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Antisemitismus und Israelfeindlichkeit zum Gedenktag am 7. Oktober

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Flagge Israel

Israel und Palästina

Eigentlich war mein Vorsatz, um das Thema Israel, Palästina, Gaza und den 7. Oktober einen großen Bogen zu machen. Zu sehr ist das Terrain vermint mit Fallstricken, die schnell den Vorwurf aufkommen lassen, man sei antiisraelisch eingestellt oder wahlweise blind für das Leid im Gazastreifen. Im Grunde ist es kaum möglich, sich mäßigend zu positionieren, ohne dabei den Zorn der einen oder anderen Seite heraufzubeschwören. Allein die Tatsache, dass der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu einen Haftbefehl wegen Menschenrechtsverstößen ausgestellt hat, zeigt auf, wie komplex die Gemengelage ist. Im Kern geht es um die Frage, ob Terror und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie sie von der Hamas begangen wurden, eine nicht minder schwerwiegende Reaktion rechtfertigen können. Wie weit darf Israels Recht auf Verteidigung gehen? Die vermeintlich eindeutigen Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen zunehmend. Unumstößliche Gewissheiten zersetzen sich, je länger der Krieg im Gazastreifen andauert.

Berichterstattung der Hasepost

Und doch habe ich mich jüngst auf dieses Terrain gewagt, ohne zu ahnen, worauf ich mich da einlasse, denn es begann zunächst recht harmlos. Die Hasepost, eine Onlinezeitung für die Region Osnabrück, berichtete am 7. Oktober, dem Jahrestag des Hamasterrors gegen Israel, in mehreren sehr eng geschalteten Artikeln (Artikel 1, Artikel 2, Artikel 3) über Schmierereien am Osnabrücker Marktplatz. „Fuck Israel“ war dort am Rathaus und der Stadtbibliothek zu lesen. Für die Hasepost bzw. den Verfasser der Texte, den Redaktionsleiter Dominik Lapp, war die Sache eindeutig: Gleich mehrfach betitelte man die Aktion als Antisemitismus.

Zweifelsohne ist die Schmiererei als Straftat gerade am Jahrestag des 7. Oktober nicht hinnehmbar. Auf der Facebook-Seite der Hasepost gab ich zu bedenken, dass nicht ohne Grund und nicht nur in den historischen Wissenschaften eine Differenzierung zwischen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit vorgenommen wird. Man unterscheidet dabei zwischen dem Hass auf Juden im Allgemeinen einerseits und der feindseligen Einstellung gegenüber dem Staat Israel, seinen Institutionen, vielleicht auch seinen Bürgern andererseits. Israelkritik muss stets möglich sein, ohne sich dabei dem Verdacht von Antisemitismus auszusetzen, wenngleich wir es hier in Osnabrück mit einer weitaus schärferen und inakzeptablen Form der Bekundung zu tun haben. Dennoch bleibt die Frage nach den Adressaten und dem Motiv der Graffiti am Marktplatz. Sind damit Juden weltweit gemeint oder der Staat Israel im Speziellen? Sollte sich ein Presseorgan so weit aus dem Fenster lehnen, hier von einer antisemitischen Aktion zu sprechen? Sind die vielen Menschen in Israel, die den Krieg ihres eigenen Landes im Gazastreifen kritisieren, ebenfalls antisemitisch?

Die Antwort auf meine Hinweise, differenzierter von Sprache Gebrauch zu machen, erhielt ich nach einer kurzen Diskussion durch die Hasepost selbst: „Ihr Whataboutism und Ihre Relativierungen sind widerlich – insbesondere vor dem Hintergrund des 7. Oktobers!“ Solche Entgleisungen gegenüber Lesern erlebe ich bei diesem Online-Blatt, das von Heiko Pohlmann herausgegeben wird, nicht zum ersten Mal, auch wenn ich dabei meist nicht persönlich betroffen bin. Einer seriösen Pressearbeit ist dieser Auftritt nicht würdig. So erhielt ich auf meine Nachfrage, welchem Redakteur ich eine solche Zuschreibung verdanke, keine Antwort. Man bleibt lieber anonym beim Diffamieren seiner Leser. Anmerkung am Rande: Herr Pohlmann und die Hasepost sind für ihre polarisierenden Auftritte im Osnabrücker Umland bekannt, wie folgende Analysen aufzeigen: Blog 490 Grad und Unordnungsamt Osnabrück. Aber da bin ich schon mitten im Schlachtfeld linker und rechter Gruppierungen, wo ich eigentlich nicht hinstrebe.

Definitionen des Antisemitismus

Die IHRA-Arbeitsdefinition

Konzentrieren wir uns daher wieder auf die Frage, wie Antisemitismus definiert werden kann und ob der Vorwurf der Judenfeindlichkeit für die zweifelsohne verwerfliche Aktion am Osnabrücker Marktplatz angemessen ist. Die Hasepost führte zu ihrer Rechtfertigung die IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus an, die auch von der Bundesregierung anerkannt ist. Sie lautet kurz und schlicht:

Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.

