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Die historische Landschaft der Cornouaille
Die Cornouaille als historische Landschaft Frankreichs dürfte hierzulande wenigen Reisenden bekannt sein. Es handelt sich um ein Gebiet in der Bretagne – genauer: um den Südwesten der Bretagne. Sie ist damit Teil des Département Finistère, dessen Name sich klangvoll aus der Vorstellung ableitet, dieser äußerste westliche Punkt Frankreichs sei das Ende der Welt. Danach folgen nur noch die Weiten des tiefblauen Atlantiks. Überall nur Wasser, wohin man blickt! Dieser Eindruck entsteht unweigerlich, wenn man hoch auf einer der zahlreichen Klippen steht und der raue Seewind einem entgegenbläst. Aber die Cornouaille ist auch die Region der goldgelben Küstenabschnitte mit langen Sandstränden im Süden und natürlich kulturellen Hinterlassenschaften. Wir wollen uns aufmachen, diese besondere Landschaft zu entdecken!

Quimper
Historischer Überblick
Die Bischofsstadt Quimper – bretonisch: Kemper – kann man vielleicht als die heimliche Hauptstadt der Bretagne bezeichnen, auch wenn Brest und Rennes deutlich größer sind. Die hübsche Stadt am Zusammenfluss mehrerer Flüsse (Odet, Steïr, Jet) besitzt Wurzeln aus gallo-römischer Zeit, tritt aber erst mit ihrem ersten Bischof, dem heiligen Corentin, im 5. Jahrhundert ins Licht der Geschichte. Inwiefern diese Überlieferung den historischen Gegebenheiten entspricht oder mehr Legende ist, ist nicht restlos geklärt. Die jüngere Wissenschaft geht von der Gründung des Bistums Quimper erst im 9. Jahrhundert aus.


Quimper entwickelte sich zunächst rund um die Abtei Locmarie, ehe das städtische Zentrum noch vor dem 11. Jahrhundert an die heutige Stelle flussaufwärts am Odet verlegt wurde. Ende des 11. Jahrhunderts tauchte der Name Kemper erstmals in Schriftquellen auf. Die Herrschaftsverhältnisse in der Stadt waren zwischen dem Bischof und dem Grafen der Cournaille aufgeteilt, was zu häufigen Streitigkeiten führte. Im 14. Jahrhundert wurde die Stadt in den bretonischen Erbfolgekrieg gezogen. Unter der Stadtherrschaft der Bischöfe sowie der Herzöge der Bretagne entwickelte sich Quimper zu einem kulturellen, wirtschaftlichen und religiösen Anziehungspunkt. Die Hugenottenkriege des 16. Jahrhunderts, die zu häufigen Belagerungen und Plünderungen führten, taten der Entwicklung der Stadt keinen Abbruch. Ende des 17. Jahrhunderts etablierte sich die Herstellung von Fayencen, für die Quimper bis heute bekannt ist. In der Stadt existiert ein Museum zu diesem Kunsthandwerk.

Architektur und Stadtrundgang
Bedeutendes Bauwerk der Stadt ist die an der Stelle eines romanischen Vorgängers im 13. Jahrhundert begonnene Kathedrale Saint-Corentin, die vom Flussufer des Odets ein wahrlich imposantes Bild abgibt. Die Bauarbeiten zogen sich bis ins späte Mittelalter hin. Am Ende stand eine Basilika mit Querhaus und Chorumgang, die mit den Kathedralen der Île-de-France im Zentrum Frankreichs konkurrieren kann und sich im Wesentlichen auch an deren Architektur orientiert. Auffälliger ist aber die deutliche Achsverschiebung zwischen Chor und Langhaus, für die es bisher keine wirklich überzeugende Deutung gibt. Möglicherweise ist die Standfestigkeit der Fundamente nahe dem Flussufer ausschlaggebend gewesen.


Unsere Empfehlung ist es, den Rundgang durch die Stadt in Locmarie, dem alten Ursprungsort von Quimper zu beginnen. Von der oben erwähnten Abtei der Benediktinerinnen steht noch die romanische Pfeilerbasilika Notre-Dame aus dem 11. Jahrhundert mit einem auffälligen Vierungsturm. Von hier aus geht man immer entlang der Ufer des Odets Richtung Nordosten, Richtung Altstadt. Den Weg weisen die beiden mächtigen Westtürme der Kathedrale.


