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Entlang der Rance
Wir bewegen uns im Nordosten der Bretagne, auf den letzten Kilometern der Rance, bevor sich das Wasser des Flusses in den Ärmelkanal ergießt. Es handelt sich um einen der längsten Flussläufe der Region ganz im Westen Frankreichs. Zwischen Saint-Malo an der Küste und der mittelalterlichen Stadt Dinan einige Kilometer landeinwärts wird der hier recht breite Flusslauf – die Rance Maritime – durch die enormen Gezeitenschwankungen geprägt. Man nutzt diese natürliche Ressource durch ein Gezeitenkraftwerk.
Südlich von Dinan wandelt sich der Charakter des Flusses grundlegend. Stellenweise schlängelt er sich gemütlich durch Felsmassive, kleine Wälder, Felder und an malerischen Dörfern vorbei. Altertümliche Brücken überspannen den Lauf der Rance, die hier in Teilen zu einem schiffbaren Kanal mit zahlreichen Schleusen ausgebaut ist, ohne ihr romantisches Gepräge zu verlieren. Die besten Möglichkeiten, diese Kulturlandschaft auf sich wirken zu lassen, ergeben sich per Bootsfahrt, Kanu oder Rad. Die Bootsausflüge starten am historischen Hafen von Dinan. Für Radfahrer führt eine vorzügliche Fernwanderroute immer entlang des Ufers.
Saint Malo – die Festungsstadt
Saint-Malo liegt an der Côte d’Émeraude (Smaragd-Küste) unmittelbar an der Mündung der Rance und ist dadurch maritim geprägt. Städtische Strukturen gab es hier spätestens im 12. Jahrhundert, als die Diözese Alet hierher verlegt wurde. Der Bischofssitz existierte bis 1801. Die enorme Bedeutung des Hafens von Saint-Malo für Handel und Militär in der Zeit vom 16. bis zum 19. Jahrhundert spiegelt sich in ihren historischen Festungsanlagen wider. Die Stadt profitierte dabei erheblich von der europäischen Kolonisierung Amerikas und der Entwicklung des Handels mit Indien. Auch das unrühmliche Kapitel des Sklavenhandels wurde aufgeschlagen. Saint-Malo ist zudem als Hafen der Korsaren bekannt, die mit einem königlichen Freibrief Jagd auf feindliche Schiffe machten und den Geleitschutz für die eigenen Handelsschiffe stellten. Im Zweiten Weltkrieg ist die Stadt schwer zerstört worden, konnte aber vorbildlich rekonstruiert werden.
Egal von welcher Seite man die auf einer Felseninsel liegende Altstadt ansteuert, man wird von einem schier uneinnehmbar wirkenden Mauerring mit zahlreichen Bastionen und Türmen begrüßt, der in seiner Gesamtheit erhalten und begehbar ist. Durch seine enorme Höhe gewährt er beeindruckende Einblicke in die frühneuzeitlichen Straßenschluchten und die auf winzigen Felsen vorgestellten Forts, die zum Verteidigungsring von Saint-Malo gehörten. Nähert man sich der Altstadt von Nordosten, folgt man dem einzigen historischen Landzugang, der einst über einen Damm möglich war. Entsprechend wird man hier von einem Burgkomplex, einem wahren Bollwerk, begrüßt, das von den bretonischen Herzögen bereits im 15. Jahrhundert errichtet und sukzessiv bis ins 17. Jahrhundert ausgebaut wurde. Rund um die Stadt befinden sich Forts auf kleinen Felseninseln, die der Brandung standhalten.
Die Straßenzüge der Ville Close, der Altstadtinsel, werden von Hausfassaden des 18. Jahrhunderts dominiert. Diese grandiose Geschlossenheit wirkt fast schon monoton. Auf ältere Bebauung stoßen wir nur an wenigen Stellen. Hierzu ist vor allem die im Stadtzentrum liegende Kathedrale zu zählen. Sie zeigt am Chor Formen der anglonormannischen Gotik. Das Langhaus stammt dagegen noch aus dem 12. Jahrhundert. Der Außenbau präsentiert sich uneinheitlich und dokumentiert die lange Bauzeit des Sakralbaus, der nachmittelalterlich mehrfach um- und ausgebaut wurde.
