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Das Ostfriesische Landesmuseum in Emden

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Ostfriesland um 1600 - Ubbo Emmius
Ubbo Emmius: Ostfriesland um 1600

Emden und Ostfriesland

Emden ist in vielerlei Hinsicht eine typische ostfriesische Stadt. Auch wenn sie alles andere als im Zentrum der ostfriesischen Halbinsel liegt, ist sie so etwas wie das Herz Ostfrieslands. Hier existiert ein überregional bedeutender Seehafen und hier war eines der wichtigsten Zentren der norddeutschen Reformation.

Insofern ist es naheliegend das Ostfriesische Landesmuseum in Emden anzusiedeln. Es befindet sich im historischen Rathaus am Delft, das 1574 bis 1576 vom Antwerpener Stadtbaumeister Laurens van Steenwinckel als Ausdruck der Blütezeit der Stadt errichtet wurde. Leider ist der Bau nach den verheerenden Zerstörungen des letzten Krieges in sehr weit gefasster Anlehnung an die ursprünglichen niederländischen Renaissanceformen wieder aufgebaut. Damit teilt das Rathaus das Schicksal großer Teile der Stadt, die sich daher wenig ansehnlich präsentiert.

Im Museum

Ostfriesische Küstenlandschaft

Werfen wir daher besser einen Blick ins Museum, das uns die ostfriesische und die Emder Geschichte näherbringt. Seine Wurzeln liegen in der ehemaligen Rüstkammer der Stadt und den Sammlungen der 1820 gegründeten „Gesellschaft der bildenden Kunst und vaterländischen Altertümer“. Über mehrere Stockwerke verteilen sich verschiedene Abschnitte der Ausstellung mit klar voneinander abgegrenzten Schwerpunkten. Ihnen allen ist gemein, dass sie einen sehr engen Bezug zu Ostfriesland, seinen Bewohnern seiner Geschichte und seiner Landschaft aufweisen. Das erleichtert die Orientierung.

Den Einstieg macht das Thema Kartografie. Die ersten brauchbaren See- und Landkarten der friesischen Nordseeküste entstanden nach 1500. Ostfriesland gehört zu den am besten und häufigsten kartierten Landschaften Deutschlands. Die Ursache lag in der politischen Konstellation jener Zeit: der Freiheitskampf der nördlichen niederländischen Provinzen gegen die spanische Vorherrschaft. Entsprechend häufig wurde im Auftrag der Spanier die friesische Nordseeküste auf Karten dargestellt. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts standen Gelehrte wie Ubbo Emmius und David Fabricius mit ihren weit entwickelten Methoden der Kartografie hoch im Kurs.

Die nächste Abteilung zeigt anhand von archäologischen Funden und einer umlaufenden Modellreihe die Entwicklung des Lebens in den Marschlandschaften. Lebensgrundlage der Friesen war die Weidewirtschaft. Der Handel florierte insbesondere mit dem berühmten friesischen Wolltuch. Im Gegenzug importierten die Friesen Erzeugnisse, die aufgrund der fehlenden Stein- oder Metallvorkommen Mangelware waren. Die Kulturlandschaft war geprägt vom Wasser und dem Deichbau, der im 11. Jahrhundert einsetzte. Typisch für die friesische Nordseeküste sind künstlich aufgeschüttete Warften, die sich auch noch heute mit ihren Häusern und Kirchen aus der Ebene erheben.

Ostfriesisches Landesmuseum Emden - Küstenlandschaft
Abteilung Küstenlandschaft mit archäologischen Funden und einem umlaufenden Küstenmodell

Moorleiche von Bernuthsfeld

Das Landesinnere der ostfriesischen Halbinsel war von Mooren geprägt. Die Moorleiche von Bernuthsfeld, die man 1907 fand, erlaubt nach jahrzehntelanger Forschung Einblicke in die Lebensbedingungen eines Mannes aus dem 8. Jahrhundert in der friesischen Küstenregion. Die Präsentation des Skelettes wird dabei vorbildhaft in sein Fundumfeld eingebunden. Sehr anschaulich wird auch die medizinische Akte der Person präsentiert: Entlang des angedeuteten Seziertisches können die Besucher mit einem digitalen Schlitten fahren. Dem Monitor entnehmen wir dann die entsprechenden Befunde und die daraus resultierenden Schlussfolgerungen zum Leben des frühmittelalterlichen Mannes.