Die beschaulichen Gassen der Altstadt von Quimper sind gesäumt von historischen Bauten aus Granit und Fachwerk. Insbesondere die Straßenzüge und Plätze rund um die Kathedralkirche laden zum Erkunden ein. Vor allem die Rue Kéréon und die Rue du Lycée sollte man nicht versäumen. Letztere zweigt vom kleinen Place au Beurre ab, der einen guten Eindruck von bretonischer Gemütlichkeit vermittelt. Durch den Westen der Altstadt fließt das Flüsschen Steïr. Bevor es sich mit dem Odet vereint, bietet es rund um den Place Terre-au-Duc einige schöne Impressionen und Einblicke. Die geschäftige Platzanlage mit einigen historischen Wohnbauten stellt einen perfekten Ort dar, um den Besuch in Quimper ausklingen zu lassen.


Idyllische Kleinstädte
Locronan, die Malerische
Das winzige Locronan nordwestlich von Quimper ist ein Musterort einer bretonischen Stadt. In den kopfsteingepflasterten Gassen rund um die Place de l’Église finden sich ausnahmslos historische, meist frühneuzeitliche Fassaden aus dem lokalen Granitstein. Zahlreiche Handwerksbetriebe und -läden locken Touristen in das Städtchen, ohne es dabei zu überschwemmen. Am Abend, nach Ladenschluss, kehrt hier absolute Ruhe ein und der Ort gehört wieder den Einheimischen. Dann vermittelt die Stadt einen Eindruck davon, warum sie bereits mehrfach als Kulisse für Filmaufnahmen diente. Es genügt, die wenigen Verkehrszeichen zu entfernen, und der Dreh für einen Mantel- und Degenfilm kann starten.

Am Hauptplatz steht auch die Kirche Saint-Ronan. Sie wurde erstmals im Jahre 1031 als Prioratskirche erwähnt. Der heutige Baukörper ist dagegen eine Hallenkirche des 15. Jahrhunderts im Stil der Flamboyant-Gotik. Der Kirchenbau wurde an der Stelle der Einsiedelei des heiligen Ronan errichtet und birgt eine reiche Ausstattung, unter anderem das Grab des Eremiten, der in der Bretagne als Heiliger verehrt wird. Herauszugreifen ist auch eine schöne Kreuzigungsgruppe aus der Zeit um 1500. Am Ortsrand von Locronans steht mit der Chapelle Notre-Dame-de-Bonne-Nouvelle ein weiterer interessanter Sakralbau des Mittelalters.


Concarneau, die Maritime
An der vielerorts fast mondänen Südküste liegt die Stadt Concarneau. Ihre winzige Altstadt gleicht einer schwimmenden Festung, was sie zur kleinen Schwester von Saint-Malo macht. Die Festungsstadt (Ville Close) im Hafenbecken ist – abgesehen von einer kleinen Personenfähre – nur über einen einzigen Brückenweg zu betreten. Sie geht ins Mittelalter zurück, ist aber in ihrer heutigen Gestalt mit Türmen, Bastionen und Toren im 17. Jahrhundert entstanden. Die Stadtmauer ist in großen Abschnitten begehbar und erlaubt einen schönen Blick über das Wasser und das Treiben innerhalb der Ville Close. Diese ist mit Souvenirläden, Boutiquen und Esstempeln derart gespickt, dass sich tagsüber die Touristenmassen durchschieben, um dann abends an der Essmeile am Quai Peneroff auf dem Festland zu landen.

Quimperlé, die Beschauliche
Deutlich beschaulicher geht es da im weiter östlich und landeinwärts gelegenen Quimperlé zu. Durch die Stadt fließen reizvoll die Flüsse Ellé und Isole, die hier nahe der Altstadt zusammenfließen und diese umschließen. Zahlreiche Brücken führen über die Wasserläufe. Der historische Ortskern teilt sich dabei in eine Oberstadt und eine Unterstadt, die durch die steile Rue Savary verbunden werden. In der Oberstadt empfängt uns die zentrale Platzanlage der Stadt: die Place Saint-Michel. An ihr steht die mittelalterliche Kirche Notre-Dame-de-l’Assomption mit einem gewaltigen Vierungsturm.