Dinan – die Mittelalterliche
Historisches
Dinan liegt im Landesinneren, dort wo die Rance ihr Gepräge entscheidend wandelt. Lange Zeit war dies der nördlichste Punkt zum Überqueren des Flusses. Die Altstadt thront hoch über dem Flussbett und präsentiert sich wie ein Urtypus eines mittelalterlichen Ortes. Für mich persönlich stellt Dinan die schönste Stadt der Bretagne dar, ist aber zumindest unzweifelhaft zu den faszinierendsten zu zählen, was sowohl an der historischen Bebauung als auch an seiner Topografie abzulesen ist. Die hoch gelegene Altstadt und der alte Hafen mit Brücke werden durch eine steil abfallende Straße verbunden, die mit ihren unzähligen eng stehenden historischen Hausfassaden – vielfach Fachwerk – und dem Kopfsteinpflaster kaum urtümlicher wirken könnte.
Dinan wurde bereits im 11. Jahrhundert erwähnt. Die dortige Burg wird auf dem legendären Teppich von Bayeux abgebildet. Im 12. Jahrhundert berichtet ein arabischer Geograf von einer wohlhabenden Stadt, die von einer Steinmauer umgeben war. 1283 gelangte der Herzog der Bretagne in den Besitz von Dinan. Die im Wesentlichen noch existente Wehrmauer mit ihren zahlreichen Stadttoren wurde in der Folge vollendet und im 15. Jahrhundert ergänzt. Die Stadt an der Rance konnte sich 1357 gegen die Übernahme durch die belagernden englischen Truppen immer wieder behaupten und ging wie alle bretonischen Städte Ende des 15. Jahrhunderts an das Königreich von Frankreich.
Im 17. Jahrhundert siedelten sich zahlreiche geistliche Orden in der Stadt an. Der durch den Hafen an der Rance begünstigte Handel florierte auch in der Neuzeit. Dinan hatte die Kontrolle über den Flussabschnitt bis zur Mündung bei Saint-Malo inne. Im 18. Jahrhundert ließen sich zahlreiche Weber nieder und sorgten mit der Produktion von Segeltuchen für Boote für weiteren Aufschwung. Durch den Bau einer Straßenbrücke per Viadukt im Jahre 1852 und eines Eisenbahnanschlusses 1879 verlor Dinans Hafen schließlich seine beherrschende Stellung.
Stadtmauer und Donjon
Wir nähern uns der Altstadt von Süden. In diesem Bereich können die 2600 Meter langen mittelalterlichen Verteilungsanlagen, die in fast lückenloser Vollständigkeit erhalten sind, in ihrer ganzen Mächtigkeit studiert werden. Die Porte du Guichet, die den südlichen Zugang zur Stadt bildet, wird von einem weit vorspringenden Artillerieturm und dem aus dem späten 14. Jahrhundert stammenden, bollwerkartigen Donjon der Burganlage flankiert. Von hier aus zieht sich die mächtige, ungegliederte Stadtmauer an der Westseite der Altstadt entlang des ehemaligen Grabens. Der Anblick dieser Anlagen macht ehrfürchtig vor den baulichen Leistungen jener Zeit.
Sakralbauten
Ganz anders – voller romanischer und gotischer Bauplastik – zeigen sich die sakralen Bauwerke der Stadt. Die wichtigsten Kirchen sind die Basilika Saint-Sauveur im Osten und die zweite Pfarrkirche Saint-Malo im Nordwesten der Altstadt. Daneben existieren eine Reihe bescheidener mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Kirchenbauten, Klosterkomplexe und Kapellen. Erwähnenswert sind das Franziskanerkloster (Couvent des Cordeliers) und das Dominikanerkloster. Auch die Urselinen haben ihr Domizil in Dinan aufgeschlagen.
Große Teile des Langhauses und der Westfassade von Saint-Sauveur zeigen die romanische Formensprache des frühen 12. Jahrhunderts mit bemerkenswerter Bauplastik. Im Kontrast dazu stehen die hochstrebenden Ostteile mit Chorumgang des frühen 16. Jahrhunderts. Mit ihren markanten Strebepfeilern zeigen sie die Ausklänge der Spätgotik und frühe Anklänge der Renaissance auf. Beherrschend wirkt der Vierungsturm, der entstand, nachdem ein Vorgänger 1547 eingestürzt war. An der Südseite des Langhauses wurde um 1500 eine kleine Kapelle eingelassen, die mit ihrer filigranen Architektur außen wie innen ein wahres Kleinod darstellt. Von den Parkanlagen in der Manier eines englischen Gartens östlich der Kirche hat man einen fulminanten Ausblick auf die Rance und den tief unter uns liegenden Hafen von Dinan – ein Ort zum Verlieben.
Die Kirche Saint-Malo ist im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert nicht weniger monumental als Saint-Sauveur entstanden, wobei das Langhaus erst im 19. Jahrhundert fertiggestellt wurde. Der einheitliche Bau der Flamboyantgotik verfügt am Südquerhaus über eine Renaissancevorhalle des frühen 17. Jahrhunderts, die im auffälligen und reizvollen Kontrast zum übrigen Baukörper steht.