Ostfriesisches Landesmuseum Emden - Moorleiche von Bernuthsfeld - Seziertisch
Hier kann der Besucher den gesundheitlichen Zustand des Mannes von Bernuthsfeld studieren

Christentum und Friesische Freiheit

Die folgende Abteilung widmet sich der Christianisierung und den besonderen Herrschafts- und Gesellschaftsstrukturen der Friesen. Erste Missionserfolge und Kirchen kamen mit der Herrschaft der Karolinger im frühen 9. Jahrhundert. Im Museum sind einige ausgewählte mittelalterliche Zeugnisse des christlichen Glaubens zu sehen, die durchaus hochwertig sind.

Allen voran sind die Taufsteine aus dem frühen 13. Jahrhundert zu nennen. Gegenübergestellt sind zwei Exemplare aus Baumberger resp. Bentheimer Sandstein. Sie stehen zugleich für zwei unterschiedliche Typen von ostfriesischen Taufen: Das Beispiel aus Nesse ist mit biblischen Darstellungen in Arkadenböden unterhalb eines Ornamentbandes besetzt. Das Exemplar aus Marienwehr ist dagegen typisch für eine ganze Reihe ähnlicher Taufen in Ostfriesland, die mit mehreren Friesbändern besetzt sind und auf vier stilisierten Löwen ruhen. Bemerkenswert ist ferner ein hölzerner Reliquienschrein aus Bangstede (13. oder 14. Jahrhundert, Datierung umstritten) mit Fassungsresten und ein steinerner Sarkophag aus dem späten 12. Jahrhundert aus dem untergegangenen Kloster Meerhusen.

Ostfriesisches Landesmuseum Emden - Taufsteine
Die verschiedenen Typen ostfriesischer Taufsteine

Etwas zu kurz kommt in der Ausstellung das Phänomen der Friesischen Freiheit. Dabei handelt es sich um eine speziell friesische Form des autonomen Zusammenlebens, das sich im Laufe des Mittelalters herausbildete und auf das man noch heute in den friesischen Landstrichen stolz ist. Diese Loslösung vom üblichen feudalen Herrschaftssystem hatte zur Folge, dass die Friesen direkt König und Kaiser unterstanden. Erst im Spätmittelalter ergriffen einflussreiche Familien die Macht über mehr oder weniger große Gebiete. Diesem System von lokalen Häuptlingen entstammten zahlreiche einfache Burgenbauten in Ostfriesland, wie sie vielerorts noch erhalten sind. Auch Emden wurde Häuptlingssitz.

Emden als europäische Hafenstadt und Zentrum der Reformation

Es folgt eine Fokussierung – und zwar auf die Geschichte der Stadt Emden seit dem 16. Jahrhundert. Emden entwickelte sich zu dieser Zeit zu einer Hafenstadt europäischen Ranges. Die Gründe hierfür liegen in den benachbarten Niederlanden, wo über Jahrzehnte der Unabhängigkeitskrieg gegen das katholische Spanien tobte. Tausende protestantischer Glaubensflüchtlinge ließen sich mit ihrem Knowhow in Handel und Schifffahrt an der Emsmündung nieder. Die Stadt wuchs weit über ihre mittelalterlichen Grenzen hinaus. Vor allem im 17. und 18. Jahrhundert siedelten sich Handelsgesellschaften und -kompanien an. Zunächst von großer religiöser Toleranz geprägt, wurde Emden seit den 1570er Jahren zum nordwesteuropäischen Zentrum des Calvinismus.

