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Jüdisches Kulturerbe
Die Stadt Halberstadt im nördlichen Harzvorland besitzt als ehemaliger Bischofssitz eine reiche Vergangenheit in christlicher Tradition mit zahlreichen sakralen Bauten und einem reich ausgestatteten Domschatz. Dieses Kulturerbe, das ich bereits ausführlich vorgestellt habe, wird bereichert durch die Geschichte eines ausgeprägten jüdischen Lebens in Halberstadt. Auch wenn heute keine jüdische Gemeinde mehr in der Stadt existiert, wird mit dem Berend Lehmann Museum diese Tradition im Bewusstsein gehalten. Gemeinsam mit der Moses Mendelssohn Stiftung hat man zudem einen entsprechend thematisch gestalteten Stadtrundgang konzipiert, der an Orte jüdischen Schaffens und Lebens in Halberstadt führt: Jüdisches Halberstadt. Beides ist weitgehend so trefflich umgesetzt, dass es wert ist, näher betrachtet zu werden.
Das Berend Lehmann Museum
Das jüdische Viertel und seine Synagogen
Das Museum ist auf zwei Gebäude aufgeteilt, was zunächst nicht nur bei uns etwas Verwirrung verursachte, denn vor Ort ist dieses zweigeteilte Museumskonzept nicht wirklich kenntlich. Zum einen existiert die ehemalige Klaus, die um 1700 als jüdisches Lehrhaus im Rosenwinkel entstand und 1857 durch einen Backsteinbau erweitert wurde, der eine Synagoge barg. Das Gebäude mit der Klaussynagoge überstand die Pogromnacht 1938 nur deshalb, weil die Nationalsozialisten es für ihre Zwecke nutzen konnten.
Zerstört wurde dagegen die prächtige 1712 geweihte barocke Synagoge, die – wie nicht unüblich – auf einem rückwärtigen Grundstück zwischen Bakenstraße und Judenstraße stand. Sie wurde 1879 um eine Vorhalle erweitert und überragte mit ihrem steilen Dach, das eine Kuppelkonstruktion barg, weit sichtbar die Dächer der Altstadt. Dieser Bau wurde in der Pogromnacht aufgrund seiner heiklen Lage in den engen feueranfälligen Fachwerkgassen nicht angezündet, sondern lediglich geplündert, dann aber bis zum Frühjahr 1939 abgerissen. Heute steht noch als Mahnmal eine Mauer der Vorhalle auf einem als Garten gestalteten Areal.
Der zweite, umfangreichere Teil der Ausstellung ist in einem Fachwerkhaus in der Judenstraße zu sehen. Es beherbergt zugleich im Kellergeschoss die Mikwe – also das rituelle Bad – der jüdischen Gemeinde. Dargestellt wird die Geschichte der Halberstädter Juden, die exemplarisch für andere jüdische Gemeinden im deutschen Raum stehen kann. Die genannten Bauten stehen in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander und bilden das Zentrum des historischen jüdischen Viertels von Halberstadt, das sich in den Gassen rund um den sogenannten Judenplatz – eigentlich nur eine Straßenerweiterung durch die Teilung der Bakenstraße – lokalisieren lässt.
Geschichte der Halberstädter Gemeinde
1261 ist erstmals eine jüdische Gemeinde in Halberstadt quellenkundlich bezeugt. Durch eine jährliche Abgabe stand sie unter bischöflichem Schutz. Im Jahre 1644 ist ein jüdischer Friedhof belegt. Erhebliche Bedeutung erlangte die Gemeinde um 1700 unter dem Wirken des einflussreichen Hofjuden Berend Lehmann, dem Namensgeber für das Museum. Er ließ sich um 1680 in Halberstadt nieder. In der Folge wurden die Klaus und die barocke Synagoge errichtet. In der Stadt lebten zu dieser Zeit etwa 1100 Juden, rund 10 % der Bevölkerung.
Das Museum zeigt zudem die für Halberstadt so bedeutende Geschichte der jüdischen Unternehmerfamilie Hirsch. Aron Hirsch war Sohn eines Rabbiners, übernahm allerdings ab 1806 den Metallhandel seines Schwiegervaters, in dem er bereits zuvor tätig war. Der später als „Aron Hirsch & Sohn“ firmierte Betrieb stieg zu einem Unternehmen mit internationalen Handelsbeziehungen auf. Erreicht wurde dies durch den Aufkauf des Ilsenburger Kupferhammers am Fuße des Harzes und eines Messingwerkes am Finowkanal bei Eberswalde, nördlich von Berlin. Die Familie Hirsch hatte dadurch nicht zuletzt eine bedeutende Stellung in der Halberstädter Gemeinde inne. Ihr war der Ausbau der Klaussynagoge 1857 und die Modernisierung der barocken Gemeindesynagoge im Jahre 1879 zu verdanken.
