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Das Berliner Einheitsdenkmal in der Kritik

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Berliner Schloss mit Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal um 1900

Die „Einheitswippe“

Über zehn Jahre währt nun schon die Diskussion und der Streit um die Errichtung des Freiheits- und Einheitsdenkmals in Berlin. Mir liegt es fern, die unterschiedlichen Entwicklungsstadien im Einzelnen zu besprechen. Das haben andere bereits ausführlich getan und auch Wikipedia hält einen sehr übersichtlichen und allumfassenden Artikel dazu bereit. Nur so viel in Kürze: Letztlich hat sich der Entwurf „Bürger in Bewegung“ der Stuttgarter Agentur Milla & Partner durchgesetzt. Er zeigt eine monumentale begehbare Schale oder Wippe („Einheitswippe“), auf der „Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk.“ stehen soll.

Einheitsdenkmal Entwurf Milla 2014
Einheitsdenkmal Entwurf Milla & Partner 2014
Quelle: Milla & Partner bei Wikipedia
Lizenz: CC BY-SA 3.0

Streit um Standort

Zwar hatte der Bundestag im letzten Jahr die Errichtung des Einheitsdenkmals nach langem Tauziehen beschlossen, doch die Ablehnung gegenüber dem Projekt reißt nicht ab. Neben den steigenden Kosten wird vor allem der Standort kritisiert. Demnach soll die Wippe vor dem Haupteingang des wiedererrichteten Berliner Schlosses auf der Schlossfreiheit entstehen, dort, wo sich einst die Kolonnaden mit dem Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal bis zur Abtragung 1950 befunden haben. Zuletzt befürworteten gerade mal 16 Prozent der Deutschen diesen Standort.

Entsprechend formierte sich auch der Widerstand gegen die Einheitswippe und vor allem ihren geplanten Standort. Dafür gibt es nach Durchsicht der Entwürfe durchaus gute Argumente für eine alternative Lokalität. Ein aus dem Jahre 2014 stammende Entwurf von Milla & Partner verdeutlicht den Bruch des Denkmals zum historischen Umfeld am anschaulichsten. Dort, wo einst die Kolonnaden direkt Bezug nahmen auf die Hauptfassade des Schlosses, kann ein moderner Fremdkörper die Lücke weder inhaltlich noch ästhetisch füllen. Überhaupt würde ein Einheitsdenkmal an diesem Ort die spätere Rekonstruktion der historischen Situation auf lange Sicht unmöglich machen. Man hatte erst jüngst wertvolle Mosaiken an dieser Stelle gefunden, die nicht in situ bleiben könnten.

Einheitsdenkmal vor dem Reichstag
Einheitsdenkmal vor dem Reichstag
Grafik: Christopher von Werder [vom Verfasser verfremdet]

Alternative Entwürfe

Dabei ist die Idee der Wippe gar keine schlechte. Erst wenn die Menschen auf dem Denkmal zusammenstehen und sich gemeinsam für eine Seite entscheiden, setzt sich das Monument in Bewegung. Eine Analogie zu den Ereignissen im November 1989, die schließlich zur deutschen Einheit führten, sind dem Konzept nicht abzusprechen. Doch sollte die Bewegung nicht eine positive Wirkung erzeugen? Eine Abwärtsbewegung vermittelt allerdings das Gegenteil. Und was hat diese Idee in der unmittelbaren Nachbarschaft des Schlosses verloren, dort wo der Geist der absolutistischen preußischen Herrscher allgegenwärtig ist?

Dagegen zeigen jüngere Vorschläge zum Standort des Monuments viel mehr Gespür für die Bedeutung des Ortes. Wo würde ein Denkmal für den Freiheitswillen des Volkes besser Platz finden können als vor dem Reichstagsgebäude, dem Symbol des deutschen Demokratiestrebens schlechthin? Hinzu kommt, dass die riesige ungenutzte Rasenfläche viel Raum für Gestaltungsmöglichkeiten lässt. Hier könnte das Denkmal seine volle Wirkung entfalten. So zeigt der vom Verein „Berliner Historische Mitte“ favorisierte Entwurf des Kasseler Architekten Christopher von Werder anstatt der von Milla vorgesehenen Treppenlösung eine spiralförmig verlaufende Rampe. Ein Sinnbild für den langen mühevollen Weg zu Freiheit, Einheit und Demokratie? Gleichzeitig würde man damit übrigens die Barrierefreiheit des Denkmals gewährleisten, die ebenfalls bei Millas Entwurf nicht berücksichtigt wird.