Das Museum führt durch verschiedene Aspekte dieser bemerkenswerten Epoche Emder Geschichte: Schifffahrt, Handel, Heringsfischerei, Religion, Gerichtsbarkeit, Armenwesen, Kunst und Münzprägung. Informative Texte werden mit einer Vielzahl anschaulicher Exponate illustriert. Sie verdeutlichen den Reichtum und das Selbstbewusstsein der Emder Bürgerschaft im 16. und 17. Jahrhundert. Zu sehen sind unter anderem das prunkvolle Ratssilber, Gemälde und Fliesen aus den Niederlanden. Eine eigenständige Abteilung der Ausstellung widmet sich der Malerei jener Zeit, die – wenig überraschend – stark von niederländischen Einflüssen geprägt ist.

Emden fungierte neben Jever für eine gewisse Zeit auch als gräfliche Münzstätte, bevor diese aufgrund von Spannungen mit den Grafen von Ostfriesland im Jahre 1614 nach Esens und schließlich Aurich verlegt wurde. Die städtische Münze blieb aber noch lange in Emden. Überhaupt befand sich Emden häufig im Konflikt mit den Grafen aus dem Hause Cirksena, was nicht zuletzt im Glaubensgegensatz zwischen der calvinistischen Stadt und dem lutherischen Grafengeschlecht begründet war.

Ostfriesisches Landesmuseum Emden - Malerei
Abteilung zur ostfriesischen Malerei

Die Rüstkammer

Ein Highlight für Jung und Alt ist sicherlich die Rüstkammer der Stadt Emden, die zu den wenigen erhaltenen Zeughäusern nördlich der Alpen gehört. Belegt ist diese erstmals 1562 als Ausrüstung der Bürgerwehren. Im Jahre 1582 fand sie ihren Platz im Dach des Rathauses. Doch bereits im 17. Jahrhundert hatte sie aufgrund der militärischen Entwicklung ihre Bedeutung für den Schutz der Stadt verloren.

Auch wenn ich kein großer Liebhaber derartiger Rüstkammern bin, so muss man zugestehen, dass die Präsentation der Waffen und Rüstungen durchaus Lust zum Entdecken macht. So erfährt der Besucher im Detail alles über den Einsatz und die Entwicklung von Harnisch, Pike, Hellebarde und anderen Waffentechniken. Auch wird der Schwenk zur allgemeinen Landesverteidigung in der frühen Neuzeit gewagt und die Bedeutung von Schanzen und Steinhäusern gerade für Ostfriesland hervorgehoben.

Ostfriesisches Landesmuseum Emden - Rüstkammer
Die Rüstkammer mit Harnischen, Piken, Hellebarden

Kritische Anmerkungen

Fehlende Exponate

Ich kritisiere Dauerausstellung eigentlich nur selten, aber im Ostfriesischen Landesmuseum Emden wechseln sich Licht und Schatten doch zu häufig ab. Zu den positiven Erscheinungen gehören auf jeden Fall die Rüstkammer und die Abteilung über die Entwicklung Emdens in der frühen Neuzeit. Auch, dass am Ende des Rundgangs die Möglichkeit besteht, auf den Rathausturm aufzusteigen, wirkt authentisch und lässt die Besucher in die Rolle des Turmwächters schlüpfen. Zudem bietet sich ein schöner Blick auf die Stadt.

Nun zu den Kritikpunkten: Bei unserem Besuch des Museums fehlten zahlreiche Exponate. Einige davon – und das ist selbstredend nicht zu kritisieren – waren als Leihgaben in anderen Museen unterwegs. Bei anderen fehlte die Begründung hierfür allerdings gänzlich. In der Abteilung zur Besiedlung der Küstenlandschaft waren gleich mehrere Vitrinen leer; eine war sogar mit einem Absperrband versehen. Es machte den Eindruck, als wäre die Ausstellung noch nicht fertig oder befände sich in Auflösung. Ein ansprechendes Bild gab dies nicht ab.

