Inhalt
Historisches
Die Stadt Herford am Zusammenfluss der Werre und dem Flüsschen Aa, das zur Unterscheidung unzähliger gleichnamiger Wasserläufe auch als Westfälische Aa bezeichnet wird, ist eine der ältesten in Westfalen. Diese lange Vergangenheit spiegelt sich in den zahlreichen Kirchen und dem unregelmäßigen Straßennetz mit drei Märkten wider. Die unterschiedlichen Siedlungskerne sind auch heute noch im Stadtplan ablesbar.
Reichsabtei und Wallfahrtsort
Keimzelle Herfords ist ein Frauenkloster, das bereits um 790 gegründet wurde und somit das älteste im Herzogtum Sachsen darstellt. Dieses wurde unter dem karolingischen Kaiser Ludwig dem Frommen zur Reichsabtei erhoben. Es nahm dabei eine zentrale Rolle bei der Christianisierung Sachsens und bei der Klosterreform des Regenten ein. Im 10. oder 11. Jahrhundert wandelte sich das Benediktinerinnenkloster zu einem hochadligen Kanonissenstift, nach der Reformation zu einem adligen Damenstift.
Das Stiftsgelände nahm ein gewaltiges Areal ein. Es erstreckte sich vom Alten Markt bis zum Straßenzug „Auf der Freiheit“, der an die Immunität des Stiftbezirks erinnert. Die die Altstadt Herfords beherrschende Münsterkirche ist als Stiftskirche erbaut worden und lag im Zentrum des Komplexes. Mit dem Bau des Rathauses und der Markthallen westlich des Münsters Anfang des 20. Jahrhunderts beseitigte man leider auch die letzten Abteigebäude. Nördlich der Münsterkirche sind der Kreuzgang und einige Wohnbauten des Damenstifts archäologisch nachgewiesen.
Mit der Herforder Vision ist die älteste Marienerscheinung nördlich der Alpen bezeugt. In ihrer Folge wurde durch die Äbtissin Godesdiu im Jahre 1011 auf einem Berg östlich von Herford das Stift auf dem Berge als Tochterkloster des Stifts Herford gegründet. Damit wurde Herford zum Wallfahrtsort. Die dortige Kirche St. Marien des 13. Jahrhunderts thront auch noch heute über der Stadt und der Werre.
Die mittelalterliche Stadt
Die Entwicklung der eigentlichen Bürgerstadt, die sich um den Herforder Stiftsbezirk bildete, ist auf die karolingischen Privilegien für Markt, Münze und Zoll für die benachbarte Siedlung Odenhausen westlich der Aa zurückzuführen. Dort siedelten sich seit dem 9. Jahrhundert Fernhändler an. Deutlich heben sich im Stadtgrundriss die verschiedenen Zentren der weiteren Stadtentwicklung ab: Stiftsfreiheit, Altstadt mit Altem Markt, die Radewig – die auf die Siedlung Odenhausen zurückgeht – mit Gänsemarkt sowie die Neustadt (gegründet 1224) mit dem Neuen Markt ab.
Um 1220 ist erstmals ein Stadtrat bezeugt, womit er zu den frühesten in Deutschland gehört. Die Mitgliedschaft in der Hanse ist seit der Mitte des 14. Jahrhunderts belegt. Altstadt und Neustadt blieben wie so häufig in vergleichbaren Konstellationen bis 1634 selbständige Gemeinden mit eigenem Bürgermeister. Die Blütezeit Herfords neigte sich im 17. Jahrhundert dem Ende zu, auch wenn die westfälische Stadt zwischen 1631 und 1652 für eine kurze Episode zur Reichsstadt aufstieg.
Die Kirchenlandschaft in Herford
Münsterkirche
Unser Stadtrundgang sollte am historischen Zentrum der Stadtanlage, der ehemaligen Kirche des Damenstifts starten. Sie stellt den herausragenden Kirchenbau in Herford dar und wurde an Stelle mehrerer Vorgänger im 2. Viertel des 13. Jahrhunderts begonnen. Die Doppelturmfassade wurde erst nach der Mitte des Jahrhunderts fertig gestellt. Die ursprüngliche Apsis wich später einer spätgotischen, gerade schließende Chorlösung. Gemeinsam mit dem Paderborner Dom ist die Herforder Münsterkirche ein wegweisender Bau für den Typus der westfälischen Hallenkirche.