Bedeutendstes Bauwerk ist die romanische Kirche der ehemaligen Benediktinerabtei Sainte-Croix in der Unterstadt. Sie entstand im 11. Jahrhundert und stellt einen mächtigen Zentralbau dar, der aus dem Häusermeer der Unterstadt ragt. Diese Bauform ist in der Bretagne nahezu singulär – Vergleichbares findet sich lediglich in der Rotunde von Lanleff – und darf wahrscheinlich als Anspielung auf das Heilige Grab in Jerusalem verstanden werden.


Die Westküste
Die Halbinseln Sizun und Crozon
Die Halbinseln Sizun und Crozon stellen Außenposten der menschlichen Zivilisation dar. Steile Felsküsten wechseln sich mit einsamen Stränden ab. Hier verdient das Finistère, das bereits zur römischen Zeit Finis Terrae hieß, seinen Namen, auch wenn einzelne Abschnitte in der Hochsaison geradezu von Touristen überrannt werden. Besonders spektakulär wird der Besuch der zahlreichen Aussichtspunkte bei stürmischer See, wenn der wütende Atlantik gegen die Felswände schlägt. Archäologiebegeisterte kommen wie in großen Teilen der Bretagne durch prähistorische Dolmen und Menhire auf ihre Kosten.

Die zerklüftete Küstenlinie der Halbinsel Crozon bietet zahlreiche Klippenabschnitte mit attraktiven Blicken aufs Meer hinaus. Von der Pointe des Espagnols blickt man über einen Meeresarm hinüber auf das Häusermeer von Brest. Ganz im Westen ist die Pointe de Penhir einen Umweg wert. Mancher glaubt sogar, hier den unvergesslichsten Ausblick auf den Atlantik und die vorgelagerten Inseln zu erhaschen. Und ganz im Süden findet sich besonders exponiert schließlich das Cap de la Chèvre. Kurz zuvor passieren wir den Weiler Rostudel, eine Fischersiedlung aus Granit, Schiefer und viel Blau an Türen und Fensterläden, die wie vor 100 Jahren verlassen wirkt. Für Kulturinteressierte bietet der Hafen von Camaret-sur-Mer einen seltenen Anblick. Der Vauban-Turm stellt einen im späten 17. Jahrhundert entstandenen, sechseckigen Verteidigungsturm an der Hafeneinfahrt des Ortes dar. Er war Teil eines ausgedehnten Verteidigungssystems.


Perfekter Ausgangspunkt für die Erkundung der Halbinsel Sizun ist der Ort Pont-Croix mit seinem hübschen historischen Stadtzentrum. Spektakulär ist die Pointe du Raz mit einer Kette vorgelagerter Inseln, auf deren äußerster ein Leuchtturm dem tosenden Meer standhält. Nur wenige Kilometer nördlich an der Pointe du Van bietet sich ein weiterer faszinierender Blick. Eine einsame mittelalterliche Kapelle steht hier an der Steilküste und scheint das Christentum gegen Wind und Wasser zu verteidigen.

Kalvarienberge, Leuchttürme und Ziegen
Nach Süden läuft die Halbinsel Sizun in einen kilometerlangen Sandstrand aus. Im Hinterland der Dünenlandschaft ist so manches Kleinod wie die Pfarrkirche Notre-Dame de Tronoën mit der Skulpturengruppe eines Kalvarienbergs auf dem Kirchhof zu entdecken. Derartige Darstellungen finden sich in der Bretagne unzählige Male an Dorfkirchen. Am Phare d’Eckmühl, einem gewaltigen, 1897 eingeweihten Leuchtturm, geht schließlich die West- in die Südküste der Bretagne über. Hier wechselt der Charakter der Küstenlinien endgültig von den rauen Steilküsten zu lieblichen, ruhigen Strandbuchten.

Kaum an einem anderen Ort wird die Vielseitigkeit der bretonischen Landschaft sichtbarer. Auf kürzester Distanz wechseln die Landschaftsformen. Verlassene, steinige Felsklippen, Sandstrände, geschäftige Fischerorte und architektonische Hochkultur präsentieren sich auf engstem Raum, um per Fahrrad oder Auto erkundet zu werden. Unsere Rundreise endet mit einem ganz persönlichen Erlebnis: Eine entlaufene Ziegenherde kreuzte unseren Weg und machte ein ganzes Dorf unsicher. Wir konnten dabei helfen, die kleinen Zicklein, die sich auf den Grundstücken verliefen und nach ihrer Mutter schrien, ausfindig zu machen, bevor wir schließlich unsere Radtour fortsetzen.