Weder dieser Text, noch die angeführten Beispiele lassen erkennen, dass ein „Fuck Israel“ dazu geeignet ist, Juden generell zu adressieren und zu diffamieren. Ferner besitzt die IHRA-Definition, die wissenschaftlichen Standards nicht genügt, erhebliche Schwächen aufgrund von Lücken und Ungenauigkeiten. Der Soziologe Klaus Holtz weist zu Recht darauf hin, dass insbesondere die Charakterisierung von Antisemitismus als Wahrnehmung höchst missverständlich ist. Das setze nämlich eine Korrespondenz – wie auch immer diese geartet sei – dieser Wahrnehmung mit dem Judentum voraus. Vielmehr sei Antisemitismus aber eine Projektion oder Weltanschauung, die zu einem Zerrbild des Judentums führe. Zudem kritisiert Holtz die unpräzise Angabe der „bestimmten“ Wahrnehmung sowie die unvollständigen Ausdrucksformen des Antisemitismus als Hass. Was sich hinter dem „kann“ noch verbirgt, bleibt unklar und nebulös.

Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus

Die zunehmende Ablehnung der IHRA-Definition führte 2021 zu einer alternativen Erklärung, die präziser gefasst ist und die Kritik an der Arbeitsdefinition der IHRA aufnimmt:

Antisemitismus ist Diskriminierung, Vorurteil, Feindseligkeit oder Gewalt gegen Jüdinnen und Juden als Jüdinnen und Juden (oder jüdische Einrichtungen als jüdische).

Besonders aufschlussreich in unserer Osnabrücker Frage erscheint mir dabei die Beispielliste antisemitischer und nicht antisemitischer Äußerungen, Handlungen und Symbole. Darin heißt es:

Politische Äußerungen müssen nicht maßvoll, verhältnismäßig, gemäßigt oder vernünftig sein, um nach Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte oder Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention und anderen Menschenrechtsabkommen geschützt zu sein. Kritik, die von manchen als übertrieben oder umstritten oder als Ausdruck „doppelter Standards“ betrachtet wird, ist nicht per se antisemitisch. Im Allgemeinen ist die Trennlinie zwischen antisemitischen und nicht antisemitischen Äußerungen eine andere als die Trennlinie zwischen unvernünftigen und vernünftigen Äußerungen.

Sofern dem „Fuck Israel“ nicht eine tiefere Botschaft im Sinne von allgemeinem Judenhass zuzuschreiben ist, haben wir es hier also lediglich mit einer überzogenen und polemischen politischen Äußerung zu tun, die aber als Sachbeschädigung und somit als Straftat zu ahnden ist. Israelfeindlich und im Kontext des Jahrestages des Hamas-Massakers geschmacklos ist sie zudem allemal. Die Justiz wird vielleicht zu klären haben, ob darin sogar eine juristisch relevante Symbolwirkung zu vermuten ist. Anders könnte der Vorfall bei einer ebenfalls am 7. Oktober stattgefundenen Aktion in Berlin zu werten sein, bei der das Jüdische Museum sich mit dem Vorwurf des Kindermordes konfrontiert sah. Hier darf angesichts des expliziten jüdischen Bezuges ein antisemitischer Hintergrund vermutet werden.

Israelfeindlicher Antisemitismus?

Vollends verwirrend ist es zunächst, wenn der Soziologe Armin Pfahl-Traughber den Terminus des israelfeindlichen Antisemitismus erläutert. Tatsächlich kann eine antizionistische oder israelfeindliche Einstellung auch mit Antisemitismus einhergehen. Das ist vorrangig dann der Fall, wenn einschlägige antisemitische Stereotype auf den Staat Israel projiziert werden. Die Beispiele, die Pfahl-Traughber anführt, machen aber deutlich, dass die Osnabrücker Schmiererei viel zu undifferenziert ist, um eine tatsächliche Motivlage erkennen zu lassen, die dann aus der Israelfeindlichkeit einen israelfeindlichen Antisemitismus machen könnte. Ein guter Leitfaden für diese Einordnung ist hierbei der von Natan Sharansky entworfene Drei-D-Test. Dabei wird auf Dämonisierung, Delegitimation und Doppelstandards abgestellt. Die Dämonisierung sieht in Israel eine Ausdrucksform des Bösen. Die Delegitimation stellt das Existenzrecht Israels und somit eine jüdische Selbstbestimmung infrage. Mit Doppelstandards sind unterschiedliche Maßstäbe gemeint, die bei der Einschätzung Israels und seiner Gegner angelegt werden.

Schlussgedanke

Mir liegt es fern, das Handeln der israelfeindlichen Graffiti-Sprayer am Osnabrücker Marktplatz zu relativieren oder gar zu verteidigen. Bei der aufgeheizten Stimmung sollten aber Presseorgane minutiös darauf achten, die Kontroversen nicht auch noch durch eine undifferenzierte Wortwahl zu verschärfen. Und ebenso sollte es zu einem Pressekodex gehören, diejenigen, die auf sachliche Art auf diese Ungenauigkeit hinweisen, nicht zu diffamieren. Bei der Hasepost scheint man diese Rahmenbedingungen eines seriösen Journalismus nicht immer zu beachten. Wie man mit der Berichterstattung zu einem solchen Vorfall verantwortungsvoll umgeht, hat dagegen die NOZ in ihrem Artikel aufgezeigt.

Wer sich mit der 2000-jährigen Geschichte des Antisemitismus im historischen Kontext auseinandersetzen möchte, dem lege ich als Einstieg meine Kurze Geschichte des Antisemitismus mit weiteren Literaturempfehlungen ans Herz.

Ein Kommentar zu “Antisemitismus und Israelfeindlichkeit zum Gedenktag am 7. Oktober

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