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Historische Bedeutung Kalmars
Das schwedische Kalmar dürfte wohl nur wenigen Mitteleuropäern bekannt sein. Dabei ist die in der Provinz Småland gelegene Küstenstadt im Südosten des Landes eine der bedeutendsten Stätten schwedischer und nordischer Geschichte. Warum das so ist und was man von ihrer bedeutenden Vergangenheit vor Ort noch entdecken kann, erfahrt ihr in meinem Artikel über die Geschichte und Architektur der Stadt an der Ostsee.
Die Kalmarer Union
Kalmar wurde bereits im 11. Jahrhundert auf einem Runenstein erwähnt. Im 13. Jahrhundert war die Stadt ein blühendes Handelszentrum mit Hafen an der Ostsee. Internationale Bedeutung erlangte es aber erst mit der Kalmarer Union, einem Bündnis zwischen den nordischen Staaten Dänemark, Schweden und Norwegen unter Führung Dänemarks. Die Allianz existierte von 1397 bis 1523 und wurde ebendort unterzeichnet.
Federführend war dabei die dänische Königin Margarethe I., die ihren Adoptivsohn Erik (Erich) von Pommern zum König machte. Bis zu ihrem Tod 1412 führte sie allerdings faktisch die Herrschaft, ohne jemals offiziell zur Königin der Union erhoben worden zu sein.
Kalmar und die Wasas
Kalmar war auch der Ort, an dem Gustav Wasa 1520 nach seiner Flucht aus der Gefangenschaft des dänischen Königs Christian II. wieder schwedischen Boden betrat. Mit Unterstützung der Hansestadt Lübeck führte er bis 1523 die schwedischen Befreiungskriege, die 1523 zur Auflösung der Kalmarer Union und zur Krönung Gustav Wasas zum schwedischen König in Strängnäs führten.
Auch danach hatte Kalmar eine wichtige Rolle in der schwedischen Geschichte inne. Die Stadt am Kalmarsund gegenüber der Insel Öland lag unweit der damaligen dänisch-schwedischen Grenze. Gustav Wasa und seine Söhne ließen das Kalmarer Schloss weiter ausbauen. Das beinhaltete sowohl die Wehranlage als auch die künstlerische Ausstattung. Der Ort war aufgrund seiner strategischen Bedeutung nicht nur eine wichtige Residenz der schwedischen Könige, sondern bis zum Ende des 17. Jahrhunderts immer wieder in die kriegerischen Auseinandersetzungen mit Dänemark involviert.
Die untergegangene Altstadt und Neuanfang auf Kvarnholmen
Für den nicht informierten Reisenden ist es erst auf den dritten Blick erkennbar: Die ursprüngliche Altstadt Kalmars lag unmittelbar vor dem Schloss. Sie wurde im Kalmarkrieg zwischen Schweden und Dänemark 1611 zerstört. Wenige Jahrzehnte später wurde sie bei einem Brand erneut in Mitleidenschaft gezogen. Man entschied sich auch aus fortifikatorischen, heißt wehrtechnischen Erwägungen heraus für eine komplette Verlegung auf die Insel Kvarnholmen. Die Neugründung, deren Errichtung 1647 begann, ist durch ein regelmäßiges rechtwinkliges Straßennetz als frühneuzeitliche Gründung gut auszumachen.
In der ehemaligen Gamla Stan siedelten sich im 18. und 19. Jahrhundert vornehme Bürger mit ihren Sommerhäusern an. Nur das Kopfsteinpflaster der verwinkelten Gassen und der alte Kirchhof erinnern noch daran, dass hier einst eine mittelalterliche Stadt stand. Teile der alten Stadt wurden zu einem Stadtpark umgewandelt. Unser Geheimtipp: der Hof Krusenstierna, wo nicht nur ein kleines Museum den Alltag des späten 19. Jahrhunderts lebendig werden lässt, sondern auch ein typisches schwedisches Gartencafé zum Verweilen einlädt.
Kvarnholmen betritt man am schönsten über einen hölzernen Steg und das Westtor (Västerport). Hier bekommt man noch einen guten Eindruck der ehemaligen Festungsanlagen des 17. Jahrhunderts mit Wällen, Wassergräben und Bastionen. Die Bebauung besteht überwiegend aus Stein, aber auch Holzbauten sind in größerer Zahl anzutreffen. Damit besitzt Kalmar einen der am besten erhaltenen historischen Stadtkerne in Schweden.
Rundgang durch Kvarnholmen
Der Dom
Die neue Kirche auf Kvarnholmen musste den mittelalterlichen Bau in der Gamla Stan ersetzen. Sie wurde in der Mitte der Stadt auf dem Marktplatz als Kathedrale in der Diözese Kalmar errichtet und dominiert diesen bis heute majestätisch. Der barocke Zentralbau mit vier Ecktürmen wurde 1660 begonnen, 1682 geweiht, allerdings erst 1703 vollendet. Die Pläne lieferte der wohl bedeutendste schwedische Architekt jener Zeit, Nicodemus Tessin d. Ä., der auch zahlreiche repräsentative Bauten in Stockholm entwarf. Die Fassaden des Domes mit ihrer Pilastergliederung verraten italienischen Einfluss, die der Architektur auf einer Romreise studierte.