Halberstadt wurde zu einem Zentrum der Neo-Orthodoxie, die die Verknüpfung von Moderne und Tradition verfolgte. Damit war es möglich, an den religiösen Riten festzuhalten und sich anderen Kulturen zu öffnen (Akkulturation). Diese bemerkenswerte Entwicklung endete spätestens mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten, der Pogromnacht und der Deportation der letzten Juden aus Halberstadt im Jahre 1942. Bereits 1927 musste „Messing Kupfer Hirsch“ sein Geschäftshaus in Halberstadt aufgrund wirtschaftlicher Probleme schließen.
Stadtrundgang und jüdische Friedhöfe
Der Rundgang durch Halberstadt führt neben den bereits erwähnten Örtlichkeiten, die heute den Museumskomplex bilden, noch an weiteren Standorten jüdischen Lebens vorbei. Hierzu gehören das Wohnhaus von Berend Lehmann in der Bakenstraße, das Geschäfts- und Wohnhaus der Familie Hirsch am Abtshof sowie das noch existente Gebäude der 1895 neu errichteten jüdischen Schule in der Straße Westendorf. Die als Verbindungen zwischen jüdischem Viertel und Domplatz dienende Peterstreppe barg Lagerräume in den unter ihr befindlichen Gewölben, die von jüdischen Händlern genutzt wurden. Entsprechend entwickelte sich in diesem Bereich der Stadt ein reges Markttreiben.
Besonders eindringlich manifestiert sich die lange jüdische Tradition in Halberstadt an ihren Friedhöfen. In Halberstadt existieren derer gleich drei. Die beiden ältesten lagen bzw. liegen im Südwesten der Stadt, außerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern. Der älteste ist der Friedhof „Am Roten Strumpf“, der bereits seit 1644 bezeugt ist. Es befinden sich noch zahlreiche mit hebräischen Inschriften besetzte Grabsteine, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen, auf ihm. Der benachbarte Friedhof „Am Berge“ war im 19. Jahrhundert in Benutzung. Leider ist eine Besichtigung der Friedhöfe nur im Rahmen einer Führung möglich.
Schlussbemerkungen
Das jüdische Erbe in Deutschland hat angesichts unserer deutschen Geschichte einen besonderen Schutz verdient. In Erfurt ist es im vergangenen Jahr gelungen, es als UNESCO-Weltkulturerbe anerkennen zu lassen. In Halberstadt sind diese Pläne bislang nicht von Erfolg gekrönt. Das soll aber das dortige Engagement nicht schmälern. Das Berend Lehmann Museum und der jüdische Stadtrundgang verleihen der mit kulturellen Sehenswürdigkeiten nicht gerade armen Stadt eine ganz besondere Note.
Und dennoch schaue ich auch mit einem sorgenvollen Auge auf die Entwicklung in Halberstadt. Vor einigen Jahren hatte man in einem Projekt den ältesten jüdischen Friedhof saniert und die Grabsteine dokumentiert. Dabei sind auch zahlreiche neue Grabsteine zutage getreten. Bei unserem letzten Besuch in Halberstadt war das Gelände wieder stark überwuchert und ein Betreten des Areals nicht möglich. Auch ein flüchtiger Blick von außen auf die Grabsteine ist nicht realisierbar – ein fast vergessener Ort. Bis vor wenigen Jahren hing hier sogar noch eine Informationstafel mit falschen Zuschreibungen und teils nicht korrekten Angaben zur Geschichte des Ortes.
Aber vielleicht muss man dies auch im Sinne einer Schutzmaßnahme sehen, denn ausgerechnet in dieser Stadt mit so intensiver jüdischer Tradition sind Montagsdemos und Fackelmärsche ein fester Bestandteil der öffentlichen Unmutsbekundung. Und die rechtsextreme Gemeinschaft Halberstadts wächst. Insofern scheint die Schändung von jüdischen Friedhöfen und Gedenkorten der Stadt, wie sie in Deutschland mittlerweile wieder an der Tagesordnung sind, nur eine Frage der Zeit zu sein. Umso wichtiger erscheint es mir, dass man die jüdische Geschichte Halberstadts im Bewusstsein der Menschen und Besucher der Stadt hält.