Der spätromanisch-frühgotische Kernbau präsentiert sich nach Süden mit einer vielgliedrigen Schaufront, bereichert durch den sogenannten Krämerchor des 14. Jahrhunderts mit vielbanigen Maßwerkfenstern. An der westlichen Achse befindet sich das Hauptportal in einer Paradiesvorhalle ähnlich den Situationen an den Dombauten in Paderborn und Münster. Es zeichnet sich durch Kleeblattbögen und Knospenkapitelle aus, die für die Formensprache kurz vor der Mitte des 13. Jahrhunderts prägend waren. Das nur etwas jüngere Querhausportal sitzt in einem weiteren tiefen Vorbau. Darüber sitzt ein prächtiges frühgotisches Fenster mit reicher Gewändestufung. Es ist mit gewirtelten Säulchen mit Knospenkapitellen sowie einer bekrönenden Sechspassblende ausgeführt.
Das Innere des Kirchenbaus ist eine breit gelagerte Halle, deren Mittelschiff durch die für Westfalen in jener Zeit üblichen Domikalgewölbe betont wird. Der Baufortschritt von Ost nach West ist gut an den Formen der Kapitelle ablesbar: Die spätromanischen Kelchblockkapitelle werden von der jüngeren Form der Knospenkapitelle abgelöst. Auch das Fehlen eines Stützenwechsels weist die Herforder Münsterkirche als eine Weiterentwicklung ihres unmittelbaren Vorgängers, der Marienkirche in Lippstadt, aus.
St. Marien Stift Berg
Die Marienkirche als ehemalige Kirche des Frauenstifts am Berge ist der zweite bedeutende Hallenbau in Herford. Der im 1. Viertel des 14. Jahrhunderts begonnene Kirchenbau entstand außerhalb der Stadtmauern an Stelle des spätottonischen Gründungsbaus, der hier nach der Marienerscheinung des Jahres 1011 errichtet wurde. Von den mittelalterlichen Stiftsgebäuden ist nichts erhalten. Die charakteristischen Quersatteldächer und die Bündelpfeiler mit acht Diensten weisen die Marienkirche als Nachfolgebau des Mindener Domes aus.
Von herausragender künstlerischer Virtuosität zeugen das Maßwerk der Chorfenster, der mit Fialen und Maßwerkblenden besetzte Chorgiebel sowie das Chorgewölbe. Letzteres ist trotz des äußeren geraden Chorschlusses innen in der Art eines 5/8-Polygons ausgeführt und mit maßwerkdurchbrochenen Gewölbeanfängern versehen. Dem Betrachter präsentiert sich hier eine meisterhafte hochgotische Architektursprache.
In dieses Bild fügt sich auch die Ausstattung des Chores ein, die beherrscht wird von einem filigranen Reliquientabernakel von Anfang des 16. Jahrhunderts in der Art eines Sakramentsturmes. Es stammt wahrscheinlich aus derselben Werkstatt wie das Sakramentshäuschen an der Südseite des Choreingangs.
Weitere Kirchenbauten
Bedingt durch die Stadtentwicklung mit verschiedenen Siedlungskernen verfügt Herfords historischer Stadtkern über eine Reihe weiterer Pfarrkirchen. Dabei ist die Marktkirche St. Nikolai am Alten Markt im 16. Jahrhundert abgebrannt. In der Folge sind die Mauerreste in anderen Gebäuden verbaut und schließlich abgetragen worden. Entsprechend unvollständig stellt sich der Alte Markt heute dar.
Dagegen stehen die Pfarrkirchen St. Johannis und St. Jakobi noch aufrecht. Die Johanniskirche am Neuen Markt war die Pfarrkirche der 1224 gegründeten Neustadt. An der dreijochigen Halle sind zwei größere Bauphasen des 13. und des 14. Jahrhunderts abzulesen. In der Anlage ähnlich präsentiert sich die aus dem 14. Jahrhundert stammende Jakobikirche, die als Radewiger Pfarrkirche errichtet wurde. Ein basilikaler Vorgängerbau aus dem 11. und 12. Jahrhundert ist archäologisch an dieser Stelle bezeugt.
