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Sprache auf dem Abstellgleis?
Geht es eigentlich nur mir so? Spätestens seit der unsinnigen Rechtschreibreform habe ich den subjektiven Eindruck, immer weniger Menschen in unserem Land sind in der Lage, Texte halbwegs fehlerfrei auf Papier zu bringen oder in die Tastatur zu hauen. Gerade in den sozialen Netzwerken sind Textkreationen, die mehr Fehler als Zeilen aufweisen, an der Tagesordnung. Das wäre ja an sich nicht das größte Übel – meine eigene Orthographie ist ebenso wenig perfekt, weshalb ich mir gerne von einer Browser-Erweiterung helfen lasse -, doch häufig damit einhergehende Sinnentstellungen machen das Lesen zu keinem Vergnügen.
Hinzu kommt, dass die Verfasser auch im Übrigen nicht selten eklatante Schwächen dabei aufweisen, Sachverhalte so darzustellen, dass sie einem Unbeteiligten zugänglich sind. Den meisten Menschen scheint es egal zu sein, ihre Bildungsdefizite offen und möglicherweise für alle Zeiten im Netz zu präsentieren. Sind das die gleichen Mechanismen, die viele Menschen dazu treiben, dort ihr halbes Leben offen zu legen? Soziologen könnten dies sicher gut analysieren.
Das Deppenleerzeichen
An den sogenannten Deppenapostroph hat sich die deutsche Schriftsprache mittlerweile gewöhnt. Selbst der Duden hat die Regeln in Folge des inflationären Gebrauchs ein wenig aufgeweicht. Wen wundert es, dass so mancher sich aufgrund falscher Interpretation der Regel darauf beruft? Seit einigen Jahren greift aber eine weitaus folgenreichere Unsitte um sich: das Deppenleerzeichen, Leerzeichen in Komposita, wo sie eigentlich nichts zu suchen haben. Das gibt es zwar im Englischen, aber nicht in der deutschen Sprache.
Erlaubt ist dagegen ein Bindestrich, um den Lesefluss bei doch zu argen Wortungetümen zu gewährleisten. Dabei besitzt man sogar eine gewisse Entscheidungsfreiheit, so lange dabei die Semantik nicht leidet. Richtig wären daher Augustinerchorherrenstiftskirche, Augustinerchorherren-Stiftskirche, Augustiner-Chorherrenstiftkirche, nicht aber Augustiner Chorherren Stiftskirche. Bei Eigennamen ist dagegen fast alles erlaubt. So gibt es das Tuchmacher Museum Bramsche oder das Industrie Museum Lohne, jedoch das Focke-Museum in Bremen. In den Logos (richtiger: Wortbildmarken) der Einrichtungen wird dagegen meist die Schreibweise mit Leerzeichen bevorzugt – aus gestalterischen Gründen.
Das Erschreckende und Gefährliche an dem Deppenleerzeichen ist, dass es längst im öffentlichen Leben salonfähig geworden ist. Da findet man in Friedrichstadt eine Stadt Bücherei, bei VW die Volkswagen Reifen Garantie, bei Milram die Voll Milch und bei Pfanni das Bauern Frühstück. Besonders schön ist das Beispiel einer Restaurant-Werbung auf einer Markise: Mittag’s Tisch. Da sind dann Deppenleerzeichen und Deppenapostroph vereint!
Dabei wäre alles so einfach mit ein wenig Rhabarber:
Ursachen und Folgen
Die Suche nach den Ursachen
Das falsch gesetzte Leerzeichen ist zwar kein ganz junges Phänomen, die Diskussion darum wurde aber jüngst durch Wahlbenachrichtigungen zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein neu entfacht. In diesen sind Bindestriche in Komposita sehr unkonventionell eingesetzt worden. In einem Artikel der dpa möchte man drei Ursachenfelder für die Flut an Deppenleerzeichen ausmachen:
- das Vorbild des Englischen
- der Einfluss der Werbebranche
- das zunehmende Schreiben auf Smartphones und anderen mobilen Geräten
Gerade der zweitgenannte Aspekt scheint mir eine entscheidende Triebfeder zu sein. Während man sich in den meisten Marketing-Abteilungen sicher bewusst darüber ist, dass man sich aufgrund gestalterischer Präferenzen der orthographischen Inkorrektheit hingibt, wird das Deppenleerzeichen unkritisch von breiten Schichten der Bevölkerung aufgesaugt und als vermeintlich korrekte Schreibweise etabliert. Und da dank allzeit und jedermann zugänglicher sozialer Netzwerke jeder gelesen wird, der vor dem Siegeszug der vernetzten Welt kein schriftliches Gehör gefunden hätte, breiten sich derartige Phänomene rasend schnell aus.
Die Folge könnte sein, dass der Duden dies – wie in der Vergangenheit schon oft geschehen – eines Tages als gebräuchliche Schreibweise aufnimmt. Sprache ist nun mal einer dynamischen Entwicklung ausgesetzt. Dies muss sich aber nicht immer vorteilhaft auf das allgemeine Verständnis und die differenzierte Ausdrucksweise auswirken. Schlimmer sind nur noch wenig durchdachte Rechtschreibreformen, wie man es in den 90er Jahren in Deutschland erleben durfte.