Beschneidung der öffentlichen Debatte

Abmahnungen durch Milla & Partner

Die Vorschläge pro Reichstagsumfeld finden in den letzten Monaten immer mehr Anhänger auch in der Politik, so dass auf ein Umschwenken gehofft werden kann. Auch ist ein Scheitern des gesamten Vorhabens mittlerweile nicht mehr auszuschließen. Doch damit wollen sich offensichtlich die Profiteure des Projektes nicht abfinden. So bekam das Geschehen in den letzten Wochen eine neue, hässliche Dimension. Johannes Milla versucht, per Abmahnungen die öffentliche Debatte über einen möglichen alternativen Standort zu verhindern.

Betroffene Vereine

Eine Visualisierung der neuen Ideen ist durch den Verein „Berliner Historische Mitte“ verbreitet worden. Die Entwurfszeichnung von Christopher von Werder tauchte in zahlreichen Zeitungsartikeln auf – so auch im Tagesspiegel am 08.06.18 – und war bereits bei Wikipedia zu finden. Er zeigt neben eigenen Aspekten wie der Rampe auch die Idee der Wippe. Gegen die Verbreitung dieser und ähnlicher Grafiken hat Milla zahlreiche Abmahnungen verschicken lassen (zuletzt berichtete die Berliner Zeitung). Betroffen sind nach meinen Recherchen die Vereine „Berliner Historische Mitte“ und „Stadtbild Deutschland“, Christopher von Werder, das Architekturbüro Hoidn Wang Partner sowie mutmaßlich der Tagesspiegel. Auch Privatpersonen, die die Abbildungen per Mail verschickt haben, sind abgemahnt worden.

Besonders skurril mutet dabei die Begründung der Abmahnungen an. Milla unterstellt den Abgemahnten einen Verstoß gegen § 14 UrhG. Darin heißt es:

Der Urheber hat das Recht, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden.

Wie ein berechtigter Diskurs von höchst öffentlichem Interesse eine Entstellung oder Beeinträchtigung seines Werkes darstellen soll, ist schwer nachvollziehbar. Noch fragwürdiger erscheint dieser Vorwurf vor dem Hintergrund, dass bei Wikipedia Millas Wippenentwurf von 2014 mit der gängigen Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 3.0 zu finden ist. Als Uploader werden Milla & Partner selbst genannt. Die Lizenz erlaubt jedem eine Bearbeitung des Originals unter bestimmten Voraussetzungen der Urheber- und Lizenznennung. Demnach darf jeder „das Material remixen, verändern und darauf aufbauen und zwar für beliebige Zwecke, sogar kommerziell.“

Um es zusammenzufassen: Einerseits wird mit der Lizenz die Verwendung in fremden Werken zugestanden, tut dies aber tatsächlich jemand, wird die Verletzung des Rechts am geistigen Eigentum abgemahnt. Die Absicht dahinter ist nicht schwer zu erraten: Hier soll eine öffentliche Diskussion und die Kritik am Einheitsdenkmal unterbunden werden.

Wirkung

Und die Einschüchterung wirkt: Der aus rund 1800 Einträgen bestehende Strang zum Einheitsdenkmal im viel frequentierten Forum von „Stadtbild Deutschland“ ist geschlossen und nicht mehr öffentlich einsehbar. Damit ist der größte Anlaufpunkt für Kritik an den Entwürfen von Milla und für alternative Konzepte aus der Öffentlichkeit getilgt. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Einheitsdenkmal ist in Zukunft auf dieser Plattform nicht mehr möglich. Besser hätte Milla nicht demonstrieren können, wie man eine unliebsame öffentliche Meinungsbildung mit fragwürdigen Mitteln unterdrückt.

Und auch ich kann mich von der Selbstzensur nicht ganz frei machen, indem ich die alternativen Ideen ohne eine Wippe zeige. Doch kann ich in diesem Fall gut darauf verzichten, denn die Unzulänglichkeiten von Millas Entwürfen gegenüber den neuen Überlegungen kommen auch so unvermindert zum Ausdruck.

