
Ein Ort mit dunkler Vergangenheit
Schon einmal – vor rund 10 Jahren – ist der Versuch unternommen worden, das Gelände der ehemaligen Heeresversuchsanstalt auf der Insel Usedom, auf dem sich heute das Historisch-Technische Museum Peenemünde befindet, als Weltkulturerbe vorzuschlagen. Nun machte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig einen erneuten Vorstoß. Das stieß – wenig überraschend – eine kontroverse Diskussion an, steht doch der Name Peenemünde untrennbar mit Verbrechen des Dritten Reiches und den Massenvernichtungswaffen V1 und V2 im Verbindung.
Immer wieder hört man dabei das Argument, auch Orte mit dunkler Vergangenheit können den Welterbestatus erlangen. Das ist zweifelsohne richtig, wie das prominente Beispiel des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau verdeutlicht. Doch ist bereits an dieser Stelle ein entscheidender Unterschied zu Peenemünde festzuhalten: Auschwitz erlangte den Status als Welterbe als Symbol der Erinnerung, als Stätte des Gedenkens an das wohl abscheulichste Menschheitsverbrechen unserer Geschichte.
Mythos Wiege der Raumfahrt
In Peenemünde strebt man dagegen an, den Ort als Wiege der Raumfahrt zu küren, weil die dort entwickelten Waffen bei ihren Flügen erstmals die Grenze zum Weltraum durchstießen. Wie falsch eine solche Mythenbildung ist, offenbart bereits ein Blick auf die Geschichte der Heeresversuchsanstalt. Die Wehrmacht riss 1936 das Dorf Peenemünde ab, um an seiner Stelle das Raketenentwicklungszentrum zu errichten. Unter der technischen Leitung von Wernher von Braun erfolgte die Entwicklung von raketenbasierten Massenvernichtungswaffen, die als Vergeltungswaffen V1 und V2 unrühmlich in die Geschichte eingingen. Die V2 blieb trotz Ankündigung als Wunderwaffe hinter ihren Erwartungen zurück und konnte den Ausgang des Krieges nicht mehr beeinflussen – zum Glück muss man aus heutiger Sicht sagen.
Eine zivile Nutzung zur Erforschung des Weltraums hat an diesem Ort nie stattgefunden und war auch nicht vorgesehen. Und noch mehr: Für die Errichtung der Anlage und Montage der Raketen wurden KZ-Zwangsarbeiter eingesetzt, die in Peenemünde seit Juni 1943 in einem Außenlager des KZ Ravensbrück untergebracht waren. Rund 20000 Häftlinge kamen in Peenemünde bei den Arbeitseinsätzen ums Leben.
Vor diesem Hintergrund ist die gerne zitierte Ambivalenz des Raketenentwicklungszentrums nicht mehr als ein Trugschluss und Schwesigs Vorschlag geschichtsvergessen. In Wahrheit diente Peenemünde von Beginn an dem alleinigen Zweck der Waffenentwicklung und des Massenmordes. Um hier ein Museum zu installieren, das die technischen Entwicklungen thematisiert und diese kritisch kontextualisiert, dafür mögen die Örtlichkeiten sehr wohl geeignet sein. Für ein Weltkulturerbe braucht es aber mehr, insbesondere ein überzeugendes Konzept, wie ein solcher Ort den menschlichen Leistungen – im positiven oder negativen Sinne – zum Gedenken gereicht.
Gefahr der Verklärung
Über Museen, die dem Besucher Kriegstechnik präsentieren, schwebt zudem stets die Gefahr, zum Anlaufpunkt für rechte Verklärung des Dritten Reiches zu avancieren. Das Historisch-Technische Museum in Peenemünde dürfte dabei ausreichend professionell aufgestellt sein, um mit seinem Bildungsauftrag verantwortungsvoll umzugehen. Anders positioniert sich dabei aber zum Beispiel das Museum für Flugzeugbau und technische Geschichte – Wäschenbeuren, das sich auf Facebook in die Diskussion über den Welterbestatus von Peenemünde einschaltete.
In einer Nutzergruppe zu Technikmuseen in Deutschland sind dabei unter anderem folgende Äußerungen von der Fanseite des Museums getätigt worden:
- Demokratien inklusive der heutigen Bundesrepublik hätten in ihrer Geschichte mehr Menschen weltweit getötet, entheimatet und aus ihren Strukturen gerissen als das NS-Regime. Die „Demokratie-Propaganda“ würde mehr Leute länger blenden als das Dritte Reich.
- Die Einordnung Peenemündes als dunklen Ort zeige die Normalität im Bildungsstand und die geformten Ansichten durch 80 Jahren Indoktrination in einer Richtung.
Dieses doch sehr offen kommunizierte Beispiel verdeutlicht eindringlich, wie selbst in der Museumslandschaft einzelne Institutionen ihren Status missbrauchen, um rechte Ideologien öffentlich zu verbreiten. Es darf gehofft werden, dass seriöse Häuser die Zusammenarbeit mit solchen Museen konsequent ablehnen und der Besucher das Augen-auf-Prinzip in Ausstellungen, in denen auch Kriegstechnik präsentiert wird, beherzigt.
Umso sensibler sollte nun mit der Frage nach der Zukunft des Standortes Peenemünde umgegangen werden. Ein Welterbestatus könnte den Mythos des Ortes als Wiege der Raumfahrt verfestigen – ein Narrativ, das in rechten Kreisen dankbar aufgenommen und gepflegt werden dürfte.
Beeindruckend ist das Areal allemal, ich habe es 2018 besucht, mehr als das Kraftwerk scheint aber nicht mehr vorhanden zu sein – und letzteres vor allem, weil es zu DDR-Zeiten noch mehr schlecht als recht weiterbetrieben wurde (dazu gibt es eine separate Ausstellung). Als Weltkulturerbe aber sicherlich ungeeignet … nicht nur wegen der oben angesprochenen Diskussion, sondern auch einfach „mangels Masse“.
Danke dir für deinen Kommentar, Stephan. Die mangelnde Masse mag zwar für Peenemünde ein zusätzliches Argument sein, aber ich gebe zu bedenken, dass es auch immaterielles Kulturerbe gibt. Oder nehmen wir das Danewerk, das jüngst den Welterbstatus erhalten hat. Die meisten Besucher dürften enttäuscht sein, wenn sie die Mauerreste sehen. Erst bei einem vertieften Blick erschließt sich die Bedeutung des Objektes.