Disput zwischen Wissenschaft und Journalismus
Die Sprachwissenschaftlerin Kristin Kopf übt scharfe Kritik an der Bezeichnung des falsch gesetzten Leerzeichens als Deppenleerzeichen:
Der zweite übergreifende Punkt, der mich nervt, ist, dass das Wort „Deppenleerzeichen“ überall vorkommt und so getan wird, als sei das ein etablierter Fachbegriff. In Wirklichkeit ist das Wort einfach nur widerlich: Es klassifiziert Menschen, die nicht normgerechte Leerzeichen benutzen, als dumm. Das Muster kennt man zur Genüge: Auch wer Tippfehler macht, umgangssprachliche Syntax schreibt oder dialektale Einflüsse in der Standardsprache hat, wird gerne dafür abqualifiziert.
Der Journalist und Blogger Titus Gast stellt dagegen heraus, dass es sich bei dem Terminus um eine Übertragung aus dem lange bekannten Deppenapostroph und um eine Überspitzung eines aus sprachlicher Sicht problematischen Phänomens handelt. Ihm gehe es nicht um die Herabwürdigung von Menschen, die ihre private Korrespondenz nicht an den Regeln der deutschen Rechtschreibung ausrichten, sondern um diejenigen, die damit von Berufs wegen (Werbetexter, Grafiker, Journalisten, PR-Experten, Lektoren, Professoren, etc.) unprofessionell umgehen.
Kopf sieht im Übrigen keinerlei Verlust an Ausdrucksmöglichkeiten durch die unkontrollierte Nutzung falsch gesetzter Leerzeichen. Vielmehr geht sie von einem „Verständnisboykott“ der Deppenleerzeichen-Kritiker aus. Diese würden sich bösartig dumm stellen. Dabei verkennt sie, dass es letztlich nicht darum geht, ob nicht dem allgemein gebildeten Leser der Sinn des Geschriebenen aus dem Kontext einleuchten müsste. Vielmehr zeigen meine persönlichen Erfahrungen, dass der Lesefluss und die Auffassungseffizienz durch falsche Schreibweisen beeinträchtigt werden. Zudem wird in der Schnelllebigkeit der sozialen Medien immer weniger Wert darauf gelegt, den Kontext so darzulegen, dass die falsche Schreibweise nicht doch Interpretationsspielraum lässt. Das zeigt bereits das in den letzten Tagen gerne zitierte Beispiel „Zugang zum Behinderten WC“. Im obigen dpa-Artikel heißt es:
Bedenklich sei, wenn durch ein falsches Leerzeichen die Verständlichkeit eingeschränkt werde. Beispiel „Zugang zum Behinderten WC“: „Da steht dann, dass das WC behindert ist. Es führt einfach auf eine falsche Fährte“, sagt Gast.
Da irrt Herr Gast. Das Wort „Behinderten“ stellt kein Adjektiv dar, sonst würde es klein geschrieben. Insofern muss es sich um ein Substantiv handeln. Die korrekte Interpretation des Textes kann daher nur lauten: Hier befindet sich der Zugang zu einem Behinderten; der Behinderte trägt den Namen WC. Ob dies inhaltlich sinnhaft ist, steht auf einem anderen Blatt.
Erstaunlich eigentlich, dass ein solches Thema derart emotional geführt wird wie von Frau Kopf. Gerade von Seiten einer Sprachwissenschaftlerin hätte ich mehr Sachlichkeit erwartet. Umso amüsanter sind dann auch die Kommentare zu ihrem Beitrag zu lesen. Unabhängig davon, wie man das Phänomen nun bezeichnet oder wie die Ursachen zu gewichten sind, ist falsche Orthographie, die das Sprachverständnis unterwandert, keine gutzuheißende Entwicklung. Es sagt auch etwas über die Werte aus, die unsere immer oberflächlichere Gesellschaft zunehmend auszeichnet. Der Mensch hat über Millionen Jahre hinweg seine Kommunikation immer weiter verfeinert. Ist bereits der Zeitpunkt gekommen, an dem diese Entwicklung sich umkehrt?
Die drei genannten Punkte sind genau richtig: viel.kommt.auch.aus.der.Werbe.industrie. So nun habe ich mal mit Absicht es falscht geschrieben. 😉
Vielleicht könnte aber noch ein vierter Punkt hinzu: Soziales Umfeld. Zum Beispiel habe ich mich hier am Arbeitsplatz gegen „Kategorie Zuweisung“ und „Bereichsübergreifend“ (und das mitten in einem Satz!) durchsetzen müssen, indem ich es einfach als falsche Schreibweise korregiert habe, als dann der Chef gegangen ist.
Da hast du sicher recht, Roland. Ein bestimmtes soziales Umfeld kann für die Empfänglichkeit von falschen Schreibweisen durchaus fördernd oder auch schützend wirken. Vieles hängt aber davon ab, welche Einstellung man selbst mitbringt. Vielen Menschen scheint es recht egal zu sein, dass man ihren Bildungsgrad bei jedem Satz herausliest, den sie in die Tasten hauen. Gerade in den sozialen Medien fällt mir dies sehr negativ auf.
Das Wort Apostroph ist maskulin, es heißt also „der“ Deppenapostroph, nicht „das“ Deppenapostroph. Die Genus-Bezeichnung im Artikel ist also nicht korrekt.
Das entspricht so gar nicht meinem Sprachgefühl, aber Sie haben recht. Ich bedanke mich für den Hinweis, ich habe es korrigiert.
Hallo Herr Kaufmann, der Artikel ist gut geschrieben und läßt sich angenehm lesen.
Ein kleiner Rechtschreibfehler ist mir aufgefallen, im zweiten Absatz (Das Deppenleerzeichen) schreiben sie: „Seite einigen Jahren…“. Das „e“ ist da eindeutig fehl am Platz.
Danke für den Hinweis und das Lob. Der Fehler ist korrigiert.