man ihr nur für diese Veranstaltung erteilt.

Die Situation der Museen

Zu welchen paradoxen Situationen die heutigen juristischen Rahmenbedingungen führen können, zeigte der Jurist und Kunsthistoriker Grischka Petri auf. So ist in der Mannheimer Kunsthalle das Fotografieren grundsätzlich gestattet, ja ausdrücklich erwünscht, doch dem Besucher wird vor Ort nicht mitgeteilt, dass sich in den Ausstellungen Kunstwerke befinden, die urheberrechtlich geschützt sind und deren Ablichtung und anschließende Veröffentlichung in sozialen Medien oder auf der eigenen Website zu erheblichen rechtlichen Problemen mit den Künstlern oder Verwertungsgesellschaften führen können. Direktorin Ulrike Lorenz gestand in ihrem Vortrag über die Konzipierung und Umsetzung einer digitalen Strategie an der Mannheimer Kunsthalle, dass bei einer Auseinandersetzung und engen Auslegung aller rechtlichen Vorgaben die Umsetzung der Strategie nicht möglich gewesen wäre. Auch Arie Hartog, Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses in Bremen forderte in der anschließenden Podiumsdiskussion einen freieren Umgang mit dem kulturellen Erbe in den Museen.

Petri ging des Weiteren explizit auf den Fall der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim ein. Entgegen den meisten musealen Einrichtungen, die ihre Aufgabe darin sehen, den freien Kulturaustausch im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu fördern, führt man in Mannheim seit Jahren einen erbitterten Rechtsstreit gegen die Open-Access-Plattform Wikimedia und die eigenen Besucher. Gegenstand der Auseinandersetzung sind mehrere Abbildungen von gemeinfreien Kunstwerken – allen voran ein Bildnis von Richard Wagner -, die bei Wikimedia durch Nutzer hochgeladen worden sind. Im Kern geht es dabei um zwei Fragen:

  1. Darf dem Museumsbesucher das Anfertigen von Fotos gemeinfreier Werke und die anschließende Veröffentlichung durch die Benutzerordnung untersagt werden?
  2. Besitzen Reproduktionen gemeinfreier Werke selbst wieder Schutzrechte? Auf diese Weise könnte man nämlich die Schutzfristen eines Werkes beliebig verlängern.

Der langjährige Rechtsstreit, von dem ich bereits mehrfach berichtete (Teil 1, Teil 2, Teil 3), wird hoffentlich Ende Oktober vom BGH abschließend geklärt. Update: Die Entscheidung des BGH liegt nun vor.

Die Künstler und Urheber

Auch die Urheber und die Kreativwelt, die vermeintlichen Gegenspieler der Verwerter, meldeten sich in der Tagung zu Wort. Brigitte Waldach, Matthias Wollgast, Nico Weber und Nils Pooker berichteten von ihren Grenzerfahrungen mit dem Urheberrecht, das sie in ihrem künstlerischen Schaffen häufig einschränkt. Rechtsanwalt Christoph Weiß, Fachanwalt für Steuerrecht in Kiel, wusste zu berichten, dass seine Mandanten aus dem Kreativsektor nur in den seltensten Fällen von ihrer Arbeit leben könnten. Wenn sowohl Verwerter als auch Urheber mit den derzeitigen Regelungen derart unzufrieden sind, was läge da näher, als die bisherigen Strukturen der Wertschöpfungsketten inkl. der Verwertungsgesellschaften aufzubrechen?

Visionen und Lösungsansätze

Ellen Euler, Dozentin für Open Access an der FH Potsdam, stellte ihre Vision dar, in der die Gemeinfreiheit den Grundsatz im Umgang mit Kulturgut bildet und Einschränkungen als Ausnahme artikuliert werden. Sie appellierte an Museen, Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen aktiv für diese Idee einzustehen und sie in die Öffentlichkeit zu tragen. Vom Gesetzgeber erhofft sie sich rechtliche Rahmenbedingungen, mit denen der digitale Zugang zu unserem kulturellen Erbe zum Allgemeingut wird.

Derweil bemüht man sich beim Deutschen Museumsbund um eine Novelle des Rahmenvertrages mit der VG Bild-Kunst, wie Jens Bortloff, Mitglied des Vorstandes, berichtete. Hierbei soll auch die digitale Nutzung von Werken eine zentrale Rolle spielen. Inwiefern der vermutlich 2019 zum Abschluss gebrachte Kontrakt die Interessen der Verwerter mehr berücksichtigt als bisher, bleibt allerdings abzuwarten.

Bei den Podiumsdiskussionen wurde die Reihe der Juristen durch Lucas Elmenhorst, Gerhard Pfennig sowie John Weitzmann von Wikimedia Deutschland komplettiert. Dazu bereicherte Angelika Schoder, die die Problematik des Urheberrechts aus Sicht der Blogosphäre schilderte, die Runde. Sie beschrieb den eingeschränkten Handlungsspielraum von Bloggern, die ihre Objekte mit der Schere im Kopf, der Selbstzensur, auswählen – ein Vorgang, den ich in meinem eigenen Verhalten wiedererkenne: Themen, bei denen kein gemeinfreies Bildmaterial zur Verfügung steht, fallen aus der Agenda.

Ausblick

Die Folgen der unbefriedigenden Situation sind von den meisten Anwesenden rasch erkannt worden: Kunst und Kultur unterliegen einer ungewollten Selektion. Was öffentlich wahrgenommen wird, entscheiden vermehrt Kommerz und rechtliche Schranken. Das ist mit dem Auftrag von Museen, Kulturgut der Allgemeinheit zu erschließen, nicht vereinbar. Das Urheberrecht muss sich der Lebenswirklichkeit anpassen. Die digitale Welt, in der der Besucher und Betrachter mit dem Werk in jeder erdenklichen Form interagiert, ist nicht mehr aufzuhalten. Es ist höchste Zeit, dass die Gesetzgebung mit dieser Realität gleichzieht. Leider haben wir uns von diesen Zielen mit der in der letzten Woche im EU-Parlament beschlossenen Urheberrechtsreform noch ein Stück weiter entfernt.

Am Ende der Tagung wurde ein offener Forderungskatalog artikuliert, der den einen oder anderen Lösungsansatz verspricht:

  • Erweiterung bzw. Schärfung des Zitatrechts
  • Parodigmenwechsel: Gemeinfreiheit als Regel
  • Vereinfachung und Pauschalisierung beim Vertragswerk mit den Verwertungsgesellschaften
  • Rechtliche Rahmenbedingungen, die dem Interessenausgleich aller beteiligter Parteien dienlich sind

Nachträge

Update (02.10.18): Anke von Heyl, die das Symposium als Twitter-Korrespondentin im Auftrag des Marta begleitete, veröffentlichte eine sehr übersichtliche Zusammenfassung der wichtigsten Tweets und Kernaussagen.

Update (10.10.18): Einen umfassenden Einblick in die Problematik präsentiert Angelika Schoder als Nachklang auf die Tagung. Wer in Herford nicht dabei sein konnte, bekommt hier eine erschöpfende Analyse aller relevanten Gesichtspunkte.

Update (21.10.18): Das Marta hat nun eine Video-Dokumentation aller Vorträge des Symposiums online gestellt.

6 Kommentare zu “Das Urheberrecht in Kunst, Kultur und Wissenschaft

    1. Vielen Dank für diese gelungene und wichtige Tagung, Herr Nachtigäller! Sobald die Aufzeichnungen bei Ihnen online sind, werde ich sie in meinem Beitrag nachtragen.

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