Das kreuzförmige Innere wirkt durch sein Weiß hell und weit. Die Wandstruktur wird durch Pilaster mit ionischen Kapitellen und kräftigem Gebälk dominiert. Davon setzt sich die Ausstattung mit ihren goldenen Farben ab. Vor allem der Altar und die Kanzel sind zu erwähnen. Der Altar wurde nach Plänen von Nicodemus Tessin d. J. ausgeführt, der damit das Werk seines Vaters vollendete. Die Kanzel aus der Mitte des 17. Jahrhunderts wurde aus der alten Kirche überführt.
Die neue Altstadt
Der Dom auf dem Stortorget (dem großen Markt) ist umgeben von stattlichen Bauten des Barock und Klassizismus und geben diesem eine würdige Rahmung. Das Rathaus, von 1684 bis 1690 erbaut, orientiert sich mit seiner Bandrustika und der monumentalen Strenge am klassizistisch geprägten Barock der Niederlande.
Hübsch anzuschauen ist auch der gemütliche, direkt an der Stadtmauer gelegene Lilla torget mit einigen der ältesten Häuser auf Kvarnholmen, darunter die Domprobstei und das Dahmska huset. Der dritte große Platz der Insel, der Larmtorget, versprüht dagegen mit seinem geschäftigen Treiben, dem gastronomischen Angebot und den umliegenden öffentlichen Bauten des Historismus wie dem Theater geradezu mediterranen Charme.
Schloss Kalmar
Baugeschichte und Bedeutung
Geradezu übermächtig liegt das Kalmarer Schloss im Blau des Wassers. Es ist das beherrschende Monument der Stadt und lässt von allen Ansichten seine historische Bedeutung erkennen. Dabei fristete es seit dem Ende des 17. Jahrhunderts, als es seine Funktion als Grenzsicherung zu Dänemark verlor, ein eher trostloses Dasein und verfiel lange Zeit. Mitte des 19. Jahrhunderts setzten umfangreiche Renovierungen und Rekonstruktionen ein, die weit in das folgende Jahrhundert andauern sollten. Heute präsentiert sich das Schloss wieder als einer der prächtigsten und bedeutendsten Renaissancebauten Nordeuropas.
Ausgangspunkt der Anlage war ein Verteidigungsturm, der bereits um 1200 existiert haben dürfte. Ende des 13. Jahrhunderts entstand eine Burg mit Ringmauer und vier Türmen rund um den älteren Verteidigungsturm. Das Baumaterial Kalkstein ist von der nahen Insel Öland herangeschafft worden. Unter Gustav Wasa wurde die Burg zu einer frühneuzeitlichen Festung mit runden Bastionen ausgebaut, die der Waffentechnik jener Zeit entsprachen. Seine Söhne Erik XIV. und Johann III. ließen schließlich das Bauwerk zu einem Renaissanceschloss von internationalem Rang umgestalten. Dafür wurden Künstler aus ganz Europa beauftragt.
Auf Spurensuche im 16. Jahrhundert
Der Schlosshof mit den zahlreichen Portalen und dem Brunnen in vorzüglichen Renaissanceformen lässt bereits erahnen, welchen Anspruch die Wasas mit der Umgestaltung der Anlage verbanden. Zwar hat sich vom ursprünglichen Inventar des Schlosses so gut wie nichts erhalten, doch die liebevoll restaurierten und rekonstruierten Räume und Säle mit ihrem Wand- und Deckenschmuck lassen noch gut erkennen, wie hochwertig die gesamte Ausstattung des 16. Jahrhunderts gewesen sein muss.
Besonders hervorzuheben sind der Goldene Saal mit seiner ornamentbefrachteten Kassettendecke und das Königsgemach in einem der Rundtürme. Letzteres ist mit einer Holzvertäfelung mit aufwendigen Intarsien, farbig gefassten Reliefbändern mit Jagdszenen sowie Fensternischen mit reicher Roll- und Beschlagwerkornamentik überschwänglich prachtvoll geschmückt.
Das Schloss lässt sich im Rahmen eines Museumsbesuchs auf eigene Faust erkunden. Anhand zahlreicher Modelle wird dabei anschaulich die Baugeschichte und Gestalt der Schlossanlage in den verschiedenen Epochen vermittelt. Bei gutem Wetter ist vor allem die Spurensuche in den Gräben und Wällen der Festungsanlage unbedingt zu empfehlen. Von hier durften wir äußerst reizvolle Ausblicke auf Schloss, Stadt und Ostsee genießen, während uns der kühle Seewind um die Nase wehte. Kalmar zeigte sich uns hier von der schönsten Seite.
Schwedens historische Seele
Für mich stellt Kalmar so etwas wie die historische Seele Schwedens dar. Hier wurde schwedische und nordische Geschichte geschrieben. Hier manifestiert sich mit dem gewaltigen Schloss und der Zerstörung und Verlegung der Altstadt wie in keiner anderen Stadt der Jahrhunderte währende Konflikt zwischen Schweden und Dänemark. Hier sind die Kalmarer Union und Gustav Wasa präsent.
Kalmar bietet alles, was viele schwedische Städte so attraktiv macht: Holzgebäude, verwinkelte Gassen mit Kopfsteinpflaster, großzügige Grünanalgen, ein Hauch schwedischer Großmachtzeit des 17. Jahrhunderts und immer wieder Wasser. Diese Traditionen versteht die Stadt am Kalmarsund zu vereinen und ins Hier und Heute zu transportieren, ohne dabei seine Lebendigkeit zu verlieren. Kalmar ist – das darf man wohl festhalten – einer der attraktivsten Plätze Schwedens.