Fehler und Ungenauigkeiten

Aufgefallen sind mir zahlreiche Fehler und Ungenauigkeiten in der Beschriftung der Exponate, obwohl ich diese nicht aktiv gesucht habe. Zu dem Mann im Moor heißt es an einer Stelle, er wäre 30 bis 40 Jahre alt geworden, an anderer wiederum, er sei im Alter von etwa 50 Jahren gestorben. Wahrscheinlich haben wir es hier mit neuen Forschungsergebnissen zu tun, aber dann gehört diese Widersprüchlichkeit in der Ausstellung dringend korrigiert.

Weiteres Beispiel: Der Fällzeitpunkt eines eichernen Fundamentpfostens des Vorgängerbaus der Großen Kirche ist dendrochronologisch auf das Jahr 966 datiert, wird aber auf der Beschriftungstafel mit dem mittleren 9. Jahrhundert ausgewiesen. Wenn damit der Wuchsbeginn gemeint sein sollte, dann ist eine solche Angabe zumindest ungewöhnlich und erklärungsbedürftig. Oder hat man sich schlichtweg um ein Jahrhundert vertan?

Und noch eine Inkonsistenz: Bei den Taufsteinen ist in sinnvoller und üblicher Art gleich zuoberst angegeben, woher sie stammen. Lediglich bei der Taufe aus Nesse ist dies unerklärlicherweise unterblieben. Der interessierte Leser stößt erst ganz am Ende des Textes kleingedruckt darauf, dass es sich um eine Leihgabe der Kirchengemeinde Nesse handelt und kann daraus auf den Ursprungsort schließen.

Anmerkung zur Datierung des Reliquienschreins aus Bangstede

Und zuletzt möchte ich auf den bereits oben erwähnten hölzernen Reliquienschrein aus Bangstede eingehen, dessen Datierung ins letzte Viertel des 14. Jahrhunderts Fragen aufwirft. Dieser Typus der Reliquienverehrung in einem vergoldeten Schrein, der zwischen Bauwerk und Reliquienkasten angesiedelt ist, besitzt im Rhein-Maas-Gebiet im späten 12. Jahrhundert bis in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts hinein eine Blüte. Prominente Beispiele sind der Heribertschrein aus Köln-Deutz, der Dreikönigsschrein im Kölner Dom oder der Gertrudenschrein von Nivelles (im Zweiten Weltkrieg zerstört). Letzterer veranschaulicht gegen Ende des 13. Jahrhunderts bereits den Übergang in einen anderen Typus, der sich als Miniaturausgabe gotischer Kathedralarchitektur präsentiert.

Ostfriesisches Landesmuseum Emden - Reliquienschreins aus Bangstede
Reliquienschrein aus Bangstede, wohl um 1300 – Foto: Ostfriesisches Landesmuseum Emden

Aus typologischen und stilkritischen Erwägungen heraus halte ich eine Datierung des Reliquienschreins aus Bangstede spätestens um 1300 für überzeugender. Ähnlich – nämlich noch ins 13. Jahrhundert – ordnet ihn Günther Robra in seiner 1959 erschienenen Publikation „Mittelalterliche Holzplastik in Ostfriesland“ ein. Um die Verwirrung perfekt zu machen: Eine noch im Internet auffindbare ältere Fassung einer Museums-App verortet das Kunstwerk zunächst ans Ende des 14. Jahrhunderts, um es im folgenden Text widersprüchlich ins 13. Jahrhundert zu datieren. Solche Verwirrspiele führen dann schließlich dazu, dass andere Quellen den Schrein ebenfalls ins letzte Viertel des 14. Jahrhunderts befördern, es aber im gleichen Atemzug als romanisch ansprechen. Das alles wäre als bedauerliches Versehen abzutun, wenn die Liste der Ungereimtheiten und Fehler nicht so lang wäre. Dies sollte aber niemanden davon abhalten, viel Zeit in den doch in der Mehrzahl gelungenen Ausstellungsbereichen zu verbringen.

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