Bürgerbauten
Das bürgerliche Dinan zeigt sich anhand zahlreicher Wohnbauten in den engen mittelalterlichen Gassen und Platzanlagen – meist frühneuzeitliche Stein- und Fachwerkbauten. Ungewohnt für das deutsche Auge sind die französischen Fachwerkbauten (eine Ausnahme stellt das kulturgeschichtlich anders gestellte Elsass dar), die in der Regel sehr dünn und eng beieinander stehende senkrechte Ständer aufweisen. Diese Konstruktionsweise ist besonders in der angrenzenden Normandie landschaftstypisch für städtische und ländliche Häuser.
Höhepunkt des bürgerlichen Bauschaffens sind die Bürgerhäuser an der langgestreckten Place des Merciers und in der Rue de l’Horloge. In letzterer ragt zwischen den Dächern der Tour de l’Horloge (Uhrturm) heraus, ein im späten 15. Jahrhundert errichteter schlanker Turm, der als Wachturm diente und die bürgerliche Autonomie vom Stadtherren demonstrierte. Er ist besteigbar und verschafft den ultimativen Rundblick auf das mittelalterliche Gassengewirr der Stadt. Unweit des Turms steht mit der Maison de la Harpe eines der schönsten Häuser Dinans. Die vielleicht noch prominentere Maison de la Mère Pourcel an der Place des Merciers ist 2019 abgebrannt – ein herber Schlag für den Tourismus in Dinan, zumal die Brandruine die Kulisse des wohl schönsten Platzes der Stadt seitdem stark beeinträchtigt.
Hafen und Rue du Petit Fort
Im Nordosten der Altstadt führt die Rue de Jerzual zur Porte de Jerzual. Von hier an gehen wir auf dem Kopfsteinpflaster steil bergab. Die sich biegende Rue du Petit Fort ist mit ihren unzähligen historischen Fassaden aus Fachwerk, Stein oder Holz sicher zu den reizvollsten historischen Straßenzügen der Bretagne zu zählen. Ein letztes Fassadenpaar und wir stehen plötzlich an der Rance. Geradeaus führt eine pittoreske Steinbrücke über den Flusslauf. Links befinden sich die langgestreckten Kaianlagen. Eng stehende historische Bauten säumen die nach Norden führende Kaistraße.
Die beschauliche Szenerie wird überragt von dem gewaltigen Viadukt de Lanvallay. Drs Hafen von Dinan dient heute ausschließlich dem Tourismus. Freizeitboote und kleine Ausflugsschiffe warten darauf, den Weg flussauf- oder -abwärts zu nehmen. Fahrradtouristen legen in den Lokalen eine Pause ein.
Abtei Saint-Magloire in Léhon
Auf einem der Ausflugsschiffe geht es unter dem Viadukt hindurch in das enger werdende Tal der Rance, die hier einige Biegungen zwischen den steilen Hängen vollführt. Es folgt eine erste Schleusenanlage, hinter der sich aus dem Grün der Bäume malerisch die ehemalige Benediktinerabtei Saint-Magloire in Léhon erhebt. Eine kleine Brücke überspannt den hier sehr schmalen Fluss und weist den Weg durch das Dorf zur Abtei. Ein bretonischer Ort zum Verlieben!
Léhon liegt nur wenige Kilometer vor den Toren von Dinan. Der Ort wird von einer Burgruine überragt, die aber aus dem Flusstal kaum auszumachen ist. Sie war immer wieder Schauplatz der Auseinandersetzungen zwischen den Herzögen der Bretagne, den Herzögen der Normandie und den Königen von England. Die Geschichte der Abtei geht laut Legende bis ins 9. Jahrhundert zurück. Die romantische Klosteranlage ist in ihrem baulichen Bestand im Wesentlichen auf das späte 12. und das 13. Jahrhundert zu datieren. Die gotische Klosterkirche ist ein einfacher Saalbau, an den sich nördlich der Kreuzgang und die Konventsbauten anschließen. Diverse jüngere Nebengebäude komplettieren die Abtei.
An dieser Stelle soll unsere kleine Reise entlang des Unterlaufs der Rance enden. Lohnenswert ist es auf jeden Fall, dem Flusslauf weiter ins Landesinnere zu folgen. Auf dem vorzüglich ausgebauten Fahrradweg erreicht man auf diese Weise zahlreiche stimmungsvolle Schleusenanlagen und pittoreske bretonische Dörfer.