Fazit

Wir brauchen in Deutschland eine öffentliche Debatte zum Einheitsdenkmal, die auch den Bürger mit einbezieht, denn der Freiheits- und Einheitswillen, den das Monument symbolisieren soll, ging eben von diesem Bürger aus. Es steht der Politik nicht zu, Entscheidungen ohne Berücksichtigung des Bürgerwillens zu treffen. Aber noch weniger steht es Profiteuren des Projektes zu, durch juristische Taschenspielertricks die öffentliche Meinungsbildung zu unterdrücken. Dagegen darf und muss sich Widerstand regen, sonst verkommt das Einheitsdenkmal zum abschreckenden Beispiel für die Durchsetzung von Partikularinteressen.

Hinweis in eigener Sache: Lieber Herr Milla, sollten Sie wider Erwarten auf diesen Blogartikel stoßen, sparen Sie sich die Abmahnung. Die Urheberverweise sind nach den angegebenen Creative-Commons-Lizenzbestimmungen korrekt gesetzt. Darüber hinaus habe ich als Kunsthistoriker die fachliche Kompetenz, mich über Ihren nicht zu Ende gedachten Entwurf auszulassen und das Recht, diesen auch nach §51 UrhG als Bildzitat zu zeigen.

6 Kommentare zu “Das Berliner Einheitsdenkmal in der Kritik

  1. Vielen Dank für diese Klarstellung, die mit dieser Urheberrechtsverletzungsfarce vollständig aufräumt. Klasse!
    Und in der Tat in Anbetracht des offensichtlich anzunehmenden Bestrebens eine öffentliche Debatte zu unterbinden regt sich mir der Freiheitswille und als Betroffener sehe ich mich mit diesem Artikel auch bestätigt, daß mein bürgerschaftliches Engagement in dieser Sache gerechtfertigt ist

    1. Ob die Abmahnungen vor dem geschilderten Hintergrund berechtigt sind, wäre auf jeden Fall zu prüfen. Zusätzlich hat die Öffentlichkeit das Recht darauf, in so einer zentralen Frage wie der Errichtung eines Einheitsdenkmals zu erfahren, mit welchen Mitteln Meinungsbildung manipuliert wird. Und das ist ganz unabhängig davon, ob es letztlich juristisch legitim ist. Hier steht ein höheres Gut auf dem Spiel als eine vermeintliche Urheberrechtsverletzung.

  2. Also Kritik in allen Ehren, und sie ist in der Standortfrage ja auch nicht abgewürgt. Aber es steht doch außer Frage, dass Milla das Urheberrecht an seinem Entwurf hält und dies nicht durch eine Neukonzeption seines Entwurfes verletzt sehen möchte. Machen Sie sich doch nichts vor. Das würde jeder so tun.

    1. Grundsätzlich würde ich Ihnen zustimmen. Ich halte die Abmahnungen aber für mehr als überprüfenswert, weil Milla selbst einen Entwurf über eine Creative-Commons-Lizenz für die Nutzung in jeglicher veränderter Form frei gegeben hat. Dass dabei Quellen und Lizenzen möglicherweise nicht korrekt wieder gegeben wurden, wäre natürlich möglich. Aber genau das monieren die Abmahnungen gerade nicht, sondern bemängeln einen angeblichen Verstoß gegen §14 und §16 UrHG. Man kann die Entwürfe nicht einerseits zur freien Bearbeitung frei geben, im gleichen Atemzug aber Vervielfältigung sowie die Entstellung oder Beeinträchtigung seines Werkes juristisch verfolgen. Ich würde jedem Abgemahnten raten, dies intensiv mit dem eigenen Rechtsanwalt zu besprechen. Hierin steckt möglicherweise der entscheidende Einwand gegen Millas Abmahnungen.

      Darüber hinaus finde ich das Vorgehen Millas auch moralisch verwerflich. Milla ist von einer kleinen Gruppe per Mail zum Dialog über den Standort eingeladen worden. Der fragliche Entwurf war der Mail angehängt. Als Antwort folgte die Abmahnung an die Privatperson, die die Mail verschickt hat. Ein souveräner Umgang mit sachlicher Kritik an den Entwürfen sieht anders aus. So etwas hätte man anders klären können und müssen.

    1. Gerne! Vielen Betroffenen, mit denen ich gesprochen habe, fehlt leider der Mut, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich halte das für ein fatales Zeichen. Gute Argumente sollten nicht durch eine juristische Drohkulisse unterdrückt werden.

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