
Südpfeil
Dass sich das Humboldt Forum im rekonstruierten Berliner Schloss stetig weiterentwickelt, ist Teil der Programmatik des Hauses. Dies führt dazu, dass der Bau und das Umfeld fortlaufenden Veränderungen ausgesetzt sind, auch wenn in diesen Tagen mit dem Aufsetzen der Attikafiguren die Rekonstruktion des stadtbildprägenden Gebäudes offiziell abgeschlossen ist. Gegenwärtig wird im Rahmen eines Kunst-am Bau-Wettbewerbs – der siebte seiner Art – die nördliche Stirnseite des modernen Ostflügels des Architekten Franco Stella gestaltet. Als Zielsetzung für das Kunstwerk haben die Stiftung Humboldt Forum und das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung eine programmatische Verbindung zu den ethnologischen Ausstellungen des Museumskomplexes und die Einbindung der barocken Fassaden in ein demokratisches Umfeld formuliert. Konkret heißt es:
Aufgabe war es, durch ein Werk der zeitgenössischen Kunst an der nördlichen Stirnseite der zeitgenössischen Fassade den programmatischen Anspruch des Humboldt Forums und seiner hier versammelten Akteure für eine breite Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Ferner sollte das Kunstwerk dazu beitragen, das durch Rekonstruktionen monarchischer Elemente geprägte Umfeld des Lustgartens und der Straße Unter den Linden als Teil eines demokratischen, vielfältigen und offenen Raums zu markieren, bei Bedarf auch in kritischer Reflexion mit den Barockfassaden.
Die Jury, in der Stella persönlich saß, hat nun die Sieger des Wettbewerbs gekürt. Den 1. Platz machte eine Idee von Jürgen Mayer H., die einen Pfeil zeigt, der in der Fassade steckt. Der puristische Entwurf wirft Fragen auf und verstört beim ersten Anblick, was gewiss beabsichtigt ist. In der Begründung für die Prämierung beschreibt es dieselbe Quelle:
Das Kunstwerk „Südpfeil“ am Humboldt Forum stellt eine symbolisch aufgeladene Intervention dar. Ein großer Pfeil scheint die Betonsteinfassade des Humboldt Forums zu treffen. Diese Intervention verbindet historische, kulturelle und künstlerische Aspekte und thematisiert die Kolonialgeschichte und ihre Auswirkungen. Die Art der Gestaltung und die Integration des Werks in die Fassade laden Betrachter dazu ein, über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Ortes nachzudenken. Es ist ein Kunstwerk, das in seiner Ambivalenz provoziert, hinterfragt und zugleich zur Reflexion anregt. Der Pfeil ist vielfältig lesbar, – als Richtungspfeil, als Waffe und Werkzeug, die dem Überleben dienen, als Kulturartefakt entfernter Völker oder auch als Symbol für rhetorische Attacken. Ebenso dient er als Forschungsobjekt von Migrationsmustern und kultureller Vielfalt.

Kritik
Es ist wahrlich viel Inhalt, den man diesem kleinen unscheinbaren Pfeil zuschreiben möchte – vielleicht auch zu viel. Denn zunächst wirkt das Kunstwerk ganz banal und verweist auf die Inhalte der ethnologischen Ausstellungen hinter den ins Visier genommenen Mauern. Neben dem Bezug zur Kolonialgeschichte, die mit diesem Ort eng verbunden ist, kann der Pfeil auch Ausdruck sein für ein differenziertes Handwerk, für kulturelle Errungenschaften oder für die Frage, wie die Beschaffung von Nahrung und somit das Überleben einer Spezies in der Evolution vonstattenging. Dagegen findet der Bezug zu den barocken Fassaden, deren Rekonstruktion in Fachkreisen bis heute umstritten ist, allenfalls auf einer Metaebene statt. Symbolisiert er vielleicht das Spannungsfeld, in dem über Jahre zwischen Befürwortern und Gegnern der Rekonstruktion um die Gestalt des monarchischen Prestigebaus in der Mitte Berlins gerungen wurde? Wird damit die kritische Reflexion mit den Barockfassaden angestoßen? Mir erscheinen solche Deutungsansätze fast schon zu konstruiert.
Aber dieser Wettbewerb macht auf ein anderes Manko aufmerksam. Die sterile, ungegliederte Stirnwand, die im scharfen Kontrast zu den anschließenden Barockfassaden Schlüters steht, bedarf dringend einer gestalterischen Aufwertung, um den Gegensatz abzufangen. Ob der banale und minimalistische Pfeil dafür allerdings am besten geeignet ist, möchte ich bestreiten. Unter den Entwürfen finden sich geeignetere Vorschläge. Besonders passend erscheint mir aus ästhetischer Sicht das Konzept „Der Spiegel“ von Jan Zappe. Es zeigt einen hochformatigen Kupferspiegel, in dem sich der Berliner Wolkenhimmel abzeichnet. Aber vor allem wird man dadurch an den durch seine farbigen Glasscheiben ähnlich wirkenden Palast der Republik erinnert, der dem Schlossneubau gewichen ist. Damit würde man der jüngeren, ambivalenten Geschichte des Ortes gerecht werden. Ganz unabhängig vom Kunstwettbewerb würde sich diese Wandfläche auch hervorragend für die bunten Werbebanner der Ausstellungen eignen. Aber offensichtlich erschien den Verantwortlichen eine rein ästhetische Bearbeitung der Wandfläche nicht der Bedeutung des Ortes würdig.


Debatte
Wie zu erwarten, rief der Wettbewerb und insbesondere der Siegerentwurf bei Teilen der Schlossfreunde Widerstand hervor. Die intensivste Debatte wurde im Forum des Vereins Stadtbild Deutschland geführt. Die Kunstinstallation sei ein feindlicher Akt und Anschlag gegen die Rekonstruktion des Schlosses, ist zu lesen. Der Vorwurf der Aggression, die in der Darstellung des Pfeils verankert sei, wurde geäußert. Künstler und die Stiftung Humboldt Forum wurden in diesem Kontext als Gewalttäter eingestuft. Andere Diskussionsteilnehmer verwiesen dagegen darauf, dass die Kunst am Bau in keiner Weise die barocken Fassaden beeinträchtigt. Zudem sei festzuhalten, dass selbst der Förderverein für den Wiederaufbau des Schlosses und Architekt Franco Stella sich hinter den Wettbewerb stellten. Bereist aus dieser Warte wirken die Vorwürfe gegen die Stiftung ausgesprochen konstruiert.
Insgesamt erscheint der vorliegende Kunst-am Bau-Wettbewerb als ein Schritt in die richtige Richtung. Die Kunst erfüllt ihren Zweck, noch bevor sie umgesetzt ist: Sie regt zur Debatte an, provoziert vielleicht sogar. Die Fassaden von Stellas Ostflügel laden geradezu ein, hier gestalterisch und künstlerisch tätig zu werden. Sie scheinen genau mit dieser Absicht maximal minimalistisch konzipiert worden zu sein: Lasst nachfolgende Generationen ihre Kreativität entdecken! Ob allerdings die Diskrepanz zwischen den Realisierungskosten von 120.000 Euro und dem Ergebnis eines scheinbar banalen Pfeils jedem Kunstfreund vermittelbar ist, darf angezweifelt werden. Angesichts einiger anderer Wettbewerbsentwürfe muss man aber bereits froh sein, dass diese nicht zum Zuge gekommen sind.
Dieser Artikel ist Teil des Themenkomplexes: Rekonstruktion des Berliner Schlosses
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