Profanbauten
Steinbauten
Die Blütezeit Herfords im 16. Jahrhundert manifestiert sich an einigen Steinhäusern mit reichem Fassadenschmuck. Insbesondere rund um den Neuen Markt trifft man auf entsprechende Beispiele. 1538 baute der Bürgermeister der Neustadt, Heinrich Crüwell, sein Haus in der Höckerstraße 4 (Bürgermeisterhaus oder Crüwell-Haus) um und ließ dabei einen repräsentativen Staffelgebiel mit Maßwerkfüllungen schaffen.
Kurze Zeit später setzte sich der Formenschatz der Renaissance in Herford durch. Am neuen Markt 2 entstand um 1560 für den Kaufmann Jobst Wulfert ein giebelständiges Längsdielenhaus (Wulferthaus) mit einem prachtvollen Ziergiebel mit Schweifwerk, Muschelornamenten und charakteristischen Beschlagwerkformationen wie sie an den Fassaden einiger westfälischer Herrenhäuser und Wasserschlösser anzutreffen sind. Diesem gegenüber steht ein Haus mit ähnlich übbigem Renaissancegiebel (dendrochronologisch auf 1579 datiert). Das im Kern mittelalterliche Gebäude diente bis 1634 als Rathaus der Herforder Neustadt.
Unweit des Marktes an der Nordseite der Johanniskirche steht ein weiterer vorzügliches Haus der Renaissance (Frühherrenhaus). Es wurde 1591 für Adolf Hanebohm erbaut, der als Dechant am 1414 an der benachbarten Kirche angesiedelten Stift amtierte. Diese wurde aus dem benachbarten Enger hierher verlegt. Die Szenerie rund um den Neuen Markt wird schließlich seit 1599 durch einen reich verzierten Sandsteinbrunnen mit Hermenpfeilern komplettiert.
Fachwerkbauten
Auch der Bestand an Fachwerkbauten ist stellenweise noch geschlossen. Herausragend zeigt sich dabei die Brüderstraße am östlichen Altstadtrand. Die Bebauung stammt vor allem aus dem 16. Jahrhundert. Die überwiegend giebelständigen Häuser zeichnen sich durch die Vorkragung der Geschosse aus, was für die zeitliche Stellung der Bauten charakteristisch ist. Besonders hervorhebenswert ist das 1521 für Heinrich Aldach errichtete sogenannte Remensnider-Haus. Die reich geschnitzten Knaggen zeigen Christus als Weltenrichter, umgeben von Aposteln, zahlreichen Heiligen sowie der Darstellung der Tugenden und Laster.
Ein weiterer reicher Bestand an Fachwerkhäusern findet sich in der Elisabethstraße südlich der Münsterkirche. Es handelt sich hierbei um stattliche Kurienhöfe des 17. und 18. Jahrhunderts von Funktionsträgern des Stifts. Am Eingang zum Münsterkirchplatz steht das sogenannte Kantorhaus (datiert 1491d), dessen Ausfachungen eine Vielzahl von Schmuckziegelformationen zeigen. Mit den dahinter aufragenden Münsterkirchtürmen entsteht auf diese Weise eine äußerst malerische Kulisse.
Würdigung
Herfords Altstadt, die im Zweiten Weltkrieg weitgehend von Zerstörungen verschont blieb, zeichnet sich durch das verwinkelte Straßennetz mit immer wieder überraschenden und vielfältigen Einsichten aus. Die Wasserläufe von Werre und Aa bereichern dabei das Stadtbild ganz erheblich. Insbesondere die Straßenzüge in der Radewig, der Neue Markt in der Neustadt sowie das Umfeld der Münsterkirche warten mit viel Aufenthaltsqualität auf. Im Ranking historischer westfälischer Städte sollte Herford mehr Beachtung geschenkt werden. Derzeit wird die Innenstadt durch umfangreiche Umbaumaßnahmen an vielen Stellen für Touristen und Einheimische attraktiver gestaltet.